Martin Eggstein

Wir stellen vor

Martin Eggstein ist Ministerialdirigent und Abteilungsleiter Energiewirtschaft im Umweltministerium Baden-Württemberg. Er nimmt am Gespräch mit Frank Hettler und Birgit Schwegle teil.

Bild eines Mannes

Herausforderungen der Wärmewende

Die erfolgreiche Umsetzung der Wärmewende ist zentral für die Erreichung der klimapolitischen Ziele des Landes BW.

1.

Die Wärmeversorgung umfasst die Versorgungsaufgaben Bereitstellung von Raumwärme undWarmwasser für private Haushalte und Gewerbe, Handel und Dienstleistungen sowie die Bereitstellung von Prozesswärme für die Industrie. Der Anteil von erneuerbaren Energien an der Bereitstellung von Endenergie zur Wärmeversorgung weist in Baden-Württemberg nur leichte Steigerungsraten und beträgt aktuell ca. 15 %. Während im Neubau überwiegend erneuerbare Energien (vor allem Solarthermie und Wärmepumpen) zur Bereitstellung von Wärme zum Einsatz kommen, dominieren im Bestand nach wie vor dezentrale Öl- und Gasheizungen.

a. Wärmeversorgung von Gebäuden

Auch die Verbesserung der Energieeffizienz der Wärmeversorgung im Gebäudebereich erfolgt nur langsam. Der Gesamtendenergieverbrauch zur Wärmebereitstellung ist über die Jahre weitgehend konstant geblieben, was auf die gegenläufige Wirkung von spezifischen Effizienzsteigerungen einerseits und die gestiegene Bevölkerung sowie die Zunahme bei der pro-Kopf-Wohnfläche anderseits zurückzuführen ist.

Diese geringen Fortschritte lassen sich im Gebäudesektor auf zwei zentrale Hemmnisse zurückführen: zum einen die hohe Lebensdauer der Bauteile (sowohl Gebäudehülle als auch Gebäudetechnik), die zu einer geringen Austauschdynamik führt und die große Zahl der Akteure, die aktiviert werden muss: Eigentümer, WEGs, Wohnungswirtschaft und Mieterinnen.

​​​​​​​b. (Prozess-)Wärme in der Industrie

Mehr als ein Drittel des Endenergieverbrauchs für die Wärmebereitstellung benötigt die Industrie, größtenteils für Prozesswärme, aber auch für Raumwärme und Warmwasser. Wärme wird bei vielen Prozessen benötigt. Insbesondere die Zementindustrie, die Papierindustrie, die Glas- und Keramikindustrie, die Nahrungs- und Futtermittelindustrie sowie die Chemie- und die Fahrzeugindustrie haben in Baden-Württemberg besonders hohe Prozesswärmebedarfe. Das Temperaturniveau der einzelnen Prozesse ist sehr unterschiedlich, zwischen 40 °C und weit über 1.000 °C. Gleichzeitig bestehen nach wie vor hohe Potenziale zur Nutzung von Abwärme, insbesondere über die Firmengrenzen hinweg mittels Wärmenetzen. Das Abwärmekonzept Baden-Württemberg enthält wichtige Maßnahmen, um diese Potenziale zu heben.

Bislang werden lediglich 4 bis 6 % der Prozesswärme aus erneuerbaren Energien erzeugt. Hier besteht ein erhebliches Ausbaupotenzial. Um eine deutliche Reduktion des Wärmebedarfs der Industrie zu erreichen, sind Effizienzmaßnahmen unverzichtbar. Der Brennstoffeinsatz für die Erzeugung von Prozesswärme ist in Baden-Württemberg inzwischen zu einem Großteil auf Erdgas umgestellt. Eine zentrale Herausforderung wird sein, das Erdgas durch erneuerbare Energien zu ersetzen. Zudem sollte der Brennstoffeinsatz möglichst effizient sein und eine Mehrfachnutzung unvermeidbarer Abwärme wo immer möglich realisiert werden.

2. Auf dem Weg zur Wärmewende

Eine treibhausgasneutrale Wärmebereitstellung verlangt sowohl eine Steigerung der Energieeffizienz des Gebäudebestands und der Wärmebereitstellung wie auch die vollständige Umstellung der Wärmebereitstellung auf erneuerbare Energieträger.

Baden-Württemberg strebt bis 2030 eine weitere Reduktion des Endenergiebedarfs für die Bereitstellung von Raumwärme und Warmwasser um rund 10 % an, bis zum Jahr 2040 müssen es mindestens 25 % sein. Der Anteil der erneuerbaren Energien an der gesamten Wärmeversorgung soll bis 2030 auf mindestens 50 Prozent steigen. Zur verstärkten Nutzung der erneuerbaren Energien im Gebäudewärmebereich wird die Elektrifizierung der Wärmeversorgung über Wärmepumpen hinzukommen. Ein gleichzeitiger Ausbau der netzgebundenen Wärmeversorgung ermöglicht die Nutzung verschiedenster erneuerbarer Quellen (Solarthermie, Geothermie, Abwasserwärme, Abwärme, Biomasse).

​​​​​​​a. Umsetzung über kommunale Wärmeplanung

Aufgrund der langen Investitionszyklen müssen heute getroffene Investitionsentscheidungen auf allen Ebenen zu dieser übergeordneten Strategie passen. Die Grundlage für eine zielgerichtete Vorgehensweise bildet die kommunale Wärmeplanung, mit der auf Basis einer Analyse lokaler Bedarfe und Potenziale erneuerbarer Energien eine lokale Strategie für die Transformation der Wärmeversorgung erstellt wird. Alle an dieser Transformation beteiligten Akteure erhalten dadurch Orientierung und Lock-in-Effekte werden vermieden. Die Zusammenschau dieser kommunalenWärmeplanungen ermöglicht wiederum landesweiten Akteuren eine zielgerichtete Infrastrukturplanung, erlaubt die zielgerichtete Ausgestaltung von Förderprogrammen und gibt Hinweise auf Überarbeitungsbedarfe an gesetzlichen Rahmenbedingungen.

b. Sanierung von Gebäuden und Heiztechnologien

Im integrierten Energiesystem werden Gebäude zukünftig auch vor dem Hintergrund ihrerSpeicherpotenziale sowie der Wechselwirkung mit den Bereichen Energieerzeugung und Energieverteilung, Verkehr und Industrie eine wichtigere Rolle spielen.

Dabei ist die langfristige Erreichung eines klimaneutralen Gebäudebestands nur möglich, wenn wir einen klaren Fokus auf den Grundsatz „Energieeffizienz zuerst“ legen. Deutliche Steigerungen in der Sanierungstätigkeit werden wir jedoch nicht ohne Ordnungsrecht realisieren können. Hierzu bedarf es klarer Vorgaben hinsichtlich Auslösetatbeständen (Sanierungspflicht), Umfang der Sanierung und derForm der Wärmebereitstellung. Daraus entstehende Härten sollten durch Ausweitung der Förderung auf die gesetzlichen Standards bei gleichzeitiger Anhebung derselben abgefedert werden. Aus Sicht von Baden-Württemberg sollte im Neubaubereich der gesetzliche Mindeststandard mindestens dem heutigen Effizienzhaus 40 Standard entsprechen. Einzelbauteile im Bestand sollten nach der Sanierung mindestens die Qualitätsanforderungen eines Effizienzhauses (EH) 55 erfüllen.

Baden-Württemberg will bis zum Jahr 2030 die Zahl der Öl- und Gasheizungen um insgesamt 550.000 reduzieren. Gleichzeitig setzen wir den Zielwert von 620.000 installierten Wärmepumpen sowie 110.000 Wärmenetzanschlüssen bis 2030. Zwischen 2031 und 2040 wollen wir die Umstiegsgeschwindigkeit von fossilen Verbrennerheizungen auf Wärmepumpen und Wärmenetze nochmals verdoppeln, sodass 2040 1,6 Mio. Wärmepumpen und 0,5 Mio. Wärmenetzanschlüsse erreicht werden. Dann sollen Wärmepumpen oder der Anschluss an ein Wärmenetz in mehr als 75 % aller Gebäude die Wärmeversorgung sicherstellen. Während Wärmenetze vor allem, aber nichtausschließlich in urbanen Ballungsräumen noch erhebliche Ausbaupotenziale aufweisen, birgt die dezentrale Wärmebereitstellung über Wärmepumpen insbesondere in von Ein- und Zweifamilienhäusern dominierten Siedlungsstrukturen Chancen. Beide Technologien sind heute marktreif und können flächendeckend zum Einsatz kommen.

Gleichzeitig gilt es, die gesetzlichen Rahmenbedingungen für einen sukzessiven Umstieg der erdgasgebundenen Wärmeversorgung in Gasverteilernetzen hin zu nicht fossilen Wärmetechnologien anzupassen. Letzteres unterstützt auch den Wechsel im dezentralen Bereich von Erdgasbrennwertgeräten auf Wärmepumpen. Da diese vor allem im privaten Sektor zum Einsatz kommen werden, müssen Eigentümerinnen und Eigentümer über Funktionsweise, Einsatzmöglichkeiten, Anwendungsbereiche und mögliche Grenzen dieser Technologie aufgeklärt und durch finanzielle Unterstützung auch zum vorgezogenen Austausch der Wärmeerzeuger animiert werden. Unabhängig vom jeweiligen Wärmeerzeugungssystem müssen die Vorlauftemperaturen in den Gebäuden reduziert werden, was in vielen Fällen auch im Bestand mit nur gering intensiven Maßnahmen und ohne Komforteinbußen durchführbar ist.

Aufgrund des existierenden und sich weiter verschärfenden Fachkräftemangels ist eine deutliche Steigerung der Sanierungsrate und des Austausches der Heizungssysteme eine zentrale Herausforderung. Hier müssen innovative Ansätze zur Mobilisierung von Fachkräften sowie zum effizienteren Einsatz der knappen Ressource Facharbeitskraft entwickelt werden wie beispielsweise die serielle Sanierung mit hohem Vorfertigungsgrad oder Plug-and-Play-Wärmepumpen („Volkswärmepumpe“). Durch die hohen Anforderungen an die einzelnen Bauteile wird sichergestellt, dass die Sanierung von Gebäuden oder einzelner Bauteile jedenfalls zielkompatibel sind.

Das Land Baden-Württemberg wird sich auf Bundesebene für entsprechende Reformen des Ordnungsrechts einsetzen und Förderprogramme des Bundes wo möglich und sinnvoll durch Landesförderungen ergänzen. Die etablierte Beratungsstruktur auf Landes- und kommunaler Ebene wird weiter ausgebaut damit Bürgerinnen und Bürger niederschwelligen Zugang zu Informationen rund um die Gebäudesanierung und Heizungstechnik erhalten können. Der Fokus der Landesaktivitäten wird dabei auf den Gebäudebestand und dabei insbesondere auf die energetischschlechtesten Gebäude gelegt, da diese den Endenergieverbrauch dominieren.

Um ihrer Vorbildwirkung gerecht zu werden, müssen Land und Kommunen ihre Liegenschaften möglichst schnell und möglichst umfassend energetisch sanieren.