Die Stuttgarter Kolonialausstellung 1928

schwarze Schrift auf grauem Papier

Wo heute im Stuttgarter Stadtgarten die Universitätsbibliothek steht, befand sich früher eine Gewerbehalle, in der vom 2. Juni bis zum 5. August 1928 die Stuttgarter Kolonialausstellung stattfand. Dabei handelte es sich um die größte deutsche Veranstaltung dieser Art seit Ende des ersten Weltkriegs mit 200.000 Besucher:innen.

In der Ausstellung wurden Menschen aus den ehemaligen Kolonien Togo, Kamerum und Deutsch-Ostafrika ausgestellt, aber auch aus anderen afrikanischen und auch asiatischen Ländern, wie zum Beispiel China und Indien.

In einer Art Menschenzoo mussten die Menschen ihren von Europäer:innen als "exotisch" und "primitiv" bezeichneten Lebensstil darstellen. Die deutschen Kolonialherren hatten dazu Häuser, Hütten, Pflanzen, Tiere und Alltagsgegenstände, die sie aus den Kolonien mitgenommen hatten, ausgestellt oder nachgebaut.

koloniale Darstellung von Menschen vor einem nachgebauten Haus
Koloniale Darstellung von Menschen, die vor einem nachgebauten Haus Essen zubereiten

Völkerschauen als Kolonialpropaganda

Die Völkerschauen dienten einerseits der Unterhaltung der Besucher:innen, die neugierig auf die "fremden Kulturen" waren. Das übergeordnete Ziel der Ausstellungen war aber vor allem, die eigene Überlegenheit zu demonstrieren. Europa sah sich selbst an der Spitze der kulturellen Entwicklung der Weltzivilisation. Nichteuropäische Lebensweisen wurden als weniger fortgeschritten betrachtet und abgewertet. Diese Annahmen basieren auf einem rassistischen Weltbild, in dem nicht-weißen Menschen verschiedene abwertende Merkmale und Eigenschaften zugeschrieben wurden, um sie weißen Europäer:innen unterwerfen zu können. Die Inszenierung in der Kolonialausstellung diente dazu, diese rassistischen Vorstellungen zu verbreiten und die Gewaltverbrechen zu rechtfertigen, die das Deutsche Reich an den Menschen in den Kolonien verübt hat.

Karl Lautenschlager, der damalige Oberbürgermeister von Stuttgart, lobte die Kolonialausstellung in seiner Eröffnungsrede:

"Diese Ausstellung beweist, (...) dass das deutsche Volk unter den Kolonialvölkern der Erde mit Ehren bestanden hat, und dass es in der wirtschaftlichen, wie kulturellen Entwicklung seiner Kolonien in aufrichtigen Wollen und Streben glänzendes geleistet hat."

Lautenschlager war also 8 Jahre, nachdem das Deutsche Reich seine Kolonien mit Inkrafttreten des Versailler Vertrags verloren hatte, sehr bemüht, die deutsche Kolonialherrschaft rückblickend positiv darzustellen. Tatsächlich hat die deutsche Kolonialherrschaft aber Zerstörung und zahlreiche Gewaltverbrechen zu verantworten, darunter auf grausame Weise besonders bedeutsam der Völkermord an den Hereo und Nama, dem im heutigen Namibia zwischen 1904 bis 1908 etwa 60 bis 80 Tausend Menschen zum Opfer vielen.

Karl Lautenschlager ist bis heute ein Ehrenbürger der Stadt Stuttgart. Die nach ihm benannte Lautenschlagerstraße befindet sich in der Stuttgarter Stadtmitte.

Mit Mia Paulus vom Lernort Geschichte haben wir darüber gesprochen, wie die Stuttgarter Bevölkerung damals auf Völkerschauen reagiert hat.


Kritisches Erinnern an die Kolonialausstellung

Im Rahmen des “Groundbreaking festivals" erinnerte die Künstlerin Lídia Chaves im Sommer 2023 an die Kolonialausstellung von 1928. Mit Stahlkanten hat die Künstlerin einen Satz aus dem Ausstellungskatalog in den Rasen des Stuttgarter Stadtgarten eingestanzt:

"Neben dem Kakaofeld gleich neben dem Eingang steht ein Geisterhaus"

Das von den Ausstellungsmachern so genannte "Geisterhaus" sollte wohl ein ritueller Ort sein, der in der Ausstellung nachgebaut wurde. Die Bezeichnung ist ein Beispiel für das abwertende Unverständnis, mit dem europäische Kolonialmächte auf Alltagskultur und Bräuche der kolonisierten Bevölkerungen geblickt haben.

Mit Stahlkanten in Rasen eingestanzter Schriftzug
Kunstinstallation von Lídia Chaves: "Neben dem Kakaofeld gleich beim Eingang steht ein Geisterhaus"


Dieser Artikel ist Teil des digitalen Spaziergangs "Spuren des Kolonialismus in Stuttgart" - ein Praktikumsprojekt von Anna Rankl.


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