Deutlicher Aufwind für Regierungsgrüne

Kurzanalyse

Aus der Landtagswahl in Schleswig-Holstein gehen zwei der drei Regierungsparteien gestärkt hervor. Die Wähler:innen bescheren dem amtierenden Ministerpräsidenten Daniel Günther (CDU) einen beachtlichen Erfolg – bei einer geringeren Wahlbeteiligung als bei der letzten Landtagswahl (60,4 Prozent, - 3,6-Prozentpunkte). Die Grünen erreichen mit 18,3 Prozent ihr historisch bestes Ergebnis in Schleswig-Holstein und werden damit zweitstärkste Kraft vor den Sozialdemokraten. Im Norden der Republik erfährt die AfD eine deutliche Absage und wird nicht mehr im Landesparlament vertreten sein. Wahlentscheidend ist ein Politikstil eines offenen und kooperativen Klimas, unter dem die Zukunft von Energiewende, Klimaschutz und Versorgungssicherheit pragmatisch und konstruktiv angegangen wird. Ausgelöst durch Russlands Krieg in der Ukraine steigt die wahlentscheidende Bedeutung von Themen, die sich unmittelbar aus den Konsequenzen des Krieges ergeben.

Die Landtagswahl bringt zwei deutliche Gewinner:innen hervor – Daniel Günther (CDU) und die Grünen. Daniel Günther erreicht für die CDU einen Stimmenzuwachs von 11,4 Prozentpunkte. Der bei Landtagswahlen wirkende Amtsinhaberbonus zeigt sich außerordentlich stark – selten sind so hohe Zustimmungswerte für einen Kandidaten von Parteianhänger:innen und über alle politischen Parteien hinweg zu beobachten. Günther kann sich dabei auf eine ausgewöhnlich hohe Zufriedenheit der Wähler:innen mit der Regierungsarbeit stützen, die auf gemeinsam mit Grünen und FDP umgesetzte politische Vorhaben und das gemeinsame Angehen von relevanten Zukunftsthemen fußt. Zudem hat er mit der Jamaikakoalition einen pragmatisch-kooperativen Politikstil gepflegt, der als beruhigend auf die jahrzehntelange erbitterte Lagerkonstellation in Schleswig-Holstein wirkt.

Die Grünen mit ihrem Spitzenduo Monika Heinold und Aminata Touré gewinnen deutlich hinzu (+5,4-Prozentpunkte) und erreichen mit 18,3 Prozent ihr bisher bestes Ergebnis bei einer Landtagswahl in Schleswig-Holstein. Zudem ziehen die Grünen mit drei Direktmandaten in den Landtag ein, die sie in zuvor sozialdemokratisch dominierten Wahlkreisen errungen haben (Kiel-Nord, Kiel-West, Lübeck-Süd). Fundament für diesen Wahlerfolg bilden die grüne Landesregierungsarbeit, mit der die Wähler:innen mehrheitlich zufrieden sind (53 Prozent), und die zugesprochene Handlungs- und Lösungskompetenz bei jenen Anliegen, die für die Wähler:innen wahlentscheidend sind.

Deutliche Verluste für SPD sowie FDP und ein Scheitern der AfD an der 5-Prozent-Hürde sorgen für Verschiebungen im Parteienwettbewerb. Die SPD fährt deutliche Verluste ein (-11,3-Prozentpunkte) und kann mit ihrem relativ unbekannten Spitzenkandidaten Thomas Losse-Müller nicht aus der Opposition heraus punkten. Mit nur 16 Prozent erreicht sie ihr historisch schlechtestes Ergebnis in Schleswig-Holstein. Auch die FDP verliert deutlich (-5,4 Prozentpunkte). Ihr gelingt es im Gegensatz zu den Grünen nicht, aus der Regierungsbeteiligung heraus das Wählerpotenzial zu halten. Vielmehr sind mit ihrer Regierungsarbeit deutlich weniger Wähler:innen zufrieden (41 Prozent). Die Wähler:innen im Norden verhindern der AfD den Wiedereinzug in den Landtag. Damit ist Schleswig-Holstein das erste Bundesland, in dem die AfD nicht mehr im Landesparlament vertreten ist. Das gute Abschneiden des SSW (5,7 Prozent) lässt sich durchaus mit seinen programmatischen Schwerpunkten auf soziale Themen verbinden.

Rückenwind für die Grünen mit ihren Themen und ihrer Handlungskompetenz im Land sowie Bund. Vor dem Hintergrund des hohen Personalisierungseffekts, der hohen Regierungszufriedenheit und dem Schatten des Ukrainekrieges zeichnete sich kaum ein bestimmtes Sachthema als dominierend im Wahlkampf und in den Wahlentscheidungen ab. Vielmehr kommt hier ein Bündel von Themen zum Tragen, welches durchaus eng mit den Folgen des Krieges für Deutschland zusammenhängt. Denn auch wenn bei dieser Landtagswahl landespolitische Themen wie Bildungspolitik (14 Prozent) oder Gesundheitsversorgung (11 Prozent) wahlentscheidend sind, von größerer Bedeutung sind die politischen Herausforderungen rund um die Energieversorgung (16 Prozent), der Bewältigung der Klimawende (16 Prozent) und der Umgang mit den Preissteigerungen (14 Prozent) – alles politische Herausforderungen, die stark mit zugeschriebener Handlungs- und Lösungskompetenz für die Grünen einhergehen, und deren Gestaltungsmöglichkeiten auf der Landesebene stark bundespolitisch bzw. europäisch flankiert sind.

Die Landesgrünen können hier durchaus von einem positiven Zusammenwirken von Politikgestaltung im Land und im Bund profitieren. Insbesondere Robert Habeck als Bundeswirtschaftsminister und Landeskind Schleswig-Holsteins, der derzeit unter anderem Lösungen für die drängenden Probleme der Energieversorgungssicherheit und Energiewende gestaltet, verkörpert den Kompetenz-Spill-Over-Effekt. So nehmen 69 Prozent Habeck als unterstützend für seine Partei in Schleswig-Holstein war; anderen Bundesspitzenpolitiker wie Lindner (FDP, 30 Prozent), Scholz (SPD, 27 Prozent) und Merz (CDU, 17 Prozent) werden als weit weniger unterstützend für ihre Parteien eingeschätzt.

Veränderte Kräfteverhältnisse führen zu weniger politisch-machbaren Koalitionen. Mit den veränderten Kräfteverhältnissen im Landtag an der Kieler Förde ergibt sich für die CDU eine komfortable Wahlmöglichkeit zwischen zwei wahrscheinlichen Zwei-Parteien-Koalitionsmodellen. Günther kann hier zum einen auf das klassisch-historische Modell einer bürgerlich gelb-schwarzen Koalition zurückgreifen. Zum anderen kann er eine bürgerlich-progressive Koalition gemeinsam mit den erstarkten Grünen bilden und so die drängenden Zukunftsfragen voranbringen.

Sitzverteilung im Landtag von Schleswig-Holstein 2022 (Veränderung zum vorherigen Landtag)


Eine weiterführende Analyse folgt wie gewohnt in Form eines Böll.Briefs, der innerhalb der nächsten Tagen erscheint.

Anmerkungen: Die Umfragedaten stammen aus der Infratest-Dimap-Vorwahlbefragung. Das vorläufige amtliche Endergebnis beruht auf den Angaben des Statistischen Amts Nord für Hamburg und Schleswig-Holstein.


Dieser Artikel erschien zuerst hier: www.boell.de