Gemeinwohlökonomie in der Kommunalpolitik (2/16)

Podcast

Gemeinwohl in den Fokus innerhalb der Wirtschaft stellen: Darum geht es in der Gemeinwohlökonomie. Und wie genau die Gemeinwohlökonomie in der Praxis klappt, erfahrt ihr in dieser Böll.Regional Folge aus Schleswig-Holstein.

Die Gemeinwohlökonomie stellt das Gemeinwohl und nicht den maximalen Profit in den Fokus. Dabei spielen auch die 17 Nachhaltigkeitsziele, auch SDGs, eine entscheidende Rolle. Doch wie verändert sich eine Gemeinde unter der Gemeinwohlökonomie? Welchen Effekt hat die Gemeinwohlökonomie auf die Bürger*innen?
 In der schleswig-holsteinischen Gemeinde Klixbüll wird die Gemeinwohlökonomie bereits gelebt. Der Bürgermeister, Werner Schweizer, spricht in dieser Böll.Regional Folge darüber, wie die Gemeinwohlökonomie in der Gemeinde entstanden ist, wie die Nachhaltigkeitsziele damit verbunden sind, und ob die Gemeinwohlökonomie auch auf größere Städte anwendbar wäre.

Ein Podcast mit:

  • Werner Schweizer, Bürgermeister der schleswig-holsteinischen Gemeinde Klixbüll

  • Max Nettlau, Heinrich-Böll-Stiftung Schleswig-Holstein

Diese Podcastreihe wurde im Rahmen des Verbundprojektes „Wirtschaften mit Zukunft“ konzipiert.


Shownotes:

Gemeinwohlökonomie Deutschland: https://germany.ecogood.org/

Gemeinde Klixbüllhttps://www.klixbuell.de/

SDGs: https://sdgs.un.org/ (eng.)

Heinrich-Böll-Stiftung Schleswig-Holstein: https://www.boell-sh.de/de

Webseite des Verbundprojektes „Wirtschaften mit Zukunft“: https://www.boell.de/de/wirtschaften-mit-zukunft

Transkript

Intro: Hallo und herzlich willkommen zu einer neuen Folge der Reihe „Böll Regional“, in der wir euch Projekte aus verschiedenen Bundesländern vorstellen. Diese Staffel dreht sich um die Frage nach dem Wirtschaften mit Zukunft. Wir werden dabei Projekte und Unternehmen aus unterschiedlichen Branchen präsentieren, die uns Wege zu einem nachhaltigen Wirtschaften zeigen.

Max Nettlau: Moin, ich bin Max Nettlau von der Heinrich Böll Stiftung in Schleswig Holstein und berichte heute aus dem echten Norden, aus Schleswig Holstein. Für diese Folge bin ich fast in Dänemark gestrandet, nämlich in der kleinen, aber wunderschönen Gemeinde Klixbüll. Und dort habe ich mit dem Klixbüller Bürgermeister Werner Schweizer gesprochen. Seit dem Februar 2019 ist Klixbüll eine Gemeinde, welche die Gemeinwohlökonomie auf allen Ebenen der Gemeinde lebt. Dabei steht, wie der Name es bereits sagte, nicht der maximale Profit im Vordergrund, sondern das Wohl der Gemeinde. Und wie das klappt, wird uns Werner Schweizer gleich erzählen können. Ich bin mal gespannt, was uns der Bürgermeister berichten kann, wie die Gemeinde auf die Idee kam, wie die Umsetzung lief. Und ist die Gemeinwohlökonomie eigentlich auch auf größere Städte übertragbar?

Übrigens, bevor es losgeht: Im Gespräch wird viel über SDGs gesprochen: Bei den Sustainable Development Goals, den SDGs, im Deutschen auch als Agenda 2030 bezeichnet, handelt es sich um einen globalen Aktionsplan der Vereinten Nationen, welcher 17 Ziele für eine nachhaltige Entwicklung formuliert. Die SDGs wurden 2015 verabschiedet und fungieren als grundlegende Orientierungspunkte für bis 2030 angestrebte globale Veränderung.

Max Nettlau: Ja, Werner. Schönen guten Morgen. Schön, dass wir uns heute zusammengefunden haben. Wir haben uns ja darauf geeinigt, dass wir uns heute duzen im Interview. Und ich bin schon richtig gespannt, was heute bei rauskommt bei der Böll Regional Folge. Herzlich willkommen!

Werner Schweitzer: Ja, Guten Morgen.

Max Nettlau: Ja, Du bist Bürgermeister in Klixbüll. Was heißt denn konkret Gemeinwohlökonomie? Und wie genau ist sie denn eigentlich in Klixbüll entstanden? Gab es dafür nicht so eine Art Auslöser bei euch?

Werner Schweitzer: In der Gemeinwohlökonomie steckt ja alles Wichtige drin, denn alles soll ja dem Gemeinwohl, der Gemeinschaft dienen. Und dann kommt zum Gemeinwohl eben die Ökonomie, und die spielt eine ganz große Rolle. Das heißt, auch die Ökonomie muss letztendlich den Menschen dienen. Und unsere Definition als Gemeinwohlökonomie ist eine Ökonomie Form, die anderen Menschen keinen Schaden zufügt. Das ist unsere Kurzform.

Max Nettlau: Und wie ist die in Klixbüll entstanden? Das ging ja wahrscheinlich nicht von heute auf morgen.

Werner Schweitzer: Nein, alle Prozesse brauchen ja ihre Zeit. Und man geht ja manchmal eine Zeit lang schwanger mit etwas. Und dann kommt der Entschluss. Bei uns waren es letztendlich die 17 strategischen Nachhaltigkeitsziele, mit denen wir uns beschäftigt haben und dann auch immer auf der Suche waren. Welches Hilfsmittel, welchen Werkzeugkasten kann ich finden, um diese Ziele auch besser umsetzen zu können? Und da haben wir entdeckt, dass die Matrix der Gemeinwohlökonomie ein Hilfsmittel sein könnte, ein echter Werkzeugkasten. Drauf gekommen sind wir auf die Gemeinwohlökonomie durch das Christian Jensen Kolleg, eine kirchliche Einrichtung hier an der Westküste, die sich sehr stark mit Bildung und Fortbildung beschäftigen. Und die haben mit ihrem Betrieb, der immerhin 15.000 Übernachtungen pro Jahr beherbergt, eine gemeinwohl ökonomische Orientierung durchgeführt nach der Firmenmatrix. Und da konnte ich sehen, was ich in diesem Organisationsgebilde alles verändert hat. Und das hat mich überzeugt und gesagt, das kann eigentlich auch sehr gut auf eine Gemeinde passen. Und deshalb haben wir uns da auf den Weg gemacht.

Max Nettlau: Ja und wie haben denn die BewohnerInnen auf diese Umstellung reagiert und welche Auswirkungen hat das denn für Sie?

Werner Schweitzer: Ja, die Bewohner bekommen es im ersten Moment gar nicht mit. Man muss ja sehen, eine Gemeinde konzentriert sich letztendlich in der Gemeindevertretung. Da findet sich eine Gemeinde erst mal wieder, denn ich kann da nicht mit 1000 Leuten sprechen, sondern wir haben eine repräsentative Demokratie. Die Leute haben gewählt und da sitzen jetzt elf GemeindevertreterInnen in diesem Gremium. Das heißt, alle 100 haben einen Vertreter sozusagen. Wenn man so umrechnet und mit denen wird es dann erst mal diskutiert und auf den Weg gebracht. Und erst im Laufe des Prozesses gab es dann Bürgerbeteiligung mit Workshops und Open Space und was da alles so gemacht wird. Und darüber ist dann die Bevölkerung einbezogen. Aber das ist auch so Dinge, wenn sie beschleunigt vorangehen sollen, dann ist natürlich über die Stadt oder Gemeindevertretung ein super Weg, denn da bin ich schon im System. Ich brauche eine Idee nicht erst ins System bringen, sondern kann sofort aus dem System heraus wirken Und dadurch erfährt man auch eine gewisse Beschleunigung.

Max Nettlau: Und was für positive Auswirkungen hat die Gemeinwohlökonomie dann auf die Bewohner?

Werner Schweitzer: Also man muss klar sagen, dass es da ein eine Leitbildfrage. Woran orientiere ich mich? Was sind meine Werte? Und durch diese Wertematrix verändert sich natürlich auch die Denkweise. Das ist letztendlich wie ein Implantat, dass in einen gesetzt wird. Und man geht mit dieser Matrix stärker durch die Welt und verändert sein Verhalten. Und das verändert wiederum Entscheidungen als einer. Ein Kollege, der hier sehr intensiv mitgemacht hat, ein Malerbetrieb und er sagte seine seine Lieferanten tun ihm jetzt leid, weil er stellt ganz andere Fragen plötzlich. Und sie, die Lieferanten, kommen von sich aus und sagen dann schon auch wir haben jetzt dieses und jenes gemacht. Also das sieht man, die Hebelwirkung des Ganzen letztendlich. Und ich möchte mal ein Beispiel geben, was bei uns in der Gemeindevertretung in einer Klausurtagung passiert ist. Wir machen für größere Themen in der Regel zweimal im Jahr eine Klausurtagung, wo wir intensiv größere und schwierigere Themen in Ruhe behandeln können. Und das sagt dann ein Gemeindevertreter, ein ganz Konservativer, der sagt: Jetzt haben wir eine SDG Auditing gemacht und eine GWÖ auditierung und alles so ein Kram Originalton Und ich finde, das sollte man auch stärker merken. Und dann sagten wir in der Gruppe: Und an was denkst du? Und dann sagt er das jetzige Neubaugebiet, das sollte eigentlich ein Zweitwagen freies Baugebiet werden. Wenn man diese Dinge ernst nimmt. Und an diesem Beispiel sehen Sie, ohne diesen geistigen Überbau SDG und GWÖ wäre so ein Gedanken gar nicht gekommen. Das sind die strategischen Zusammenhänge, die sich da entwickelt. Und von daher kann ich nur empfehlen, sich auf diesen Weg zu machen. Wir haben ja zuerst in der Kommune die Agenda 2030 Resolution des Deutschen Städte und Gemeindetages unterzeichnet und das kostet nicht mal was. Also das ist die gute Nachricht. Man hat aus dem Bundesentwicklungsministerium diese Idee entwickelt, die dann in den Deutschen Städte und Gemeindetag hineingebracht wurde. Und der stellt diese dieses Solutionspapier zur Verfügung und das können Sie als Gemeinde unterzeichnen. Aber vor der Unterzeichnung steht da die Behandlung des Themas und da wird auch dann dieses Gedankengut verinnerlichkeit. Und jetzt kommt die schöne Geschichte Die SDGs, die Sustainable Development Goals sind ja Ziele, und die Gemeinwohlökonomie hat mit Werten zu tun. Und das sieht man sehr deutlich und wunderbar, wie sich diese beiden Systeme ergänzen können. Von daher kann ich empfehlen, dass beides gemacht wird. Und gerade für Kommunen, die kleiner als 5000 Einwohner sind, denn über 5000 Einwohner bei diesen Gemeinden führt die Bertelsmann Stiftung die kompletten Datenerhebungen durch für die 17 strategischen Ziele und 369 Unterziele. Und dann haben sie eine fantastische Datenlage. Das haben wir als kleine Kommune natürlich nicht. Das ist ein gewisser Nachteil. Und diese Datenlage schafft man sich dann aber ein Stück weit über diese gemeinwohl ökonomische Auditierung.

Max Nettlau: Ja, das ist ja schon angesprochen. Kommunen, über 5000 BewohnerInnen und wir wollen jetzt mal so ein bisschen über den Tellerrand hinaus gucken. Ist denn die Gemeinwohlökonomie auch in einem größeren Umfang möglich, beispielsweise in einer Stadt wie Flensburg oder Kiel oder sogar in anderen Bundesland?

Werner Schweitzer: Also ich gehe sogar noch weiter. Die Gemeinwohlökonomie muss letztendlich überall Einzug erhalten, um das Gesamtsystem, ökologisches System, ökonomisches System, soziales System in die Balance zu bringen und dass man sich auch wieder orientiert, was die Lebensgrundlage ist. Die Lebensgrundlage ist letztendlich nicht die Ökonomie, sondern auch die Ökonomie hat eine dienende Funktion dem Menschen gegenüber und alles beruht auf der Ökologie. Das ist die Lebensgrundlage und das muss auch der Orientierungsmaßstab natürlich sein, dass ich die Ökologie, die die Erde nicht überlaste, das ist eigentlich die Aufgabe und von daher kommt man um eine gemeinwohl ökonomische Geschichte gar nicht herum. Und meine Idealvorstellung wäre, dass es eben für jedes Produkt oder auch für jede Dienstleistung ein gemeinwohl ökonomisches Label geben würde, wo sie auf dem Produkt genau sehen. Das hat so und so viel Punkte, dann ist auf diesem Produkt noch ein QR Code. Da können Sie dann nachschauen, welcher Footprint im Energiebereich, Wasserverbrauch usw. da ist und dann bräuchten Sie kein anderes Label mehr. Und jetzt kommt die gute Nachricht in der EU Der Giegold, der beschäftigt sich tatsächlich mit diesen Themen und darüber wird auch diskutiert. Wir wissen, das ist keine leichte Geschichte, auch kein schneller Weg, aber es ist bereits in der Diskussion und das freut mich natürlich sehr.

Max Nettlau: Ja, total spannend. Und nun eine letzte Frage Die Böll Regional Staffel dreht sich ja um Wirtschaften mit Zukunft. Worin besteht denn für euch euer Beitrag zu einem Wirtschaften mit Zukunft?

Werner Schweitzer: Also wir haben in Übereinstimmung mit der UNO, das sind wir uns im Dorf einig und haben ein klares Bild, welches der 17 SDGs das wichtigste ist. Und es ist die Nummer 13 der Klimaschutz. Denn wenn der Klimaschutz nicht gelingt, dann werden die anderen 16 auch nicht richtig gelingen können. Stellen Sie sich vor, bei uns brechen die Deiche oder das Hochwasser kommt so stark, dass wir hier flüchten müssen. Dann wird es Armut geben, dann wird es Hunger geben, dann wird es keine gute Bildung mehr geben. Und von daher ist das eben das Primärziel und daraus entsteht eine Hierarchie der Logik. Wenn ich weiß, dass ist das Wichtigste, dann müssen sich bestimmte Dinge auch unterordnen. Und jetzt ist die Frage, wie Sie die Mitigation aus? Die Mitigation, die Abmilderung dieses Problems schaffen wir in unserem Dorf durch SDG sieben: erneuerbare und bezahlbare Energie. Denn erneuerbare Energie ist der Schlüssel für die Lösung der Herausforderung. Und deshalb sind wir in diesem Bereich nach dem Motto: Stärken stärken, schwächt Schwächen stark unterwegs und werden da auch immer stärker. Und alles mit Bürgerbeteiligung. Also alle unsere Energieprojekte und Windkraftanlagen sind zu 100 % in Bürgerhand und das ist eben auch Gemeinwohl ökonomisch. Dass auch der Gini Faktor sich nicht immer mehr zum Negativen entwickelt, die Schere arm reich nicht immer weiter auseinandergeht, auch da wirken wir entgegen und so sind wir unterwegs und dadurch erfüllen wir auch sehr stark SDG 16. Nämlich Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen. Und ich muss eine starke Institution sein, um meine Aufgaben auch erfüllen zu können. Und dazu gehört auch auch finanzielle Stärke. Und auch da hilft uns sogar der Klimaschutz über SDG sieben, weil wir Produzent erneuerbarer Energie sind und dadurch auch die Ökonomie der Gemeinde stärken. Das ist unsere Zukunftswirtschaft Viel mehr können wir leider nicht hier im flachen Land. Und man muss immer nach dem USP, nach diesem Unique Selling Point suchen. Man muss ihn finden und dann überlegen setzt man ihn um. Und USP ist bei uns auf jeden Fall die Möglichkeit zur Erzeugung erneuerbarer Energie. Und das machen wir eben vollumfänglich zu 100 % mit den Bürgern.

Max Nettlau: Ja, also ich habe jetzt schon ziemlich viel über die Gemeinwohlökonomie lernen können und fand es sehr spannend, besonders spannend fand ich, wie die SDGs, also die Nachhaltigkeitsziele mit der Gemeinwohlökonomie verknüpft sind. Übrigens der Gini-Faktor, oder Gini-Koeffizient ist ein statistisches Maß zur Messung von ungleichen Verteilung von Ressourcen. Weitere Informationen zu der Gemeinwohlökonomie und den Nachhaltigkeitszielen findet ihr in den Shownotes dieser Episode. Vielen Dank an meinen Gesprächpartner, Werner Schweizer.
 
Ja, und das war sie nun die Folge aus dem echten Norden zum Thema Gemeinwohlökonomie, welche von der Heinrich Böll Stiftung Schleswig Holstein produziert wurde.

Outro:

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Dieser Artikel erschien zuerst hier: www.petrakellystiftung.de