Bürgerenergie: Tropfen werden zum Strom

Energieatlas

Besitze dein Energiesystem! Bürgerinnen und Bürger nehmen aktiv an der Energiewende teil, indem sie direkt investieren oder Eigentümergruppen beitreten. Doch das ist nur der erste Schritt.

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Eine Vision: Im Jahr 2050 könnten in der EU Hunderte Millionen Menschen doppelt so viel Energie produzieren wie heute die Atomkraftwerke

Die beiden Länder in Europa, in denen seit 2009 die meisten Anlagen zur Erzeugung erneuerbarer Energien installiert wurden, sind Dänemark und Deutschland. Dies sind auch die Länder, in denen die Bürgerinnen und Bürger am meisten an der Energiewende beteiligt sind. In Deutschland gibt es viele verschiedene Eigentumsmodelle. Nur fünf Prozent der installierten Kapazität für erneuerbare Energie sind im Besitz großer, traditioneller Energieversorger. In Dänemark werden Onshore-Windkraftanlagen nur genehmigt, wenn mindestens 20 Prozent der Projektanteile an Bürgerinnen und Bürger gehen, die in der jeweiligen Region wohnen.

In vielen Ländern haben öffentliche Einwände und Proteste die Entwicklung erneuerbarer Energien gebremst oder blockiert. Es ist leicht zu verstehen, warum die Menschen wenig Interesse an Großtechnik vor Ort haben, wenn alle Gewinne abfließen und sie nicht mitbestimmen können, wo und wie das Projekt entwickelt wird. Das Sankt-Florian-Prinzip ist ein ernstes Problem, anfangs vor allem in Großbritannien, jetzt aber auch in Belgien, Frankreich und anderen Ländern. Aber wenn Bürgerinnen und Bürger solche Anlagen besitzen oder mitbesitzen, ändert sich das. Es ist daher unerlässlich, die Menschen und die Lage vor Ort in den Mittelpunkt der europaweiten Energiewende zu stellen.

Eine Beteiligung an lokalen Energiesystemen bringt die Energiewende näher

Das 2016 vorgeschlagene Clean Energy Package der EU soll die Ziele und Regeln für das europäische Energiesystem bis 2030 festlegen. Allerdings erscheinen große Teile davon fern und undurchsichtig. Viele Bürgerinnen und Bürger sehen zum Beispiel, dass die Energiesysteme im Besitz einiger großer Unternehmen liegen, die viel Geld verdienen und von einer Management-Elite und den Entscheidungsträger/innen in Brüssel bestimmt werden. Doch Bürgerenergieprojekte, die für die Netze produzieren, gibt es in allen Formen. Genossenschaften und Miteigentümer/innengruppen verbinden daher die lokale mit der europäischen Ebene. Wenn die Menschen ihr Energiesystem besitzen und es sich lohnt, wird auch ein so fern scheinendes Konzept wie die europäische Energiewende für sie konkret.

Es gibt viele Gründe, warum Anwohnerinnen und Anwohner in lokale Energieprojekte investieren. Solche Anlagen generieren achtmal mehr Einnahmen für die lokale und regionale Wirtschaft als die Anlagen der transnationalen Projektierer. Die finanziellen Ergebnisse bringen zudem immaterielle Vorteile mit sich, zum Beispiel den Stolz auf das gemeinsam Erreichte.

Um ein Viertel sind die Erneuerbaren in vier Jahren gewachsen. Aber der Anteil der „Bürgerenergie“ fällt zugunsten der„Konzernenergie“

Weil es keine zentrale Datenbank gibt, ist es schwierig, die Zahl der an der Energiewende beteiligten Bürgerinnen und Bürger zu schätzen. In Europa gibt es Tausende kleine Projekte. Osteuropa liegt zurück, weil in den zentralisierten Strukturen die politischen Rahmenbedingungen für kleinteiligere Initiativen fehlen. Zudem bevorzugen die Regierungen dort noch immer die fossilen Brennstoffe und die Kernenergie. Diese Länder haben ein enormes Potenzial – mit dem richtigen politischen Rahmen können sich die Bürgerenergien auch nach Osten ausbreiten.

Bürgerenergie braucht die richtigen politischen Rahmenbedingungen

Ein Bericht der Beratungsfirma CE Delft von 2016 schätzt, dass bis 2050 rund 264 Millionen „Energiebürger“ 45 Prozent des Strombedarfs der EU decken könnten. Die Studie zeigt auch das Potenzial verschiedener Formen von Bürgerenergie. Im Jahr 2050 könnten Gemeinschaftsunternehmen und Genossenschaften 37 Prozent des erzeugten Stroms einspeisen. Dies sind die Projekte, die oft große positive Auswirkungen auf die lokale Wirtschaft haben.

Das lang anhaltende Desinteresse der Energiekonzerne hat demokratische Besitzstrukturen mit erstaunlicher wirtschaftlicher Bedeutung entstehen lassen
Ein solches Maß an Beteiligung hängt von der richtigen Politik ab. Doch in vielen Ländern entwickelt sich das Energiesystem falsch. Eine der größten Hürden sind die Überkapazitäten. Die Stromerzeugung übersteigt die Nachfrage. Die fossile und nukleare Energie wird subventioniert, um „Energiesicherheit“ aufrechtzuerhalten – und das erstickt den Markt für örtliche Projekte bei den Erneuerbaren.

Die derzeitigen Vorschriften machen es unwahrscheinlich, dass im nächsten Jahrzehnt Millionen von Menschen an der Energiewende teilnehmen werden. Vieles hängt von der endgültigen Ausgestaltung des Clean Energy Package ab. Förderlich wäre ein Recht für Einzelpersonen und Zusammenschlüsse, eigene Energie zu produzieren, zu verbrauchen, zu lagern und zu verkaufen. Dazu müssten die überhöhten Gebühren für den Netzzugang und andere administrativen Hindernisse beseitigt werden. So würden gleiche Wettbewerbsbedingungen entstehen, die der Bürgerenergie einen angemessenen Zugang zum Markt verschaffen würden.