Das Deutsch-Türkische Anwerbeabkommen

Vor 60 Jahren trat in Deutschland das Anwerbeabkommen mit der Türkei in Kraft. Zuvor waren solche Verträge mit anderen Mittelmeerländern getroffen worden, aus denen die sogenannten „Gastarbeiter“ als Arbeitskräfte in die Bundesrepublik kamen. In der Folge dieser Arbeitsmigration lebt nun die vierte Generation der Nachfahr:innen dieser Menschen in Deutschland.

Hausdächer unter blauem Himmel
Teaser Bild Untertitel
Ein Viertel in Freiburg

Die erste Generation der Zeitzeug:innen gerät in Vergessenheit und stirbt. Sie fehlen im kollektiven Gedächtnis und in der offiziellen Erinnerungskultur. Für die Nachfahr:innen ist das ein schwer zu ertragender Umstand.


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Vergessen, Erinnerung und Anerkennung

Eine Frau mit schulterlangen braunen Haaren schaut lächelnd in die Kamera
Die Autorin Fatma Sagir

In meiner künstlerischen und literarischen Auseinandersetzung mit Vergessen, Erinnerung und Anerkennung habe ich Orte im öffentlichen Raum ausgewählt, die sinnbildlich sowohl für jene Orte stehen, an denen diese Gastarbeiter:innen gewirkt haben, als auch für Orte, an jenen sie unsichtbar bleiben, wie etwa Krankenhaus, Friedhof, Straßen, Baustellen, Gebäude, Siedlungen, Alleen, Parks, Bibliotheken, die Universität, Schule und Theater. Die Auswahl dieser Orte und ihre Darstellung symbolisieren die Abwesenheit der Gastarbeiter:innen und die Erinnerung an sie. Damit auch die fehlende gesellschaftliche und politische Anerkennung ihrer Leistung. Diese fehlende Anerkennung wird nunmehr auch in der dritten und vierten Generation als schmerzlich empfunden.

Ein Gebäude, das mit Baugerüsten umfasst ist
Eine Baustelle an der Uniklinik

Die hier dargestellten Orte befinden sich in Freiburg im Breisgau, doch sie stehen für jeden anderen Ort in Deutschland. Daher spielt die spezifische Historie einzelner Straßen und Orte für meine Betrachtung nur eine untergeordnete Rolle. Hier fungieren sie als Instrumentarium, um Abwesenheit, Erinnerung und Vergessen zu signalisieren. Jede Person erlebt diese Straßen und Plätze sehr individuell. Manche gehen achtlos an ihnen vorbei. Für andere tragen sie Bedeutung. Diese Spannung erzeugt genau jenen Raum, in den dieser poetische Spaziergang hineingedacht ist.

Gastarbeiter - Gastarbeiterin?

In dem Auftakt-Stück verwende ich den Begriff Gastarbeiter als feststehenden Terminus, der Männer und Frauen vereinnahmt und gleichmacht. Frauen vergisst er bisweilen gar ganz, aber er ist auch Arbeitsbegriff in der erinnerungskulturellen Praxis, mit dem es sich auseinanderzusetzen gilt.

Absperrung an einer Baustelle

Künstlerisch betrachte ich die Orte in meinen Texten als Symbole der tradierten unsichtbaren Sichtbarkeit der Gastarbeiter:innen. Ich möchte kein spezifisches passives Bild reproduzieren, sondern die fehlende Erinnerung, Anerkennung und Sichtbarkeit in der Verdichtung der Symboliken verdeutlichen.

Pflastersteine

Die Verweigerung einer Erinnerung an diese erste Generation geschieht häufig in den Familien selbst, da diese Erfahrungen der Fremde, Abwertung, Ausgrenzung und Armut besonders schambehaftet sind.

Das Titelbild

Eine Hauswand mit einer kleinen Fenster

Das Titelbild zeigt die Rückwand des sogenannten Dorfzimmers. Es wird auch Büyük Oda, also Großes Zimmer, genannt. Dieses Zimmer ist seit etwa dreihundert Jahren im Besitz meiner Familie. In diesem Zimmer werden Feste gefeiert, Festessen ausgerichtet, Gäste bewirtet. Hier werden Geschichten erzählt. Hier wird die mündliche Überlieferung tradiert.


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