Aachen: „Wenn wir es selber nicht tun, können wir es auch nicht von anderen Frauen einfordern“

Kommentar

Aachen hat den Großstädterankings immer im oberen Drittel abgeschnitten, war aber nie auf einem Spitzenplatz. Die parteilose Oberbürgermeisterin kommentiert den dritten Platz Aachens und erklärt, wie wichtig übergreifende Netzwerke und eine andere Sitzungskultur sind.

Seit dem September 2020 bin ich Oberbürgermeisterin in Aachen. Als Pädagogin war ich überrascht, als die Grünen mich gefragt haben, ob ich für sie kandidieren möchte. Quereinstiege sind in der Politik immer noch eine Ausnahme. Ich war aber überzeugt, dass genau jetzt die Zeit ist, um selbst politisch aktiv zu werden. Die Repräsentanz von Frauen in Führungspositionen war mir immer wichtig. Und ich habe der Kandidatur schnell zugestimmt, denn wenn wir es selber nicht tun, können wir es auch nicht von anderen Frauen einfordern. Ich bin überzeugt, dass Frauen in der Frage, wie wir die Welt transformieren können, einen wichtigen Beitrag leisten.

In meiner neuen Rolle erlebe ich hautnah die mangelnde weibliche Repräsentanz in den Führungspositionen. Dass wir noch so viele männerdominierte Bereiche haben, zeigt: Da ist noch viel zu tun. Eine quotierte Besetzung fordere ich deswegen immer wieder ein. Wir kommen um die Quote nicht herum. Ohne eine Reglementierung werden wir den Frauenanteil in den Führungsetagen kurzfristig nicht erhöhen. Es passiert viel, aber es ist dennoch definitiv zu wenig.

Deswegen ist es wichtig, mehr Quereinsteigerinnen in die Politik zu bringen, denn das erhöht die Diversität in der Repräsentanz und erweitert den Blickwinkel. Wir brauchen diverse Teams und die Herangehensweise von Frauen, um die Breite der politisch dringenden Themen bewältigen zu können. Es gibt Studien, die belegen, dass diverse Teams wirtschaftlich um 30 Prozent erfolgreicher sind als homogene. Aber Diversität ist nicht nur eine Frage des Frauenanteils, wir müssen auch schauen, ob die Menschen, die in unserer Stadt leben, in den politischen Gremien und in der Verwaltung wirklich vertreten sind. In Aachen sind etwa Bürgerinnen und Bürger mit Migrationshintergrund gemessen an ihrem Bevölkerungsanteil nicht stark genug repräsentiert.

Besonders im Bereich Bildung kann noch viel getan werden. Wir müssen zum Beispiel früh anfangen, Mädchen zu empowern, ihnen Räume geben, in denen sie stark werden können. Als Stadt Aachen unterstützen wir das Bündnis der Initiative Klischeefrei, das sich unter anderem für eine Berufs- und Studienwahl frei von Geschlechterklischees einsetzt. Im kommenden Jahr wollen wir am Weltfrauentag das Rathaus für Frauen öffnen, am Vormittag laden wir dann Grundschülerinnen ein. Denn ich merke, wie wichtig ich als Vorbild bin. Ich habe kürzlich eine Gruppe Schülerinnen und Schüler in einer Nachbarstadt getroffen, die begeistert mit mir ein Selfie gemacht haben. Das ermutigt mich weiterzumachen, mehr Frauen ein Forum zu schaffen.

Es fängt mit Vorbildern an: starke Mütter oder starke Großmütter. Für mich war zum Beispiel zentral, dass ich ein katholisches Internat mit Ordensschwestern besucht habe. Da habe ich autonome, starke Frauen erlebt, die mich sehr gefördert haben.

Und ich merke: Politikerinnen brauchen Netzwerke und eigene Seilschaften. Die müssen sie suchen oder selbst gestalten, denn oft fehlen die Settings, wie Vereine, Businessclubs und Stammtische, wo Frauen zusammenkommen. Im Rahmen der Verleihung des Karlspreises habe ich zwanzig Frauen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft zu einem Gespräch mit einer Preisträgerin eingeladen. Da konnte ich eine Tür für unterschiedliche Frauen aufmachen, um sich über die eigenen Erfahrungen auszutauschen. Die Hindernisse für Frauen sind ja in vielen Bereichen ähnlich: Vereinbarkeit von Beruf und Familie oder gewachsene Machtstrukturen. Es ging in diesem Austausch oft um mangelnde Netzwerke. Deswegen möchte ich noch mehr Foren schaffen, um sich gegenseitig zu stärken.

Das funktioniert auch über Parteigrenzen und Institutionen hinweg. Wichtig ist, offen zu sein, zu lernen, Frauen anzusprechen, eine eigene Idee zu vermitteln. Das Verbindende zu suchen, anstatt sich abzugrenzen. Dafür möchte ich auch eine andere Sitzungskultur stärken. Bei unseren Treffen mit dem Verwaltungsvorstand starten wir deswegen mit der Frage: Welches war mein positivstes Erlebnis in der vergangenen Woche? Es geht mir darum, eine kommunikative und lösungsorientierte Kultur zu erschaffen, Raum für Diskurse. Das ist eine weibliche Herangehensweise. Und das bedeutet einen Kulturwechsel.


Dieser Artikel erschien zuerst hier: www.boell.de