Klimapaket: Grüne Gestaltungskraft aus den Ländern

Hintergund

Fragen der Umwelt- und Klimapolitik bleiben auch in Zeiten der Pandemie höchst aktuell, wie die Proteste und Debatten rund um die Konjunkturpakete zur Krisenfolgenbekämpfung zeigen. Dabei kommt in Fragen der konkreten Umsetzung gerade den Ländern eine entscheidende Rolle zu – wie sich schon bei den Verhandlungen zum Klimapaket zeigt. Vor allem die Grünen haben dazu beigetragen, dass das Klimapaket an Substanz gewonnen hat.

Fragen der Umwelt- und Klimapolitik bleiben auch in Zeiten der Pandemie höchst aktuell, wie die Proteste und Debatten rund um die Konjunkturpakete zur Krisenfolgenbekämpfung zeigen. Dabei kommt in Fragen der konkreten Umsetzung gerade den Ländern eine entscheidende Rolle zu – wie sich schon bei den Verhandlungen zum Klimapaket zeigt. Zur Erinnerung: Am 18. Dezember 2019 verständigte sich der Vermittlungsausschuss auf einen Kompromiss zum Klimapaket. Als kurz darauf auch Bundesrat und Bundestag der Einigung zustimmten, endete damit ein monatelanges Ringen um die Klimapolitik, an dessen Ende der Entwurf der Bundesregierung klar verbessert wurde.

Dass das Klimapaket deutlich an Substanz gewonnen hat, ist vor allem einer Partei anzurechnen: Bündnis/Die Grünen. Die Grünen haben über ihre Regierungsbeteiligungen im Bundesrat Druck gemacht und so insbesondere einen höheren CO2-Preis ausgehandelt (Tagesschau). Weil sie mit einer Blockade des Klimapakets drohten, gab die Union beim CO2-Preis nach (Der Spiegel). Die Grünen ließen im Vermittlungsausschuss die Muskeln spielen (FAZ) wohingegen es den Berliner Koalitionären es nicht gelungen wäre, die Grünen auch nur in einem einzigen Land auf ihre Seite zu ziehen (FAZ). Armin Laschet, CDU-Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, erklärte anschließend, dass der Kompromiss „natürlich… ein Ergebnis grüner Einflussnahme" war.

Dabei war die Ausgangslage für Bündnis 90/Die Grünen nicht unbedingt günstig, hatte doch die schwarz-rote Koalition das Klimapaket so geschnürt, dass wichtige Maßnahmen – darunter auch der CO2-Preis – in Gesetzen stehen, die nicht der Zustimmung des Bundesrats bedurften. Im Vermittlungsausschuss, der den finalen Kompromiss aushandelte, stellen die Grünen zudem nur zwei der 32 Mitglieder.

Wie erklärt sich also, dass die Grünen trotz ungünstiger Ausgangslage Verbesserungen beim Klimapaket durchsetzen konnten?

Missglückter Aufschlag der Großen Koalition

Nach zähen Beratungen innerhalb der Großen Koalition verabschiedete das Bundeskabinett am 20. September 2019 seinen Entwurf für das Klimapaket. Umweltverbände und WissenschaftlerInnen übten scharfe Kritik. Die Bewegung Fridays for Future, an deren Proteste am gleichen Tag allein in Deutschland rund 1,4 Millionen Menschen teilnahmen, sprach von einem Schlag ins Gesicht der kommenden Generationen. Der Druck, den die Bewegung effektiv über Monate hinweg aufbaut hatte, drückte sich in Umfragen aus. In dem in der Woche darauf veröffentlichten ZDF-Politbarometer kritisierten 53 Prozent aller Befragten das Klimapaket als nicht weitreichend genug. Selbst für 39 Prozent der Unions-Anhänger gingen die Maßnahmen nicht weit genug. 59 Prozent der Befragten betonten, dass der Klimawandel das derzeit wichtigste Problem in Deutschland sei. Den Grünen wurde beim Klimaschutz nicht nur die größte Kompetenz aller Parteien zugewiesen. Die Mehrheit der Befragten (55 Prozent) fühlt sich beim Thema am ehesten von ihnen vertreten.

Kurzum, Schwarz-Rot legte zum Klimapaket einen Entwurf vor, der selbst die eigene Anhängerschaft nicht überzeugte. Dass im Laufe der nächsten Wochen mehrere Ministerpräsidenten aus den eigenen Reihen der Großen Koalition Nachbesserungen forderten, verstärkte diesen Eindruck. Niedersachsens Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) kritisierte den zu geringen CO2-Preis. Wenn eine Tonne CO2 nur den Gegenwert von drei bis vier Bier habe, sei das eine Symbolik, die nicht passe. Auch der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet (CDU) und Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) forderten Änderungen am Paket.

Grüne Geschlossenheit: Forderung eines höheren CO2-Preises

Die Grünen haben frühzeitig darauf hingearbeitet, eine gemeinsame Position zwischen Bundes- und Ländergrünen zu erzielen. Bei diesem Gesetzgebungsverfahren, das ihr Kernthema betrifft, wollten sie unter allen Umständen Geschlossenheit demonstrieren. Differenzen in den eigenen Reihen sollten vermieden werden, aus zwei Gründen: Zum einen wirken sich Widersprüche gerade im grünen Kernthema negativ im öffentlichen Erscheinungsbild aus, zum anderen schwächen sie die Mitgestaltungsmöglichkeiten im föderalen Verhandlungsspiel. Dies ist auch eine Erfahrung aus der EEG-Reform 2014, bei der die  Doppelstrategie – über die Länder mitregieren, über den Bund opponieren  –  ein schwieriger Spagat für die Partei war und für die Durchsetzung grüner Anliegen eher nachteilig wirkte.

Die Grünen wollten sich daher beim Klimapaket nicht auf eine Blockadeposition im Bundesrat zurückziehen, sondern Regierungsfähigkeit demonstrieren und zudem substanziell mitgestalten. Ihr Ziel war es, als politische Gestaltungskraft mit eigenen Konzepten aufzutreten, die durchsetzungsstark ist. Sichtbarer Ausdruck dieses Bemühens war das Klimasofortprogramm, das die Bundesparteivorsitzende Annalena Baerbock, der Vorsitzende der Bundestagsfraktion Anton Hofreiter und der Ministerpräsident Baden-Württembergs Winfried Kretschmann am 28. Juni 2019 in der Bundespressekonferenz vorstellten. Die Grünen schlugen darin die zügige Einleitung des Kohleausstiegs, einen CO2-Preis von 40 Euro und ein Klimaschutzgesetz vor.

Der CO2-Preis sollte in den Verhandlungen von grüner Seite die wichtigste Rolle spielen. Er mag materiell nicht die zentrale Frage des Klimapakets sein. Aber er hat einen hohen Symbolwert und ist leicht vermittelbar. Obendrein konnten sich die Grünen aus Bund und Ländern hier – anders als zum Beispiel bei der Pendlerpauschale oder den Steuergesetzen – vergleichsweise leicht auf eine gemeinsame Position verständigen, die sich zudem klar von denen der anderen Parteien abhebt.

Für die Ausarbeitung des grünen Klimasofortprogramms griffen die Grünen auf die G-Koordination zurück, eine informelle Struktur, die die Partei in den letzten zehn Jahren aufgebaut hat. Sie dient dazu, mit den unterschiedlichen Interessen zwischen Landes- und Bundesgrünen umzugehen, Konflikte zu moderieren und gemeinsame Schwerpunkte zu identifizieren. Das Klimasofortprogramm wurde nicht in einem formalen Parteigremium verabschiedet, sondern als Autorenpapier der Spitzengrünen von Bund und Ländern. Dass neben Winfried Kretschmann auch alle acht grünen stellvertretenden Ministerpräsident/innen in den Ländern das Papier unterschieben, war ein erstes Signal, dass die Grünen über den Bundesrat Verbesserungen erreichen wollten.

Im September 2019 bekräftigten die Grünen im Deutschen Bundestag den Einstiegspreis von 40 Euro pro Tonne CO2. Die Bundesdelegiertenkonferenz im Oktober 2019 forderte einen CO2-Preis von zunächst 40 Euro, der in 2021 auf 60 Euro steigen solle. Mit Verweis auf diesen Beschluss konnten die Grünen auch in den Ländern glaubhaft in ihrer jeweiligen Koalition ankündigen, einem zu schwachen Klimapaket nicht zustimmen zu können. Sie demonstrierten damit frühzeitig Geschlossenheit und bauten die Drohkulisse auf, das Klimapaket (bzw. Teile davon) notfalls scheitern zu lassen. Dies war auch deshalb glaubwürdig, weil die öffentliche Meinung auf Seiten der Grünen lag und ein Scheitern der Verhandlungen somit eine reale Option war. Die Bundesregierung stand unter Druck.


Ganz Große Koalition einigt sich im Vermittlungsausschuss

Das Klimapaket umfasste ein ganzes Bündel an Gesetzen, das die Große Koalition in zwei Teile zerlegte, um den Widerstand der Länderkammer möglichst klein zu halten. Der Bundestag beschloss das Klimapaket mit den Stimmen der Abgeordneten von CDU/CSU und SPD am 15. November 2019.  Bündnis 90/Die Grünen stimmten dagegen. In seiner Sitzung am 29. November 2019 behandelte der Bundesrat beide Teile.

Der eine Teil des Pakets bestand aus Einspruchsgesetzen: das Gesetz zur Einführung des Emissionshandels im Verkehr und beim Wohnen (BEHG), das Klimaschutzgesetz, das verbindliche jährliche CO2-Ziele für alle Sektoren festlegt, und das Gesetz zur Erhöhung der Flugticketabgabe. Weil die erforderliche Mehrheit von 35 Ja-Stimmen zur Anrufung des Vermittlungsausschusses nicht in Aussicht war, billigte der Bundesrat den Entwurf der Bundesregierung.

Bei zustimmungspflichtigen Gesetzen hingegen verfügen die Grünen, die mittlerweile in 11 Landesregierungen mitregieren, über eine Veto-Position. Gegen sie gibt es keine Mehrheit im Bundesrat. Der steuerrechtliche Teil des Klimapakets war zustimmungspflichtig. Dazu gehörten die Erhöhung der Pendlerpauschale, die Senkung der Mehrwertsteuer von Bahntickets und die steuerliche Förderung der Gebäudesanierung. Die Ministerpräsidenten der Länder kritisierten, die Bundesländer dürften nicht einseitig auf Steuerausfällen sitzen bleiben. So drohten den Ländern beim ursprünglichen Entwurf Steuerausfälle in Höhe von rund 2,5 Milliarden Euro in den kommenden Jahren, dem Bund winkten dagegen Einnahmen durch die CO2-Bepreisung. Für diesen zustimmungspflichtigen Teil rief der Bundesrat mit den Stimmen aller 16 Länder den Vermittlungsausschuss an. Dass der dazugehörige Beschluss den Wunsch nach einer „grundlegenden Überarbeitung“ des Gesetzes ausdrückt, war die Grundlage dafür, dass die Grünen den CO2-Preis in die Beratungen einbringen konnten, obwohl das hierfür relevante Emissionshandelsgesetz BEHG zuvor schon gebilligt wurde. In der politischen Debatte gelang es den Grünen, ihre Forderung nach einem höheren CO2-Preis mit Zugeständnisse bei der Pendlerpauschale zu verknüpfen, die vor allem der CSU ein Anliegen war.

Von den insgesamt 32 Mitgliedern des Vermittlungsausschusses, der sich zur Hälfte aus Mitgliedern des Bundesrates und des Bundestages zusammensetzt, entfallen auf Bündnis 90/Die Grünen gerade mal zwei: ein Mitglied für die Landesregierung Baden-Württemberg und eines für die Bundestagsfraktion. Der Vermittlungsausschuss setzte eine 12-köpfige Arbeitsgruppe mit VertreterInnen von SPD, CDU, CSU und Bündnis 90/Die Grünen ein, die einen Kompromiss aushandeln sollte.

Die Arbeitsgruppe, an der von grüner Seite Ministerpräsident Winfried Kretschmann und der Vorsitzende der Bundestagsfraktion Anton Hofreiter teilnahmen, einigte sich darauf, die finanziellen Lasten des Pakets zu Gunsten der Länder neu aufzuteilen. Zusätzlich schlug die Gruppe vor, die Pendlerpauschale bei längeren Strecken anzuheben sowie den CO2-Preis für Gebäude und Verkehr in einem neuen Gesetzgebungsverfahren deutlich zu erhöhen. Statt der ursprünglich vom Bundestag beschlossenen 10 Euro pro Tonne soll der CO2-Preis ab Januar 2021 zunächst 25 Euro betragen, danach schrittweise auf 55 Euro im Jahr 2025 und bis zu 65 Euro im Jahr 2026. Am 18. Dezember 2019 einigte sich der Vermittlungsausschuss auf diese Änderungen am Klimapaket. Bundestag und Bundesrat beschlossen sie noch in derselben Woche.

Den ausgehandelten Kompromiss haben die Grünen betont abwägend bewertet: einerseits habe man das Ergebnis verbessern können, andererseits sei der Kompromiss nur ein Zwischenschritt und unzureichend, was die Herausforderung der Klimakrise angeht. Deutlich sei auch geworden, dass mehr Ehrgeiz nötig sei, man eben nicht in der Bundesregierung säße.

Fazit

Trotz ungünstiger Ausgangslage haben Bündnis 90/Die Grünen Verbesserungen beim Klimapaket durchgesetzt. Das ist gelungen, weil zunächst die Bewegung Fridays for Future über Monate hinweg sichtbar gemacht hat, dass die große Mehrheit in der Bevölkerung anspruchsvolleren Klimaschutz fordert. Der Rückenwind der öffentlichen Meinung, aber auch der missglückte Aufschlag der Koalition ermöglichte es den Grünen, glaubhaft eine Drohkulisse aufzubauen, Teile des Klimapakets über den Bundesrat zu stoppen. Wichtige Bedingung dafür war das geschlossene Auftreten der Partei für einen höheren CO2-Preis, der nun noch umgesetzt werden muss. Die Grünen haben aus früheren Fehlern gelernt und erheblichen Aufwand betrieben, um sich frühzeitig intern abzustimmen und eine gemeinsame Positionierung der Landes- und Bundesebene zu erreichen.

Im Umkehrschluss legt das Beispiel nahe, dass sich diese grüne Verhandlungsmacht nicht beliebig abrufen oder pauschal auf andere Gesetzgebungsverfahren übertragen lässt. So liegen die Interessen der G-Länder beim Kohleausstieg weiter auseinander als beim CO2-Preis: Landesregierungen ohne relevante Kohleverstromung drängen auf ein zügigeres Abschalten von Kohlekraftwerken als solche, in denen vergleichsweise moderne Steinkohlekraftwerke laufen. Landesregierungen mit Braunkohletagebau drängen auf großzügigere Strukturhilfen als jene Länder, in der keine Kohle gebaggert wird.

Letztlich belegt das Beispiel, dass die Bundesregierung Herrin über das Verfahren ist. Sie hat das Vorschlagsrecht. Die Grünen, im Bund derzeit nur Opposition, können über den Bundesrat allenfalls Verbesserungen erreichen, aber befinden sich doch nur in einer reaktiven Rolle. Immerhin gelang es ihnen, die  Bundesgesetzgebung für eine Politik der ökologischen Modernisierung aktiv über die Länder mitzugestalten. Doch erst eine Regierungsbeteiligung im Bund bietet größeren Gestaltungsspielraum, um die Ziele für eine ökologische Modernisierung grundlegend anzugehen.