Game on! Ein Plädoyer für mehr Spiele in der politischen Bildung

Analyse

Spielen macht Spaß und ist gleichzeitig eine Möglichkeit, zu lernen: Je nach Art der Spiele fördern sie Bewegungen, Kreativität, Austausch, Kooperation oder kritisches Denken. Auf der Suche nach innovativen Bildungsformaten, die zur Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Themen anregen und zu politischem Handeln motivieren, bieten Spiele, ob analog oder digital, ein großes Potenzial für politische Bildner*innen.

Die Debatte um einen Kulturwandel in Pädagogik und politischer Bildung ist in vollem Gange: Wie kann und soll schulische und außerschulische politische Bildung in Zukunft aussehen? Neben der Diskussion um die Form – analog oder digital, auf der Schulbank oder mobil am Tablet – geht es vermehrt darum, wie politische Bildung einer jungen Zielgruppe Wissen und Erfahrungen vermittelt. Wie können politische und gesellschaftliche Themen greifbar gemacht werden? Wie junge Menschen zum politischen Handeln motivieren, wie Raum für Reflexion und kritisches Denken öffnen? Eines ist klar: Politische Bildung als passive Frontalbeschallung ist unzeitgemäßer denn je, stattdessen sollten interaktive handlungs-, erfahrungs- und prozessorientierte Lernprozesse in den Blick genommen werden.

Politische Bildung mit spielerischen Formaten

Spiele sind dafür eine ideale Methode. Spielerische Formate ermöglichen es, politische Bildung interaktiv erfahrbar und gestaltbar zu machen und bergen ein schier unerschöpfliches Potential in der politischen Kinder- und Jugendbildung. Beim Spielen sind alle aktiv und es kommt auf jede*n Einzelne*n an. Spielsituationen können den Zugang zu komplexen Themen erleichtern. Gerade Plan- und Rollenspiele fördern mit Hilfe der pädagogisch und inhaltlich geschulten Begleitung das Verständnis für die Komplexität gesellschaftlicher und politischer Prozesse. Einerseits simulieren solche Spiele Lebenssituationen und knüpfen damit an bekannte Alltagswelten an. Andererseits bieten Avatare einen Rollenwechsel an: Dies schafft Abstand zu sich selbst und der eigenen Lebensrealität. Die hier erforderliche Fähigkeit, sich in andere Personen oder Umstände hineinzuversetzen, ist eine wesentliche Grundlage für die Entwicklung von Verständnis und Empathie. Anders als im klassischen Unterrichtssetting erlauben Spielformate ein gemeinsames Erkunden der Inhalte und die Möglichkeit, die Situation mitzugestalten. Aufgrund dieser Simulationen und ihrer kreativen Ausgestaltung bieten Spiele Handlungsfreiheit für neue Ideen und Spielräume. Wenn in klassischen Planspielsimulationen Gruppen mit unterschiedlichen Ausgansbedingungen gemeinsam Lösungen erarbeiten müssen, bedarf es guter Verhandlung und gegenseitigen Austauschs. Die Erfahrung, Schwierigkeiten gemeinsam zu meistern, kann zu einer Resonanzerfahrung in der Gruppe werden, die zum Handeln ermutigt und gleichzeitig das Verständnis für reale politische und gesellschaftliche Dynamiken schärft. Das erfahrungsorientierte – spielerische – Lernen fördert so nachhaltige Lernprozesse.

Doch beim Spielen allein bleibt es nicht, denn für das Lernen braucht es eine anschließende Reflexion des Erlebten und einen Transfer, der die Erfahrungen mit Information verknüpft. Erst der Austausch und das Abstrahieren der Spielereignisse, das Auffüttern mit Inhalten ermöglichen das nötige Aha-Erlebnis für den nachhaltigen Wissenserwerb. Dafür braucht es eine pädagogische Begleitung, die gemeinsam mit den Spielenden das Erlebte in einen breiteren Kontext setzt.

Vorteile analoger Planspiele

Während analoge Spiele, vor allem Planspiele, in der politischen Bildung bereits vergleichsweise etabliert sind, halten nach und nach auch digitale Spiele Einzug in das Feld. Die Vorteile der analogen Planspiele gelten im Großen und Ganzen auch für online Planspiele und Games. Doch darüber hinaus sind sie eines der besten Formate, wenn es darum geht, Kinder und Jugendliche dort abzuholen, wo sie stehen. PC- und Handyspiele sind sehr verbreitet, sie sind bereits seit zwei Generationen Teil verschiedener Kinder- und Jugendkulturen und sind auf diese Weise im Alltag angekommen: In Deutschland spielen bereits 64 Prozent der 6- bis 13-Jährigen mindestens einmal pro Woche am Computer. Die Bedeutung von Gaming wird zukünftig weiter zunehmen. Darüber hinaus funktionieren digitale Medien bereits jetzt als Scharnier zur Wissenskommunikation und Wissensaneignung: Ob WhatsApp-Gruppen der Schulklasse oder Hausaufgabenhilfe auf YouTube. Im Bereich der Bildungsangebote wird es eine stärkere Neuorientierung hin zu digitaler Vernetzung und Online-Bildung geben. Die Corona-Krise wird diesen ohnehin schon zu beobachtenden Trend dynamisieren und die Digitalangebote im Bereich Schule und Bildung langfristig erweitern.

Spielerisch an komplexe Themen heranführen

Digitale Spiele, die nicht bloß zur Unterhaltung entwickelt wurden, sondern auch Wissen vermitteln sollen, laufen unter dem Begriff Serious Games. Sie sollen Spaß machen und gleichzeitig Informationen und Bildung vermitteln. Wie ein Serious Game aussehen kann, lässt sich anhand EINLEBEN, dem ersten digitalen Lern- und Erfahrungsspiel der Heinrich-Böll-Stiftung zeigen. Es thematisiert soziale Herkunft, Zufriedenheit und Entscheidungsspielräume und setzt sich gleichzeitig mit der Lebenswelt junger Erwachsener auseinander. Es wurde für Schüler*innen ab 16 Jahren entwickelt und wird in einer Gruppe gespielt. Die Spielenden durchlaufen mit ihrem Avatar die Jahre von 16 bis 30 im Zeitraffer und werden dabei mit teils mehr teils weniger vorhersehbaren Lebensereignissen konfrontiert, auf die sie mit den Ressourcen Geld, Bildung oder soziale Kontakte reagieren können. Je nach Einsatz der Ressourcen sinkt oder steigt die Zufriedenheit des Avatars. Am Ende erreichen die Spielenden ihren individuellen Zufriedenheitswert. In der anschließenden Auswertung zeigt sich, dass die Ressourcen ungleich verteilt sind, in der Regel ist es daher für die Spieler*innen mit einer niedrigeren Ressourcenausstattung schwieriger, hohe Werte am Ende des Spiels zu erreichen. Im Anschluss an die Gaming-Phase findet der Transfer zu dem abstrakten Themenkomplex der sozialen Herkunft und Ungleichheit statt. Dafür werden Statistiken und Leitfäden für die Lehrperson oder die außerschulischen Bildner*in zur Verfügung gestellt. Die Diagramme, die das Thema soziale Ungleichheit verdeutlichen, können gemeinsam auf den jeweils eigenen mobilen Endgeräten angeschaut und diskutiert werden. Bei der Auswertung der Zahlen können die Schüler*innen auf die im Spiel gemachten Erfahrungen zurückgreifen. Spielerisch wird an ein komplexes und wichtiges Thema herangeführt und dabei Medienkompetenz gefördert.

Spiele als Chance

Eine plurale, aufgeklärte Zivilgesellschaft mit Menschen verschiedener sozialen Gruppen ist darauf angewiesen, Prozesse auszuhandeln, für eigene Werte und Interessen ein- und Anderen solidarisch beizustehen. Die dafür dringend benötigten Kompetenzen wie Kreativität, kritisches Denken, Kommunikation und Kollaboration zu vermitteln, ist die Aufgabe einer zukunftsgerichteten, innovativen Bildung. Dafür sind Spiele – in Zusammenhang mit einem Wissenstransfer entsprechender pädagogischer Einbindung – besonders geeignet. Dass vor allem digitale Spiele oder auch Games bereits auf dem Radar verschiedener Institutionen politischer Bildung sind, zeigt unter anderem die Arbeit der Bundeszentrale für politische Bildung, die auf einer eigenen Seite Bildungsspiele rezensiert oder die Stiftung Digitale Spielekultur. Spiele bieten eine Chance für einen Kulturwandel, für innovative politische Bildung. Bei der Entwicklung als auch bei der Anwendung politischer Bildungsmaterialien gilt also: Keine Scheu vor dem Spiele-Format. Game on!