Die Veranstaltung fand in Kooperation mit der Landeszentrale für politische Bildung Baden-Württemberg, der Friedrich-Ebert-Stiftung Baden-Württemberg, der Heinrich-Böll-Stiftung Baden-Württemberg, der Konrad-Adenauer-Stiftung e.V. Bildungsforum Baden-Württemberg, der Reinhold-Maier-Stiftung Baden-Württemberg und des Ev. Bildungszentrums Hospitalhof Stuttgart statt.
Audio-Aufzeichnung Demokratie schützen! Aber wie?
Am Montag, 14. Oktober 2024, diskutierten im Hospitalhof Stuttgart Prof. Dr. Uwe Jun, Prof. Dr. Daniela Winkler und Rafid Kabir unter Moderation von Dr. Max Bauer über die drängende Frage: „Demokratie schützen! Aber wie?“.
Transkript
Demokratie in Gefahr, Demokratie in stürmischen Zeiten, Demokratie im Feuer, die verwundbare Demokratie, ist das noch Demokratie oder kann das weg? An Titeln in dieser Tonlage herrscht kein Mangel. Und natürlich hat das seine Gründe. Der Zustand von Demokratie weltweit ist im Superwahljahr 2024 allgegenwärtiges Thema, auch in Deutschland. Wir wollen heute Abend mit unserer Veranstaltung auf andere Weise ansetzen. Wenn Sie so wollen andere Töne anschlagen.
Sibylle Thelen: So, einen wunderschönen guten Abend meine sehr geehrten Damen und Herren. Ich blicke in einen vollen Saal, das ist von hier vorne die reine Freude zu sehen. Ich freue mich sehr, Sie begrüßen zu dürfen. Und ich beginne meine Begrüßung gleich mit einer Frage: Waren Sie in der letzten Zeit einmal in einem Buchladen und haben Sie gesehen, wie viele Titel zum Thema Demokratie in diesen Zeiten erscheinen?
„Demokratie schützen! Aber wie?“ So lautet der Titel unserer Veranstaltung und stellt damit die zentrale Frage schlechthin, die Demokratinnen und Demokraten umtreibt. Und wenn ich mich so umschaue, dann habe ich schon den Eindruck, dass Sie diese Frage auch umtreibt und sehr bewegt, zumindest mal hierher bewegt hat. Liebe Interessierte, liebe Teilnehmende, liebe Schülerinnen und Schüler von der Jörg Rathgeb Schule in Stuttgart Neugereut und von den Lessingschulen in Stuttgart, ich freue mich sehr, dass Sie alle da sind. Im Namen der Landeszentrale für politische Bildung und auch im Namen aller beteiligten Kooperationspartner darf ich Sie ganz, ganz herzlich begrüßen. Die Frage, wie Demokratie geschützt werden kann, beschäftigt uns Kooperationspartner alle gleichermaßen, gleichgültig von welcher Organisation wir sind und welchen politischen Hintergrund unsere Arbeitgeber oder unsere Stiftungen, unsere Organisationen haben. Deshalb ist es uns auch ein großes Anliegen, diese Veranstaltung heute Abend gemeinsam durchzuführen. Und ich sage das im Namen meiner Kolleginnen und Kollegen von der Friedrich Ebert Stiftung Baden-Württemberg, von der Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg, von der Konrad Adenauer Stiftung, Bildungsforum Baden-Württemberg und von der Reinhold Maier Stiftung Baden-Württemberg. Und ich sage das natürlich auch im Namen des evangelischen Bildungszentrums Hospitalhof. Liebe Ulrike Camara, der Hospitalhof hat wieder seine Türen zu diesem wirklich wunderschönen Veranstaltungsort weit geöffnet. Herzlichen Dank dafür und herzlichen Dank auch meinen Kolleginnen und Kollegen für die ganzen Vorbereitungen: Florian Koch, Stefan Hofmann, Melanie Kögler und Sabine Demsar.
Ja, Demokratie schützen, aber wie? Diese Leitfrage wird unser Podium aus unterschiedlichen Perspektiven betrachten. Die Stuttgarter Juristin und Professorin Dr. Daniela Winkler, der Politikwissenschaftler Professor Dr. Uwe Jun und der Demokratie Influencer Rafid Kabir. Unser Moderator, Herr Dr. Max Bauer wird unsere Podiumsgäste gleich noch näher vorstellen. Wer jetzt hier der Journalistin Gigi Deppe erwartet hatte, die eigentlich diesen Abend moderieren sollte, so muss sie sagen, Herr Dr. Bauer hat kurzfristig für Frau Deppe diesen Abend übernommen. Er ist Kollege, er ist ebenfalls bei der ARD-Rechtsredaktion in Karlsruhe tätig und er berichtet von dort vom Bundesgerichtshof, vom Bundesverfassungsgericht und auch über die Rechtsprechung des Menschenrechtsgerichtshof in Straßburg und des EuGH in Luxemburg.
Wir sind sehr gespannt auf das Podium und, liebes Publikum, wir sind auch sehr gespannt auf Ihre Reaktionen. Lassen Sie sich von den interaktiven Möglichkeiten der Einmischung überraschen und auch gerne motivieren. Und natürlich stellen Sie Fragen,
unser Podium ist darauf eingestellt. Auch Ihre Standpunkte sollen in das Gespräch einfließen, in ein Gespräch, das nichts beschönigen will, das aber zugleich auch die Potenziale von Demokratie verdeutlichen möchte ihre Wehrhaftigkeit, ihre Resilienz, ihre Kraft zur Erneuerung und Veränderung. Und vielleicht auch ihren Mut zur Korrektur. Ich wünsche uns allen einen erkenntnisreichen, anregenden Abend. Viele gute Gedanken. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und Max Bauer, ich übergebe Ihnen und Ihrem Podium das Wort.
Dr. Max Bauer: Ja, Hallo. Guten Abend. Sehr schön, dass Sie so zahlreich erschienen sind. Und ich sag gleich mal zu den Diskutanten: Kommen Sie ruhig hierher, Herr Jun, Frau Winkler, Herr Kabir, nehmen Sie Platz, damit es gleich eine Runde wird und ich Sie vorstellen kann.
Ich mache das jetzt ganz prosaisch. Ich stelle als erstes Daniela Winkler vor. Daniela Winkler ist Professorin für Öffentliches Recht am Institut für Volkswirtschaftslehre und Recht der Universität Stuttgart. Ja, und für unser Thema glaube ich ganz spannend. Frau Winkler beschäftigt sich mit dem Umwelt- und Energie Recht. Das klingt sehr technisch ist aber natürlich eigentlich die Beschäftigung mit der Zukunftsaufgabe, die wir haben, dem ökologischen Wandel, dem Umgang vor allem auch mit dem Klimawandel. Und dann noch ein ganz anderer Aspekt, glaube ich für unsere Diskussion heute nämlich die Tatsache, dass ich Frau Winkler beschäftigt mit der Art und Weise, wie man im Grunde bei dieser Riesenaufgabe ökologischer Wandel die Menschen mitnimmt, nämlich sozusagen demokratisch beteiligt an den vielen Veränderungen, die vielleicht anstehen.
Kommen wir zu Uwe Jun. Uwe Jun ist Professor für Politikwissenschaft an der Universität Trier und sein Forschungsschwerpunkt passt auch ganz hervorragend zu unserem Demokratie Thema. Herr Jun beschäftigt sich mit den politischen Parteien in Deutschland, mit der Parteienforschung. Und ich habe gelesen, Herr Jun, schon Ihre Doktorarbeit hatte einen sehr vielversprechenden Titel im aktuellen Sinne, Koalitionsbildung in den deutschen Bundesländern. Ich denke an bestimmte Bundesländer im Osten dieses Landes. Und jedem ist klar, warum Herr Jun hier sitzt. Mehr muss ich gar nicht sagen. Herzlich willkommen, Herr Jun.
Ja, und die ostdeutschen Bundesländer waren schon angesprochen. Ich denke jetzt gerade besonders an Thüringen, wenn ich an die Arbeit von Rafid Kabir denke. Ich kannte ihre Arbeit nicht, auf TikTok und auf Social Media. Dann sind mir in den letzten Tagen Videos untergekommen, die beschäftigen sich vor allem mit der ersten, so chaotischen Landtagssitzung im thüringischen Landtag. Und da hat Herr Kabir mit sehr deutlichen Worten das zusammengefasst und Stellung genommen dazu. Er macht Videos auf TikTok, auf Instagram in sozialen Medien und beschäftigt sich vor allem auch damit, wie in sozialen Medien etwas wieder unsere Gegenwart bestimmt, was man ja vielleicht lange so ein bisschen vergessen hatte. Dass nämlich die Öffentlichkeit sehr stark durch ein altes Wort, Propaganda, geprägt ist. Vor allem für junge Leute und auf diesen Plattformen macht Rafik Kabir etwas, was man Demokratie Influencer nennen könnte. Auch was das ist, werden wir hoffentlich im Laufe des Abends erfahren. Herzlich willkommen!
Ja, „Demokratie schützen! Aber wie?“, das ist der Titel dieses Podiums und ich finde, der Titel drückt schon ziemlich genau das aus, was wahrscheinlich viele Demokratinnen und Demokraten derzeit umtreibt, mich auch. Ich muss sagen, eine gewisse Stimmung, die man ausdrücken könnte mit dem Begriff Ratlosigkeit. Seien wir ehrlich, es gibt eine Partei in unserem Spektrum, die AfD. Und wenn man sich dann zum Beispiel die Verfassungsschutzberichte anschaut, die sich beschäftigt mit der AfD in den ostdeutschen Bundesländern, in Thüringen, aber auch in Sachsen und in Sachsen-Anhalt, dann ist das Bild eigentlich ziemlich klar. Die Inhalte dieser Partei, die richten sich gegen Menschenwürde, gegen Demokratie, gegen Rechtsstaatlichkeit. Einzelne Politiker der AfD äußern auch heftigen Antisemitismus, Geschichtsrevisionismus, wie ich gelesen habe in einem Verfassungsschutzbericht. Und trotzdem jetzt diese Wahlerfolge im Osten, in Thüringen, in Sachsen, auch in Brandenburg. Und man fragt sich schon als Demokrat wie kann das eigentlich sein? Wie können erwachsene Menschen eine Partei wählen, die sich gegen die Demokratie wendet? Nicht selten mit den Mitteln der Demokratie. Und vor allem was können Demokratinnen und Demokraten gegen solche Entwicklungen tun? Das wollen wir klären. Wir wollen vielleicht etwas weniger ratlos sein nach diesem Abend. Angesichts dieser Diagnose. Und ich fange mal gleich an mit Ihnen, Frau Winkler, für unsere Einstiegsrunde.
Wenn man sich das Personal der AfD anschaut, das auch in den letzten Jahren die Partei leitet, das wird immer radikaler. Da kann man nicht sagen, das sind irgendwie verwirrte und verirrte Rechtskonservative. Das sind oft schon Leute, die man eher als rechtsradikal bezeichnen müsste. Trotzdem, wie erklären Sie sich diese Wahlerfolge? Was steckt aus Ihrer Sicht dahinter und haben Sie diese Wahlerfolge in der immensen Art dann doch überrascht?
Prof. Dr. Daniela Winkler: Zur zweiten Frage, war ich überrascht? Am Ende dann nicht mehr. Man hat vorher schon sehr viele Prognosen gesehen und im Prinzip war zu befürchten, dass es so ausgeht, wie es jetzt am Ende ausgegangen ist. Die Frage ist: Was ist der Hintergrund? Sie haben gesagt Ratlosigkeit. Und ehrlich gesagt, das ist auch das, was ich ganz stark empfinde. Es gibt verschiedenste Möglichkeiten dies zu begründen. Aber ich könnte für mich nicht in Anspruch nehmen, jetzt diese eine Lösung, sozusagen diese eine Antwort zu finden. Das, was ich beobachten kann und das wahrscheinlich sogar weniger als Juristin, sondern einfach, indem dem gesellschaftspolitischen Diskurs folge, ist, dass wir natürlich einerseits und da komme ich auch aus meinem Forschungsgebiet ganz viele Probleme, sozusagen Krisen, Herausforderungen haben. Parallel dann noch so was wie die Coronakrise, dass dann offenkundig, das wird ja auch häufiger als eine Antwort gegeben, zu einer gewissen Überforderung geführt hat und die Menschen deswegen immer stärker verunsichert werden. Das ist ja per se erst mal auch kein ganz ungewöhnlicher Befund, weil man natürlich immer wieder Zeiten hat, in denen Krisen bewältigt werden müssen und es Herausforderungen gibt. Und jetzt diese Zukunftstransformation. Die kann auch durchaus einen positiven Effekt haben, dass man sagt, wir gestalten unser Leben jetzt eben in einer anderen, vielleicht auch positiveren Art und Weise.
Das, was mir auffällt und was mir tatsächlich richtig Sorgen macht, ist, dass auf diesen Befund ein Narrativ erwachsen ist, dass eine Untergangsstimmung weiterträgt. Dieses es geht bergab mit Deutschland. Also diese ganzen Deindustrialisierung Narrative, die wir haben, die verschiedenen Vergleiche, die auch in den konservativen Parteien aufgegriffen werden, sozusagen Übernahme von populistischen Inhalten, die auch in den Medien teilweise immer wieder aufgegriffen werden. Die führen offenkundig dazu, dass sich bei einer kleinen Anzahl an Menschen dieses Gefühl einschleicht es geht wirklich bergab und wir können aktuell gar nichts so richtig dagegen tun. Es muss etwas ganz Neues passieren. Und das scheint dann als Antwort die AfD zu sein.
Dr. Max Bauer: Herr Jun, Frau Winkler hat jetzt eine Diagnose angesprochen, Ratlosigkeit, aber in der Stimmung hier bei vielen Menschen auch Unsicherheit angesichts heftiger Krisen, die wir erleben, global und national. Und Frau Winkler hat auch etwas angesprochen, so eine gewisse Übernahme einer Perspektive, könnte man vielleicht sagen, von Unsicherheit in die Parteien hinein. Und dann gibt es jetzt so eine Erzählung im medialen Diskurs, und die lautet: Diese Parteien, die wir haben, also die klassischen Parteien der Mitte und des politischen Spektrums, die sich etabliert haben in Deutschland, die bringen es irgendwie einfach nicht. Die können mit diesen Konflikten nicht umgehen, die können mit diesem Problem nicht umgehen. Da muss man sich nicht wundern, wenn die Leute AfD wählen. Wie gehen Sie mit dieser Erzählung um? Ist die aus Ihrer Sicht als Parteienforscher glaubwürdig oder steckt da noch mehr dahinter, hinter diesen Tendenzen, die die Demokratie gefährden?
Prof. Dr. Uwe Jun: Sie ist erst mal sehr einfach und sie wird von vielen Parteien in Europa gewählt. Deutschland ist keine Insel, sondern in vielen europäischen Demokratien haben wir eine solche Partei, mindestens eine, die versucht, diese Geschichte zu erzählen. Und sie lässt sich ganz einfach erzählen. Es sind die da oben, die machen nicht das, was ihr wollt, und deswegen müsst ihr uns wählen. Das ist erst mal simpel. Und mit dieser Erzählung kann man erst mal ganz gut die Menschen auf seine Seite ziehen. Erst recht dann, wenn eben Verunsicherung auftaucht. Erst recht dann, wenn Zukunftssorgen groß sind. 75 % der Menschen in Deutschland sind tatsächlich derzeit der Ansicht, dass es mit diesem Land auf mittlere Frist schon abwärts geht. Und diese Geschichten können Sie aber nur dann erzählen, wenn sie sich irgendwie mit Fakten decken. Also wenn die Faktenlage völlig konträr ist, dann können Sie die Geschichte nicht gut erzählen. Wenn aber bestimmte Fakten tatsächlich sich mit dieser Geschichte decken, dann können Sie bestimmte Geschichten noch mal deutlicher in Ihrer Wahrnehmung erhöhen. Und das ist im Moment die Situation, in der wir uns bewegen, und zwar in mehrfacher Hinsicht. Warum deckt sich diese Geschichte mit den Realitäten?
Erst mal muss man sagen Deutschland ist ökonomisch derzeit in einer schwierigen Situation. Wir haben schon 2023 als Rezession hinter uns 2024, so sagt es auch der Bundeswirtschaftsminister, wird wieder ein Rezessionsjahr also gedeckt. Zweitens, Deutschland ist das Land, das derzeit am meisten Migranten pro Kopf aufnimmt, also können sie auch dort die Geschichte erzählen. Es stimmt. Und drittens, und da sind wir dann bei den hausgemachten Problemen. Sie haben eine Bundesregierung, die in den Augen der meisten nicht lösungsfähig erscheint, weil sie mehr mit innerkoalitionären Streitereien sich beschäftigt. Also haben sie auch dort wieder etwas, was sich mit dieser Geschichte deckt. Und diese Einstellung ist übrigens sehr weit verbreitet. Die ist in Baden-Württemberg auch sehr weitverbreitet, dass die da oben machen, was sie wollen, das ist etwas, was sie schon über Jahrzehnte in der Bundesrepublik kennen. Das ist nicht ganz neu, aber darauf können sie aufbauen, dass dieses Narrativ, die da oben machen, was sie wollen, dann schon in weiten Kreisen der Bevölkerung vorhanden ist. Summa summarum also kennen Sie jetzt schon einzelne Gründe, warum diese Geschichte dann auf fruchtbaren Boden fällt.
Dr. Max Bauer: Große Nachfrage an Sie. Sie haben jetzt gesagt, es gibt ein gewisses Korrelat in der Realität für diese Krisenanalyse. Ich frage mich so ein bisschen, wenn es den Menschen so geht, dass sie unzufrieden sind mit der Politik und den Angeboten, die die Politik macht angesichts vieler Krisen. Warum wendet man sich von der Demokratie ab? Man könnte ja sagen, man wählt eine Alternative. Man wählt vielleicht irgendwie, wenn es mir sozial schlecht geht, eher eine linke Partei, die sich um meine Rente kümmert oder um irgendwie Kindergeld oder eine bessere Ausstattung des ganzen öffentlichen Sektors. Warum wende ich mich ab in einer Demokratie? Also was muss dann dazukommen, dass ich nicht nur sozusagen sage ich wähl mal, was, was meine Interessen vertritt, sondern ich wende mich ab von der Demokratie. Was muss Ihrer Meinung nach da dazukommen, dass so eine Entwicklung passiert, weil das erleben wir ja.
Prof. Dr. Uwe Jun: Jetzt müssen wir schon mit den AfD Wählerinnen und Wählern vorsichtiger umgehen. Nur ein Teil dieser Wählerinnen und Wähler will sich von der Demokratie abwenden. Das sind diejenigen, die sich von der Demokratie keinerlei Vorteile versprechen, die also sagen, diese Demokratie, sei sie so wie sie ist, bringt mir nichts. Ich bin derjenige oder diejenige, die ohnehin in einer sozial schwierigen Situation lebt. Um mich kümmert sich keiner so wie ich mir das wünsche. Und ich fühle mich subjektiv benachteiligt in dieser Demokratie. Das ist aber nur eine Gruppe.
Wir haben dann die Gruppe, die ist auch ganz schwer zu erreichen. Die hatten wir aber schon immer in Deutschland. Die ist im Moment nur etwas wirksamer in ihrem öffentlichen Auftreten. Die die Werte der AfD teilen mit Blick auf rechtsextreme Einstellungen. Das sind etwa 8 %, die dürfen wir auch nicht vergessen.
Dr. Max Bauer: 8 % Prozent der AfD-Wähler oder der gesamten Wählerschaft?
Prof. Dr. Uwe Jun: Der gesamten Wählerschaft, da waren früher auch viele Nichtwähler, die gehen also jetzt erst zur Wahl seit einiger Zeit. Im Osten haben sie früher schon die NPD gewählt, da sehen sie auch schon, die haben sich schon damals gegen die Demokratie gestellt und haben sogar die NPD gewählt.
Und dann haben wir die dritte Gruppe und die sind von der Demokratie eigentlich nicht abgewandt, sondern das sind die Denkzettel oder Protestwähler. Das ist immerhin so zwischen 40 und 50 % unter den AfD Wählern, die also mit der Wahl der AfD zum Ausdruck bringen wollen, macht es besser, macht es anders, hört auf uns. Das ist die dritte Wählergruppe, die wir dann genau in den Blick nehmen müssen. Und dass übrigens die Unzufriedenheit sich nicht nur auf antidemokratische Parteien auswirkt, das konnten wir sehen an dem ultimativen Aufstieg einer Gruppe, die jetzt erst mal per se nicht antidemokratisch erscheint. Nämlich des Bündnisses Sahra Wagenknecht, die ja auch sofort im Osten jeweils zweistellige Ergebnisse erzielt hat. Das heißt, auch diese Partei versucht aus dieser allgemeinen negativen Stimmung dann entsprechend, Frau Wagenknecht zelebriert diese Stimmung auch in ganz gekonnter Manier, Honig zu saugen und davon Profit zu schlagen.
Dr. Max Bauer: Ein Wort, das Sie sehr oft benutzt haben, Herr Jun, war das Wort Stimmung und mit Stimmungen kennt sich Rafid Kabir aus. Sie kennen sich aus mit den sozialen Medien und die sozialen Medien, so wie ich das verstehe, funktionieren über Algorithmen und diese Algorithmen erkennen sozusagen, wenn ein Thema verspricht, besonders heftig zu werden, so eine Stimmung anzuziehen. Besonders Emotionalisierung steckt auch drin in diesen Algorithmen. Das heißt Social Media funktioniert gerade über Stimmungen.
Jetzt haben vor allem junge Menschen nicht nur im Osten, auch im Westen, man bedenke die Europawahl, AfD gewählt. Welche Stimmung erspüren Sie da so auf Social Media? Können Sie sich das irgendwie erklären, warum gerade junge Menschen in eine Richtung driften, die sehr stark rechtsextrem geprägt ist?
Rafid Kabir: Ja, die Antwort hatte eigentlich Herr Jun und Frau Winkler vorab schon gegeben. Und zwar liegt es einfach an der Kausalität, dass dieses Land oder allgemein Europa gerade von Krisen geprägt ist und Populisten diese Krisen, die Inflation und die gesellschaftliche Unsicherheit, die da ist, nutzen, verzweigen und sozusagen einfache Antwort liefern. Kurz gesagt. Und junge Leute hatten Zeiten mit Corona und dann mit Krieg usw. sie wachsen auf und erleben gerade, dass sie wahrscheinlich keine Zukunft mehr hätten, und aus dieser Unsicherheit rauszukommen ist eine große Herausforderung.
Vor allem auch im Osten sieht man bei jungen Männern, dass da die AfD Beteiligung sehr hoch ist. Und dieses Phänomen, dass Populisten, BSW wurde gerade erwähnt, aber es gibt auch andere Parteien, gerade diese Stimmung, die Emotionalisierung der Debatten nutzen. Ich finde es völlig zu Recht, dass man eine andere Partei wählt und dass man in einer pluralen Demokratie auch mal die Ampel abstraft, darum geht es ja nicht. Sondern es geht nur darum, dass wir heute über Demokratie schützen reden, weil Menschen denken, dass diese andere Partei, die sogenannte Alternative, eine völkisch nationalistische Alternative für Deutschland ist. An dessen Spitze ein Faschist sitzt, der so viel Mitwirken dieser Partei Programmatik hat. Und wir die Aussagen von AfD Leuten usw. dann verfolgen, das macht mir große Sorge, dass solche Aussagen von AfD Politiker:innen normalisiert wurden, vor allem bei jungen Leuten. Und diese Normalisierung auch durch TikTok vor allem, warum ich heute hier sitze, sieht man natürlich dann bei Wahlergebnissen. Das sind nicht nur AfD Accounts, das sind auch Verschwörungstheoretiker die in Zeiten von Corona Accounts auf TikTok und auf Facebook, usw. gemacht haben und diese waren sehr aktiv im Vergleich zu anderen demokratischen Akteuren. Und heute fragt man sich dann, was ist mit der Jugend los?
Man hat die Jugend auf solchen Plattformen alleingelassen mit den Desinformationen und mit der Propaganda. Und heute fragt man sich, warum junge Leute vermehrt antisemitische Aussagen ankreuzen, rechtsextreme, völkisch nationalistische Ansichten vertreten. Ja, so sind sie durch diese Plattform eben beeinflusst worden.
Dr. Max Bauer: Ich glaube über diesen Zusammenhang, Stimmungen und Wahlergebnisse und wie schnell das geht, das auch Stimmungen sich in Wahlergebnisse ummünzen, müssen wir doch ein bisschen reden, müssen vielleicht ein bisschen tiefer gehen. Aber an der Stelle, wo Sie jetzt auch die neuen Medien angesprochen haben, spreche ich auch Sie noch mal an, weil das Thema Demokratie und neue Medien bringen wir heute auch ein bisschen auf diese Leinwand hier. Es gibt nämlich die Möglichkeit, dass Sie abstimmen, was Sie an dem Thema vor allem beschäftigt. Und ich glaube, wir machen das jetzt. Es soll jetzt ein QR-Code eingeblendet werden. Sie können den abscannen, finden dann zu zwei Fragen und diese zwei Fragen, zu denen können Sie sich äußern. Und wir gucken mal, ob das funktioniert, und nehmen das hier mit rein in unser Podium.
Die zwei Fragen, ich kann es gleich schon mal sagen, die sind: Welche Themen stellen die größte Herausforderung für die Demokratie dar? Eine sehr weite Frage. Und dann, was wünschen Sie sich zur Stärkung der Demokratie? Im Grunde sind es die beiden Fragen, die unseren Titel reflektieren. „Demokratie schützen! Aber wie?“
Noch mal vielleicht an dem Punkt, wo wir jetzt angekommen waren Stimmungen und Wahlergebnisse. Ich bin immer noch, ein bisschen ratlos, weil ich mir noch nicht ganz erklären kann, wie wirklich sich so eine Grundunzufriedenheit, die es in der Demokratie eigentlich immer gibt, und man muss als Demokrat eigentlich sagen auch zum Glück. Also zum Glück sind Menschen unzufrieden, haben ihren eigenen Kopf oder glauben nicht ihren Eliten, die sie da gewählt haben. Denn Demokratie ist ja nicht nur ein Wahlakt, ein Legitimationsakt. Und dann haben wir da irgendwie ein Parlament gewählt, das dann machen darf, was es will. Demokratie ist auch zwischen den Wahlakten eine Legitimierungsform, nämlich in Form des demokratischen Diskurses. Willensbildung findet nicht nur einmal im Wahlakt statt, sondern hoffentlich auch dazwischen. Insofern ist Unzufriedenheit eigentlich etwas, was sich immer äußern muss in der Demokratie. Und ich frage mich immer noch, wie sozusagen in diesem Jahr 2024 diese Unzufriedenheit wirklich niederschlägt.
In diesen Wahlergebnissen für eine Partei, die eben ja nicht nur Alternative ist, sondern Alternative zum Grundsystem, eigentlich eine Alternative zur Demokratie. Frau Winkler, was ist, wenn ich Sie jetzt fragen dürfte, nach einem Erklärungsansatz, der Ihnen besonders neben der ganzen Ratlosigkeit, die Sie auch haben, irgendwie dann doch einleuchtet. Was wäre da noch mal Ihr Erklärungsansatz? Herr Jung hat seinen schon ein bisschen geschildert. Was wäre da Ihrer?
Prof. Dr. Daniela Winkler: Also ich knüpfe nochmal an das an, was ich auch vorhin gesagt habe. Und ich glaube wirklich, dass wir uns in einem großen, sich selbst verstärkenden Narrativ bewegen, das eben von verschiedensten Seiten gestärkt wird. Und einerseits haben Sie ja gesagt, es gibt natürlich Punkte, die man umsetzten kann, die darauf verweisen, dass es an verschiedenen Stellen auch hakt in unserem System. Aber es gibt natürlich auch Erfolgsgeschichten und die haben überhaupt keinen Platz mehr. Es wird immer alles nur noch gefühlt in Grund und Boden geredet und ich weiß auch nicht, was dafür verantwortlich ist. Diese Ursache-Wirkungs-Zusammenhänge kann ich auch nicht wirklich analysieren. Als Juristin mache ich das sowieso nicht. Aber mein Eindruck ist tatsächlich, dass es eben durch eine Übernahme bestimmter Inhalte von anderen Parteien kommt, die eben sich dadurch eine Verbesserung ihrer Wahlergebnisse erhoffen.
Also, es gab beispielsweise auch den Ansatz der CDU, dass man die AfD Werte halbieren wollte. Klappt offenkundig nicht, sondern man stärkt sie eben, indem man bestimmte Inhalte sozusagen immer wieder transportiert und dadurch ja auch bei den Menschen eben diese Überzeugung stärkt, dass es tatsächlich so schlimm ist, wie überall gesagt wird. Und das Ganze findet sich dann meiner Meinung nach eben auch ganz stark in den Medien wieder, weil wir hatten durchaus Konflikte, wie zum Beispiel den Ukrainekrieg, wo wir vor dem Problem standen, dass wir mehr oder weniger von jetzt auf gleich kein russisches Gas mehr abnehmen wollten. Dass es diese Schwierigkeiten gab, unser gesamtes Energiesystem schnell anzupassen, und dass wir gleichzeitig aus dem Atomstrom ausgestiegen sind, ist alles relativ gut gelungen. Und ich sehe nicht, dass sich so etwas beispielsweise an irgendeiner Stelle wiederfindet. Sondern was man hört, sind immer nur diese Katastrophenszenarien, die Katastrophenmeldungen.
Dr. Max Bauer: Jetzt haben Sie gesagt, gerade in Bezug zum Beispiel auf die CDU oder auf konservative Parteien, aber auch auf andere Parteien, wenn ich irgendwie an Herrn Scholz und die Abschiebeinitiative denke, die etablierten Parteien würden zu sehr Diskurse der AfD aufnehmen und da vielleicht einfach zu sehr den gleichen Song mitsingen. Ich frage mich aber, es gibt ja schon so einen Ansatz, dass man sagt, man muss eigentlich Antidemokraten demokratisch bekämpfen, das heißt im Diskurs. Man muss sie quasi reinnehmen, auch wenn's wehtut und muss sagen, wir diskutieren mit denen, wir haben ja die besseren Argumente. Muss man dann nicht ein bisschen sich herablassen oder runtergehen auf diese Themen? Das heißt, kann man nicht einfach sagen, wir lassen eure Themen einfach liegen und wie macht man das genau, frage ich mich. Also wie führt man den Diskurs mit Antidemokraten, ohne deren Diskurse zu bestärken?
Prof. Dr. Daniela Winkler: Ich glaube tatsächlich, dass es Gesprächspartner hier gibt, die bessere Antworten geben könnten, also an der Stelle. Ich wollte das auch gar nicht in dieser Richtung verstanden wissen, dass ich sage, wir reden nicht mit der AfD, wir schließen sie vom Diskurs aus. Aber man könnte zum Beispiel auch andere Themen setzen, weil offenkundig ein Thema, das eben sehr gut bedient wird von der AfD ist ja beispielsweise Migration oder Eurokritik und Ähnliches.
Wir bewegen uns im Moment sehr stark in diesem Themenbereich und es gibt da sehr viel anderes, worüber wir diskutieren könnten. Also gerade, wenn wir an diese Transformationsprozesse denken, die Klima- und Umweltpolitik, um ein Beispiel zu nennen. Es gibt auch 1000 andere Beispiele. Dann ist es auch so, dass wir Herausforderungen haben, die wir durchaus bestehen und die wir angehen müssen, die aber am Ende des Tages zu einer positiven Entwicklung führen können. Es ist nicht so, dass wir jetzt immer nur in einem Strudel von Krisen uns bewegen müssen, aus dem wir als Gesellschaft nicht mehr rauskommen. So dass man sagen kann, wir haben es auch in der Hand unsere Zukunft zu gestalten. Und die kann durchaus besser sein als die Gegenwart. Und ich finde, dieses Bild und diese Hoffnung, die wird in keiner Form mehr diskutiert, sondern es ist so eine Defensivhaltung eingenommen worden auch von anderen Parteien, die eben immer nur noch sich gegen diese Seite abgrenzen.
Man könnte den Dialog auch dadurch führen, dass man sagt, wir setzen mal andere Themen, zu denen sich die AfD dann auch positionieren müsste und dann könne man eben sehen, was dabei rauskommt.
Dr. Max Bauer: Herr Jun, was würden Sie sagen, wie geht das? Denn die Gefahr ist durchaus da, man sieht das ja. Man will der AfD die Themen wegnehmen, will sich erst einmal auf die Ebene dieser Themen begeben, die ja durchaus, wie sie gesagt haben, ein Korrelat in der Wirklichkeit haben, also da ist wirklich was dran, von der Realität der Probleme, die da sind. Wie begibt man sich in diese Themenlage, ohne sich auf das Niveau zu begeben und das Niveau dann stärker zu machen? Wie macht man das als Politiker?
Prof. Dr. Uwe Jun: Also ich wäre erst mal skeptisch, was überhaupt die Bestandsaufnahme betrifft. Die Grünen haben immer versucht, sich nicht auf diese Agenda zu bewegen. Die Grünen wollten immer ihre eigene Agenda, wollten durchaus auch optimistischer, zuversichtlicher sein. Nur die Menschen machten das nicht mit. Sie waren nicht bereit, sich auf die grüne Agenda einzulassen. Das Ergebnis kennen wir jetzt. Die Grünen sind eben im Sinkflug, weil ihre Agenda im Moment viel zu wenig Resonanz findet. Das heißt, sie können nicht die Menschen einfach mit Themen konfrontieren, die sie im Moment aber gar nicht als besonders wichtig erachten. Und dann lassen sie das Thema fallen. Wir haben da verschiedene Experimentalgruppen durchgeführt und wir haben genau dieses Ergebnis festgestellt. Also die Menschen bleiben bei den Themen, die sie interessieren und nicht die, die ihnen vorgegeben werden. Und das ist einer der Gründe. Die Grünen haben genau das versucht und sind jetzt daran gescheitert. Was wollen die Wähler und die Wählerinnen, wenn sie da in die Fokusgruppen gehen oder wenn sie in quantitativen Daten reinschauen? Sie wollen, dass die Probleme gelöst werden. Das ist ihr Hauptanliegen. Das heißt, die Politik kann Probleme lösen. Und ich würde auch meiner Vorrednerin an einem Punkt widersprechen. Sie hat gesagt, die Energieprobleme sind gelöst. Das sehen viele nicht so. Deutschland zahlt die höchsten Energiepreise in ganz Europa, wenn nicht weltweit. Das heißt, die Probleme sind gelöst, indem die Leute sehr hohe Preise bezahlen für das, was aber für viele, die eben sozial in prekärem Leben, dann schon an die an die Grenze ihrer Möglichkeiten stößt.
Und das hören wir auch immer wieder, sie hatten es zu Recht gesagt, die Inflation, dass alles teurer geworden ist, dass wir das nicht mehr bezahlen können, dass die Stromrechnungen uns auffressen, dass die Mieten uns auffressen. Das sind die Themen, die die Menschen bewegen. Und da können sie noch so sehr versuchen, dann Zuversicht zu verbreiten. Das mag alles sein, nur ich komme nicht über die Runden. Oder ich erlebe das nicht, ich bin mit anderen alltäglichen Problemen viel mehr beschäftigt als mit diesen Zukunftsszenarien.
Dr. Max Bauer: Da muss ich da zwei Sachen kurz nachfragen, Herr Jung. Sie sagen, das sind die realen Probleme, zum Beispiel Mieten. Der echt krasse Mietmarkt in Deutschland, ein wirkliches Marktversagen, aber auch Politikversagen. Was zum Beispiel den Wohnungsbau angeht, da frage ich mich, wenn ich aber ins AfD Programm gucken oder zum Beispiel gucke, wie die AfD abgestimmt hat in der letzten Legislaturperiode bei allen sozialpolitischen Projekten, da waren die mit ihrem Abstimmungsverhalten nie bei der Gruppe derer, den es sozial schlecht geht, sondern bei denen, den es sehr gut geht. Das heißt, da ist eigentlich ein ziemlich neoliberales Programm drin in der Realität, aber die Wahrnehmung ist anders.
Und ich würde gern noch mal jetzt mit der Frage verbinden diese Auseinanderentwicklung zwischen der Realität, was diese Partei macht, sozialpolitisch eigentlich gar nichts und der Wahrnehmung von Leuten, ich bin unzufrieden sozialpolitisch, also wähle ich AfD. Da ist doch so eine Stimmung, die mich ratlos macht. Und ich frage mich wirklich, wo kommt diese gespaltene Wahrnehmung her?
Prof. Dr. Uwe Jun: Das kann ich auch ganz leicht erklären, weil die AfD wiederum sagt, sie sind nicht dafür verantwortlich. Sie haben nicht die Verantwortung dafür, dass es ihnen nicht so gut geht, sondern die da oben. Weil die machen nur Politik für sich selbst und die lösen die Probleme nicht. Und das sind die Alltagserfahrungen, die sich dann decken. Die lösen die Probleme tatsächlich nicht. Die Mieten steigen weiter, die Energiekosten steigen weiter, die Lebensmittelpreise steigen weiter und deswegen haben sie dieses Diskreditierungsverfahren, was sie übrigens, in allen anderen europäischen Ländern in ähnlicher Form sehen. In Österreich ist die FPÖ auch stärkste Partei geworden und fallen damit eben auf fruchtbaren Boden.
Wenn jetzt tatsächlich die Mietpreise sinken würden, wenn die Energiepreise sinken würden, wenn die Menschen tatsächlich auch das ist ganz wichtig in ihrer Biografie ernst genommen werden würden. Das heißt also, wenn ich deren Leistung stärker als gleichwertig mit bezeichne, dann würden die tatsächlich auch sehen, dass das, was sie sich wünschen, was sie sich vorstellen, Realität ist. Also ich will sagen, es gibt zum Beispiel eine Abwertung von Biografien. Damit können Sie die Ostdeutschen noch besser verstehen. Die Ostdeutschen fühlen sich immer noch benachteiligt. Die sagen immer noch Wir werden als Bürger zweiter Klasse wahrgenommen. Unsere Lebensleistungen werden von den Wessis nicht honoriert. Und das findet eben auch wieder fruchtbaren Boden. Wenn das alles anders wäre, wenn also diese Vorstellungen sich tatsächlich nicht erfüllen würden, dann hätten sie eben das positive Narrativ und dann würden die Menschen, jedenfalls diejenigen, die aus Protest die AfD wählen, also die etwa die Hälfte der AfD Wählerinnen und Wähler, dann von der Partei wieder mehr abwenden. Aber umso weniger sie die Probleme gelöst sehen, umso mehr verstärken sie dieses. Das heißt also, die Politik sollte sich nicht allzu viel Zeit nehmen mit der Problemlösung, sondern sollte die Probleme so schnell wie möglich angehen, weil sonst werden das auch Stammwähler für die Partei.
Dr. Max Bauer: Frau Winkler, da frage ich gleich im Anschluss mal die Professorin für Öffentliches Recht. Wenn Herr Jung das jetzt so erklärt, dass da eine große Unzufriedenheit mit der Problemlösungsfähigkeit der Politik herrscht und sich da in so eine ganz andere Richtung verschiebt und das sich sogar verfestigen kann. Wie ist das eigentlich mit der Demokratie? Ist die Demokratie eine Problemlösungsagentur? Garantiert Demokratie an sich gute Politik und muss sie das?
Prof. Dr. Daniela Winkler: Das kommt darauf an, wie man den Blick auf die Demokratie richtet. Also das, was Demokratie zunächst mal macht, ist es ein Verfahren zur Verfügung stellen. Ein Verfahren, das sicherstellt, dass die Bürger in irgendeiner Form diejenigen, die Entscheidungsträger sind, also die Parlamentarier legitimieren, was wir dann durch den Wahlakt machen. Mittlerweile gibt es da auch diverse Ansätze, dass man das noch erweitern muss, dass die Bürger eben jenseits dieser eigentlichen Wahlentscheidung eben auch beteiligt werden in Form direktdemokratischer Verfahren, was wir auf der Landesebene haben, oder dass wir Bürgerräte einführen oder ähnliches. Aber das Grundkonzept, das, was jetzt das Grundgesetz, wenn wir das zugrunde legen, annimmt, ist letztendlich nur wir haben dieses Verfahren und nach der Wahl dieser Parlamentarier sieht eben das Grundgesetz auch vor, wie beispielsweise eine Regierung gebildet wird, wie Entscheidungen getroffen werden in diesem demokratischen Verfahren. Und das passiert natürlich schon auf der Grundannahme, dass wir dann an dieser Stelle auch einen Diskurs haben, der auch kritisch beleuchtet wird. Dafür haben wir wiederum Grundrechte. So was wie die Meinungsfreiheit und die Versammlungsfreiheit. Gerade die Versammlungsfreiheit wird vom Bundesverfassungsgericht als ganz wesentliche Basis der Demokratie verstanden. Dass also die Bürger auch jenseits dieser repräsentativen Elemente sich eben äußern können, unmittelbar Kritik äußern können oder vielleicht auch, dass eine Reaktion von Seiten der Hoheitsträger entsteht. Das heißt also, eine Garantie, dass irgendwas Gutes rauskommt, hat man wohl nicht. Aber die Hoffnung ist eben, dass ein Verfahren, das in der Art und Weise durchgeführt wird, eben eine bestimmte Garantie darauf ist, dass zumindest alle verschiedenen Interessen, die es gibt, in einen Ausgleich gebracht werden und am Ende dann das beste Argument im Idealfall siegt.
Dr. Max Bauer: Das heißt, man muss schon als Bürger das Gefühl haben, dass man so eine Art demokratische Resonanz hat. So wie ich mich einbringen, so muss das zumindest nachschwingen und der politische Raum muss das aufnehmen. Sie haben jetzt gerade noch ein Stichwort genannt, Bürgerbeteiligung, Bürgerräte, direkte Demokratie. Ich sage jetzt mal ganz direkt, in dieser teilweise aufgeheizten Stimmung in der öffentlichen Debatte, sehr stimmungsgetriebene Medienöffentlichkeit, Social Media spielen immer größere Rolle, würden Sie für mehr direkte Demokratie eigentlich plädieren, derzeit in unserer Verfassung, oder ist es eher gefährlich?
Prof. Dr. Daniela Winkler: Auch das ist nicht ganz eindeutig zu beantworten. Also das eine ist wir haben auf der Landesebene und in verschiedenen Bundesländern, also gerade in Baden-Württemberg, relativ weitreichende Formen direkter Demokratie. Das Grundgesetz sieht das explizit nicht vor. Und wenn man jetzt ein Verfassungsrechtler fragt, würde der auch sagen, dass eine Einführung zumindest einfach gesetzlich nicht möglich ist. Wir bräuchten Verfassungsänderung. Das heißt auf der Bundesebene ist es eher unwahrscheinlich, dass wir zunächst mal wirklich direktdemokratische Abstimmung über konkrete Sachfragen haben.
Was wir aus der Partizipationsforschung wissen, es ist auch tatsächlich so, dass auch auf der Landes- oder auch auf der kommunalen Ebene es tatsächlich teilweise problematisch sein kann, solche Abstimmungen durchzuführen, weil auch bei kleinen lokalen Problemen oder Fragen, die dort zu beantworten sind, eben tatsächlich das Trennende dann noch mal stärker wird als das Verbindende. Also man kommt eben gerade nicht in der Mitte zusammen, sondern beide Positionen werden eben mit sehr großer Vehemenz vertreten und deswegen kann es tatsächlich noch zu einem weiteren Auseinanderdriften der Auffassungen kommen.
Das, was ja jetzt so ein bisschen als neu mittlerweile auch gar nicht mehr so neues Instrument diskutiert wird, sind Bürgerräte. Also die Möglichkeit, dass man eben Bürger zufällig auswählt, eine bestimmte Gruppe an Bürgern, die über bestimmte Fragen diskutieren. Wir haben das jetzt schon ein, zwei Mal gehabt mit Deutschlands Rolle in der Welt und der Frage, wie geht Ernährung? Da kann man auch im Einzelnen kritisch dazu stehen.
Was vielleicht mal ein interessantes Experiment wäre, wäre, dass man dann tatsächlich ein auch moralisch und sozial sehr umstrittene Frage, beispielsweise wie gehen wir mit der Migration um oder wie gehen wir mit der Sterbehilfe um? Wir können auch solche moralischen Fragen nehmen, dass man die in einen Bürgerrat beantwortet. Da hat man im Prinzip ein kleines Gremium, das aber wohlgemerkt auch nicht verbindlich in irgendeiner Form entscheiden darf. Denn diese Bürger sind ja nicht legitimiert in irgendeiner Form, sondern im Prinzip ist das so eine Art Informationsbeschaffungsorgan. Man versucht sich zumindest daran vorzustellen, wie ein Durchschnitt durch die Bevölkerung über eine bestimmte Frage denkt. Und die Abgeordneten, die Repräsentanten können dann dieses Wissen nehmen, um dann ihre eigene Entscheidung damit zu untermauern.
Dr. Max Bauer: Stichwort Beteiligung, Partizipation. Wäre es vielleicht ein guter Zeitpunkt, hier ein paar Ergebnisse zu sehen? Ich weiß nicht, ob es schon möglich ist, dass wir hier mal projizieren, wie Sie nämlich abgestimmt haben. Zu den beiden Fragen, die wir hier gestellt haben.
Sabine Demsar: Also da sind eigentlich viele Sachen, die wir schon erwähnt haben, also die größten Herausforderungen für die Demokratie heutzutage. Rechtsextremismus und Populismus. Mehrfach wurde betont, das Wachstum rechtsextremer Strömungen und die Rolle populistischer Kräfte wie der AfD, Desinformation, Fake News und Social Media, dann soziale Ungleichheit und Krisen. Da haben wir auch drüber gesprochen. Migration, Klimakrise, Energiekrise sind große Herausforderungen und bringen schlechte Stimmung in die Gesellschaft. Und Komplexität und Überforderung, Geschwindigkeit von Veränderungen, die Komplexität moderner Probleme überfordern viele Menschen. Das zu der ersten Frage. Und Wünsche zur Stärkung der Demokratie: Mehr Dialog und Bürgerbeteiligung, mehr politische Bildung, Bürgermitbestimmung und ein stärkerer Diskurs zwischen Parteien und Bürgern wurde mehrfach geäußert.
Dr. Max Bauer: Ja, da haben Sie das genau mit aufgenommen, was wir hier diskutiert haben. Das ist sehr spannend. Ich verbinde mit einer Frage an Herrn Jun. Dieser erste Punkt, den Sie genannt haben, die Sorge um die Demokratie. Wir haben zu Beginn des Jahres Demonstrationen erlebt auf den deutschen Straßen, in vielen, vielen Städten, nicht nur in den großen, sondern teilweise bis in kleine Städte hinein, auch in Ostdeutschland. Es war nicht überall so krass wie in Hamburg, wo 180.000 Menschen auf der Straße waren. Aber es war natürlich trotzdem auch für kleine Orte krass. Ich war in Karlsruhe und habe mir das angeschaut. Im Winter noch, und da habe ich einen Kollegen getroffen, der Regional Reporter ist für den SWR und er hat mir gesagt, er hat auf dem Marktplatz in Karlsruhe wirklich noch nie, und er bildet wirklich alle Demos ab, die da über die Jahrzehnte gelaufen sind, so viele Menschen gesehen. Es war gerappelt voll. Es gab dann einen Demonstrationszug, der begann am Marktplatz einmal durch die Innenstadt und hat dann wieder den Marktplatz erreichen wollen. Als die ersten ankamen, von diesem Zug, der mehrere Kilometer lang war, waren die letzten noch nicht losgelaufen. Also es war eine Wahnsinnsatmosphäre und man hat wirklich gemerkt fand ich, dass da Menschen aus allen Gesellschaftsschichten, auch aus allen politischen Schichten zusammengekommen sind, mit ähnlicher Sorge. Es waren unterschiedliche Menschen da. Es war nicht nur das besorgte Bürgertum, das auch besser situierte Publikum, überhaupt nicht. Es waren aus allen Schichten Menschen. Dabei konnte ich mit eigenen Augen zusehen. Zumindest in Karlsruhe war es so und es wurde auch aus anderen Städten berichtet.
Ich frage mich ein bisschen, solche einzelnen Äußerungen der Sorge der Menschen, der unmittelbaren Ausdruck von Sorge, also demokratische Willensbildung, nicht durch Wahlakt, nicht über Parteien, nicht vermittelt, nicht mediatisiert, sondern so auf der Straße. Wie haben Sie es erlebt? Und warum ist es wieder abgeebbt?
Weil, das Problem ist ja weiter da. Das sieht man an der Sorge der Menschen.
Prof. Dr. Uwe Jun: Ich fange mit der zweiten Frage an. Abgeebbt ist es wieder, weil, sie brauchen jemanden, der das organisiert, der dafür einsteht, der es publik macht, der eben sagt: Kommt jetzt, lasst uns weitermachen. Und dann, da fehlte es. Es gab keinen großen Initiator mehr, der diese Bewegung am Laufen hielt. Und wir sehen das übrigens auch bei anderen Bewegungen, die dann abebben. Die halten sich dann ein bisschen länger. Gehen Sie mal heute zu Fridays for Future Demonstrationen, das ist bei weitem viel, viel weniger. Und da haben Sie immerhin schon noch eine Initiativbewegung, die dahintersteht. Aber da sind nicht mehr viele, das hält sich sehr in Grenzen. Also das brauchen sie, sie brauchen dann stetige Interaktion, eine Mobilisierung, die Sie aufrechterhalten. Wenn Sie das nicht machen, dann gehen die Leute wieder stärker in den Alltag. Sie haben jetzt eine schöne anekdotische Evidenz über Karlsruhe berichtet. Wir haben dennoch mal so eine erste explorative Studie dazu, und die widerspricht Ihnen dann doch so ein bisschen. Es ist also so, dass da doch primär ich sage mal, Wähler von SPD und Grünen weit überproportional vertreten waren und dass zum Beispiel kaum AfD Wählerinnen und Wähler dort vertreten waren bei diesen Demonstrationen. Daran können Sie schon sehen, dass es eben doch eine bestimmte Auswahl an Demonstranten gab, die an diesen Demonstrationen teilgenommen hat. Und die haben zu keiner Veränderung bei denen geführt, gegen die sie sich gewandt haben, sondern eher im Gegenteil. Das kennen sie aus dem Alltag, das ist der Politik nicht anders, wenn ihnen eine schlechte Stimmung entgegensteht, schließen sie sich umso mehr zusammen gegen die, gegen die sie eintreten. Und daher war es gut, dass die Demokratie und Demokraten diesen Weg gegangen sind. Es war auch sicherlich etwas, was uns aufrütteln sollte. Aber es hat nicht die erreicht, sondern im Gegenteil sogar zu einer Verstärkung derjenigen geführt, die gegen die sie sich gewandt haben. Denn die haben gesagt, dann erst recht jetzt. Wir lassen uns von denen nicht einschüchtern.
Dr. Max Bauer: Wobei ich da noch mal nachfragen muss. Und vielleicht eine Frage an Frau Winkler verbinden. Herr Jung hat jetzt gesagt oder wollen Sie dazu.
Rafid Kabir: Ich wollte zu Herrn Juns Aussage was sagen. Und zwar ging es Anfang des Jahres um die sogenannten Deportations-Fantasien und Remigration usw. Dass die Zivilgesellschaft dagegen auf die Straße gegangen ist. Und Herr Jun hat gerade von dieser explorativen Studie gesprochen und gesagt, dass da SPDler oder Grüne dabei waren und eben nicht konservative CDU oder AfD Wähler. Kann ich total nachvollziehen, weil bei der Remigration, also da wo das stattgefunden hat, da waren ja auch CDU und AfD Politiker dabei. Von daher kann ich mir durchaus vorstellen, warum eben nur aus der progressiven Mitte Menschen da waren, weil sie eben diese menschenfeindliche Ideologie nicht teilen. Genau das wollte ich nur zu Ihrer Aussage gesagt haben.
Dr. Max Bauer: Ich würde es auch noch genau mit der Nachfrage verbinden, weil Herr Jung hat ja vorhin gesagt, es gibt einmal eine sehr verschiedene Aufsplittung der Menschen, die AfD wählen. Da gibt es die Überzeugten, aber es gibt auch die Unzufriedenen. Und ich frage mich jetzt schon, was ist mit diesen Unzufriedenen. War es nicht doch vielleicht aus dieser Sicht wichtig, dass man da so ein Zeichen gesehen hat? Weil, die AfD hat immer diese Erzählung, wir vertreten die schweigende Mehrheit und jetzt hat man plötzlich gemerkt, vielleicht war das anders.
Rafid Kabir: Ich würde zwei Perspektive erst mal ansprechen. Ganz am Anfang das, was Frau Winkler angesprochen hat. Und zwar das mit dem Narrativ. Ich komme aus der Medienlandschaft, also Influencer, Journalismus, Medienjournalismus usw. und ich merke, ich frage mich, was genau die Realität ist. Die Frage, die sie auch ganz am Anfang gestellt haben und aus meiner Sicht ist das Narrativ, die mediale Realität, das, was am Ende eben die politische Realität bildet. Bei jungen Menschen, mit denen ich mich beschäftige, aber allgemein in der Mitte der Gesellschaft. Ein weiterer Aspekt ist zum Beispiel die Einmischung von autoritären und ausländischen Kräften in unsere Demokratie. Und das ist ein wesentlich größerer Aspekt, wie ich finde, als die innerdemokratischen Feinde, die wir auch haben. Unter anderem die Rechtsextremen, die AfD und die Populisten. Aber auch, dass die eine gewisse Verbindung mit diesen autoritären Kräften, ganz konkret gesagt mit russischen und chinesischen Kräften haben, das ist durchaus Konsens. Und man sieht, dass seit 2014 durch Einmischungen in Wahlkampagnen in den USA, in Großbritannien usw. Und das ist eine sehr interessante Sache, weil wie zerstört man eine Demokratie am einfachsten? Wenn man sich einen Diktator oder autoritäre Herrscher vorstellt. Denn Krieg ist ja sehr teuer und das funktioniert am besten durch Desinformation. Das heißt man verbreitet in dieser Demokratie Desinformationen und versucht diese Unsicherheit, die sowieso da ist, noch mal zu verstärken. Gerade solche Kräfte wie Russland, China und andere profitieren davon, dass extreme Rechte in Europa oder auch Donald Trump in den Staaten an Stimmen gewinnen, weil sie natürlich Politik für eben diese autoritären Akteure machen werden. Und das ist genau ein Aspekt, der sehr oft untergeht, finde ich. Es gibt sehr viele Studien und es gibt sehr viele Beweise dafür, wie seit 2014 Russland in den Demokratien sich eingemischt hat und dafür gesorgt hat, dass die Stimmung hier wirklich auch kippt.
Dr. Max Bauer: Ich würde mal nachhaken, wie das auf Social Media wirklich aussieht und wie sie das erleben, weil dieser Aspekt der Destabilisierung der Demokratie von außen ist durchaus ein wichtiger. Also wir haben jetzt in der Woche die Buchmesse. Die Buchmesse endet immer mit der Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels. In diesem Jahr geht der an eine polnische Journalistin, An Appelbaum, polnisch amerikanische Journalistin. Und sie hat gerade jüngst ein sehr spannendes Buch geschrieben über die Gefährdung von Demokratien, die Unterhöhlung von Demokratie. Und ein Teil dieses Buches ist wirklich die Propaganda von China und Russland zum Beispiel in Afrika, in Lateinamerika, in Asien, wo westliche Diplomaten geschildert werden, die mit afrikanischen Studenten diskutieren. Die folgen alle der Erzählung, dass die NATO schuld sei am Krieg in der Ukraine, also diese von außen hineingebrachte Destabilisierung unserer Demokratie. Mich würde interessieren, wie erleben Sie das auf Social Media, auf TikTok? Wie sieht das dann aus, wenn ein russischer Bot hier die Demokratie angreift?
Rafid Kabir: Das merkt man sofort, wenn man auf TikTok live ist oder allgemein mit Leuten ins Gespräch kommt. Und da komme ich noch mal auf meine erste These zurück, und zwar die mediale Realität kreiert eben die politische Realität. Das heißt, wenn Leute in einer gewissen Bubble sind, auf Facebook, auf Telegram und auf TikTok und sie gewisse personalisierte Informationen ständig bekommen, dann ist das für sie die politische Realität und nicht das, was ich zum Beispiel bekomme. Und das muss man erst mal verstehen. TikTok und andere Plattformen nutzen sehr personalisierte Algorithmen, das heißt sie sehen nicht Videos von den Leuten, die Sie verfolgen, sondern ihnen werden einfach random Videos gezeigt, wo sie einfach lange das Video angucken. Und das ist eben die Problematik, dass wenn man ein Video ein bisschen länger anschaut und das mit einem emotionalisierten Thema, das die AfD anspricht und diese einfachen Antworten auf diese Fragen geben und sagen die da oben sind schuld, dann verfestigt sich das. Und ich meine, wenn ich mit einigen rede, dann habe ich das Gefühl, die Grünen sind an allem schuld. Ich habe sogar das Gefühl, dass die Grünen seit 1949 in Deutschland in der BRD regieren. Das ist eben genau das, was die versuchen, da gibt es auch ein ganz konkretes Feindbild. Und deswegen wollte ich noch mal an Frau Winkler anknüpfen und dieses Narrativ ansprechen, weil dieses Narrativ eben gefährdend für die Demokratie ist, eben auch für den demokratischen Konsens, weil die mediale Realität und solche Narrative am Ende des Tages eben die Demokratie gefährden.
Dr. Max Bauer: Dann würde ich das weitergeben an Frau Winkler. Wir haben jetzt zwei Welten erlebt. Ich habe mit Herrn Jun über die Demos gesprochen. Und wir haben gerade über die Aktivitäten in Social Media gesprochen, die Einflussnahme von außerdeutschen, vielleicht russisch, chinesisch gesteuerten Propagandakräften auf Social Media. Diese beiden Welten finden sie als Verfassungsrechtlerin in Artikel 5, die Meinungsfreiheit und Artikel 8, die Demonstrationsfreiheit wieder. Wir haben das erlebt auf der Straße, in der Realität und in der virtuellen Welt. Glauben Sie, dass diese altertümliche Demokratie auf der Straße noch etwas ausrichten kann gegen Social Media und diese große Welt der Unterhöhlung mit Algorithmen, mit Stimmung, mit Emotionen?
Prof. Dr. Daniela Winkler: Tatsächlich kann ich das auch schlecht beurteilen. Wahrscheinlich kann jemand, der sich noch mal stärker mit diesen Kommunikationsformen beschäftigt, wie sie, das noch mal besser beurteilen. Ich bin da auch naiv und auch irgendwie gar nicht so sehr in dem Geschäft von Social Media. Mein Eindruck ist, dass diese zunehmende, ich nenne es mal Entkörperlichung, Digitalisierung natürlich auch etwas ist, das tatsächlich in einen Konflikt mit dem Gerät, was wir im Grundgesetz ein bisschen zugrunde gelegt haben. Also die Mütter und Väter des Grundgesetzes, die natürlich jetzt auch sich gar nicht vorstellen konnten, dass wir jetzt solche Instrumente zur Verfügung haben, die haben Demokratie, denke ich, anders gedacht. Tatsächlich als persönlichen Austausch, natürlich nicht immer eins zu eins, aber im Parlament als Diskurs oder eben auf der Straße. [ ... ]Und diesen Prozess sehen wir jetzt auch, wenn man nicht mehr mit jemandem direkt spricht, so wie wir miteinander, sondern dass irgendwo auf Social Media macht, unabhängig davon, ob es jetzt unter Einflussnahme von anderen Staaten ist, dass der Ton und der Umgang miteinander ein anderer werden.
Und das ist im Prinzip auch eine Form von antidemokratischer Entwicklung, meiner Meinung nach. In dem Moment, in dem man den Gegenüber nicht dort sitzen hat oder in einen realen Austausch tritt, sondern in ein sehr, sehr weites, grenzenloses Netz hineinschreibt und dann auch beleidigt und möglicherweise auch nicht mehr genau reflektiert, was man dort schreibt. Daher finde ich, ist das eben auch etwas, was eigentlich nicht mehr mit diesem demokratischen Gedanken, so wie es ursprünglich mal vom Grundgesetz vorausgesetzt war, vereinbar ist.
Dr. Max Bauer: Das würde ich Herrn Kabir gleich da anschließend fragen: Was machen Sie dann? Also, wenn das wirklich so ist, dass in dem virtuellen Raum die Emotionalisierung und die Irrationalität und das Politische auf so eine komische Art formuliert wird, wo auch Einflussnahme durch zum Beispiel Propaganda eine viel größere Rolle spielt. Was setzen Sie konkret dem entgegen? Schildern Sie mal, wie Sie das machen.
Rafid Kabir: Da komme ich gleich dazu. Aber erst mal zu dem, was Frau Winkler gesagt hat, und zwar zu der Diskussionskultur, die wir heute durch Social Media haben. Ich finde das schade, dass wir in dem Sinne mittlerweile nicht so richtig miteinander diskutieren. Sondern wir haben schon eine fertige Meinung in unserem Kopf, die wir durch Social Media oder was auch immer dann gebildet haben und dann in den Diskurs gar nicht gehen, sondern eben versuchen, die andere Person zu überzeugen und oder zu sagen man darf heutzutage gar nichts mehr sagen. Und das ist eben die Diskrepanz, die da entsteht und es entsteht so keine richtige Diskussion und das erlebe ich sehr oft, dass Leute in meinem Livestream kommen und unpassende Kommentare kommen schreiben, wie Abschiebeflug oder Heim mit dir usw. Ich erlebe da sehr viel Hass und Rassismus. Und weil diese Leute ein gewisses Bild von mir haben, erwarten sie nicht, dass ich da vor der Kamera sitze und über Politik rede. Und das ist erst mal ein Widerspruch, dass das überhaupt möglich ist.
Zu dem, was ich auch sehr oft mache, ist es den Leuten zu widersprechen. Ich gehe da auf eine gewisse Taktik, und zwar durch sokratische Dialoge. Das heißt, ich stell den Leuten einfach Fragen und versuche durch diese Fragen, dass sie selbst zu den Erkenntnissen kommen und nicht, dass ich vor der Kamera sitze und denen versuche irgendwie pädagogisch irgendwas beizubringen, weil ich dann merke, dass ich sie eher verliere. Das habe ich auch erst gemerkt, als ich auf der Straße war. Also ich habe tatsächlich auch auf der Straße angefangen. Fridays for Future, Black Lives Matter, das war auch meine Anfangsphase, wo ich mit dem Aktivismus angefangen hatte. Und da hat man auch gemerkt, dass viele Menschen zu Recht Fragen haben. Sie verstehen vieles nicht, viele Veränderungen. Besonders junge Leute verstehen nicht, was auf sie zukommt. Und sie haben ein Recht, diese Fragen zu stellen. Und an der Stelle gehe ich ran und versuche diese komplexen Sachen zu erklären. Und die AfD versucht daraus eine Art Ideologie zu machen, das ist Genderwahn, das ist Gender Ideologie und darum sind die Grünen an allem Schuld. Und so weiter und so fort. Und das sind super einfache Antworten, die man dann hört und dann merkt man, dass die Welt doch so einfach ist. Aber die Welt ist eben nicht einfach. Die Welt ist komplex und deswegen sollte auch jeder lernen, auf diese komplexe Welt ambivalent zu schauen. Damit man mit Wissen und Differenzierung durch die Welt geht.
Dr. Max Bauer: Das finde ich einen sehr interessanten Punkt, den Sie schildern. Total überzeugender, spannender Ansatz, nicht nur irgendwie antworten, die Welt zu planen, sondern die besseren Fragen eigentlich noch mal zu stellen oder an den Fragen zu arbeiten.
Ich arbeite jetzt noch mal an der Frage, die ich Herrn Jun stellen möchte. Nämlich wir waren vorhin bei den Demos gewesen und Sie haben geschildert, dass die sich dann irgendwann doch relativ schnell aufgelöst haben. Ich habe mich so ein bisschen gefragt, Sie haben es mit einer Art von Engagement und Dauerhaftigkeit erklärt, die dann irgendwann nicht mehr da war. Aber ich habe mich auch so ein bisschen gefragt, hat da nicht vielleicht auch ein positives Projekt gefehlt? Also nicht, man ist gegen etwas, sondern macht sich Sorgen. Man drückt aber die Sorge aus und ist gegen eine Entwicklung hin zu einer rechtsextremen Wende in diesem Land, sondern man hat irgendwie nicht so richtig ein positives Projekt.
Ich sage jetzt mal plakativ, wäre so ein einendes Projekt der vielen Menschen zum Beispiel ein AfD Verbot. Ich frage deshalb ganz einfach, weil sie die neuesten Zahlen, die wir hatten, zeigen, dass die Befürwortung eines AfD Verbots gestiegen ist. Das ist ziemlich pari pari. Die meisten Deutschen sind wohl dagegen, so ca. 46 %, aber mittlerweile sind auch 42 % dafür. Also wäre ein solches Projekt was, was dieser Sorge, diesem sich kümmern um die Demokratie, irgendwie Dauerhaftigkeit verleihen könnte? Weil so ein AfD Verbotsverfahren wäre ein langer Prozess, wie wir wissen als Juristen. Das geht nicht schnell, sondern das kommt nach Karlsruhe und das dauert mehrere Jahre. Wäre das ein Projekt?
Prof. Dr. Uwe Jun: Nein, weil es dann auf die justiziable Ebene und damit die institutionelle Ebene gehoben wird. Und am Ende wissen wir, dass das Bundesverfassungsgericht nicht nach Stimmungen in der Bevölkerung entscheiden darf. Das wäre auch nicht sinnvoll, sondern das soll Entscheidungen nach juristischen Gesichtspunkten treffen. Insofern glaube ich nicht, dass sie daraus dann eine solche Bewegung konstruieren könnten.
Ich bin auch skeptisch, ob das neben dem ungewissen Erfolg [Satzabbruch] Wir haben ja beim Bündnis Sahra Wagenknecht gesehen, wie schnell man angesichts der digitalen Welt eine Nachfolgepartei gründen kann. Also wer oder was soll Frau Weidel daran hindern, dass binnen einer Woche ein Bündnis Alice Weidel entsteht. Dann ist die AfD zwar verboten, aber sie nimmt alles andere auf. Also sie wird dann die Teile, die nicht vom Verfassungsgericht entsprechend gekennzeichnet worden sind, aufnehmen. Ohnehin ist die AfD eine Partei, die sehr stark im virtuellen Raum operiert, die also sehr stark auf solche virtuellen Plattformen setzt, die also das Körperliche gar nicht so stark braucht. Und von daher ist ein zweiter Punkt, den man dabei noch berücksichtigen sollte, dass das dann eben auch der politische Erfolg, fernab des Juristischen, begrenzt sein könnte.
Dr. Max Bauer: Wann wäre denn für sie der Punkt erreicht, wo man sagen könnte, dass entweder die AfD so mächtig wird, so radikal, was weiß ich. Wann wäre für Sie der Punkt erreicht, wo sie sagen würden: Aber jetzt doch, jetzt muss die Demokratie doch auch mit dem schärfsten Schwert, eines Parteienverbots, geschützt werden. Können Sie so einen Kipppunkt beschreiben?
Prof. Dr. Uwe Jun: Also ich würde sagen, natürlich dann, wenn deutlich verfassungsfeindliche Aspekte in unserem Alltag bemerkbar wären. Also wenn wir das erkennen, was eben extremistische Parteien in der Vergangenheit gemacht haben, da wäre für mich der Punkt erreicht. Also mit Gewalt und all diesen Dingen. Wenn das eine Form annimmt, die nicht mehr tolerabel wäre. Ich würde aber dennoch sagen ich, dass ich kein Gegner eines solchen Verfahrens bin, nicht, dass ich missverstanden werde. Aber ich würde sagen, der Ausgang ist ungewiss, weil wenn sie sich das Parteiprogramm angucken, da finden sie wenig bis gar nichts. Und sie finden eben auch bei zwei der Führenden, nämlich bei beiden Parteivorsitzenden Moment wenig. Also Frau Weidel, weiß ich, hatte auch eine juristische Beratung diesbezüglich. Das heißt, der Ausgang ist ungewiss. Es dauert sehr lange und eine Nachfolgeorganisation stünde schon in den Startlöchern. Denn die sind ja nicht, wie es Herr Kabir hier richtig gesagt hat, von gestern. Also die gehen sehr strategisch vor, die nutzen ja auch die Netze, die haben Verbündete außerhalb dieses Landes, die sie unterstützen.
Herr Kabir hat es gesagt, autoritäre Regime, totalitäre Regime, zum Teil in anderen Ländern. Und von daher würde ich sagen, was bringt uns das dann am Ende, wenn ein solches Verfahren vom Ausgang ungewiss ist und wenn eine Nachfolgeorganisation schnell parat steht. Die werden daran arbeiten, sobald der Antrag eingereicht ist, dessen können Sie gewiss sein.
Dr. Max Bauer: Diese zwei Punkte würde ich gerne an die Verfassungsrechtlerin weitergeben. Einmal die Sache, die Herr Jun beschrieben hat. Im Vergleich zum letzten Verbotsverfahren bei der NPD, schreibt die AfD ja wirklich nicht verfassungsfeindliche Dinge in ihre Programme. Manche Politiker achten sogar darauf, dass sie bewusst nichts sagen. Das heißt, man müsste im Grunde ganz viel sammeln, was sonst so in dieser Partei passiert, und was geäußert wird. Und der zweite Punkt, ab welchem Punkt wäre aus Ihrer Sicht wirklich die Demokratie so gefährdet, dass man das unbedingt machen muss?
Prof. Dr. Daniela Winkler: Das sind natürlich auch fließende Übergänge und von einem Gesamtergebnis bin ich, und so habe ich sie jetzt auch verstanden, unentschieden. Die Frage ist, wie würde das Bundesverfassungsgericht entscheiden. Wir haben so einen interessanten Verlauf, weil das letzte Verfahren gegen die NPD, in verschiedenen Teilen eben nicht vergleichbar ist, mit dem, was wir jetzt haben. Das Bundesverfassungsgericht hat noch mal explizit gesagt, das ist eine Partei, die sich tatsächlich aggressiv kämpferisch gegen unsere demokratische Grundordnung richtet. Aber die letztendlich nicht gefährlich genug ist, um verboten zu werden. Und das geht ja zurück auf diese Formulierung, dass das Parteiverbot das Stärkste, aber auch ein zweischneidiges Schwert ist, das genutzt werden kann, um die demokratische Grundordnung zu schützen. Was mit anderen Worten heißt: Einerseits sagen wir, ein AfD Verbot könnte uns eben davor bewahren, dass es diese in Teilen eben rechtsextreme Partei gibt, die dann im Bundestag oder auch auf Landtags Ebene entsprechend ihre Politik verfolgen kann. Andererseits ist das “unschädlich“ machen des politischen Gegners ein Instrument, mit dem autoritäre Regime arbeiten. Und deswegen ist diese Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts immer ganz stark darauf gerichtet, zu sagen, das wollen wir gerade nicht, der Staat soll neutral bleiben. Es geht eben gerade nicht darum, irgendeine missliebige Partei zu verbieten. Und so wird es natürlich hinterher diskutiert werden, wenn das Verbotsverfahren läuft.
Das ist das Problem dahinter. Wir müssen eben diese Wehrhaftigkeit der Demokratie im äußersten Fall sicherstellen können, dass diese Partei gefährlich werden kann. Wir sagen durch ihre aggressiv kämpferische Haltung und ihre konkreten Angriff, den sie auf diese freiheitlich demokratische Grundordnung tätigt, müssen wir wirklich Angst haben, dass diese Grundordnung sozusagen Bestand hat. Insofern, ist es ganz interessant, dass das Bundesverfassungsgericht in der Vorgängerentscheidung bei der NPD gesagt hat, die NPD ist gefährlich, bzw. aggressiv, kämpferisch, aber irgendwie nicht wichtig genug. Deswegen wurde da ein anderer Weg gewählt.
Jetzt bei der AfD ist es so, dass ich finde, schon durchaus einige Punkte dafürsprechen, auch zu sagen, die sind durchaus kämpferisch, aggressiv. Sozusagen im Kampf gegen die Grundordnung und sie sind definitiv einflussreich. Entsprechend der Zahlen, die wir jetzt haben, bei den verschiedenen Wahlen, entsprechend den Vertretern, die eben in den verschiedensten Positionen bereits sitzen. Also ich finde, dass sich das Bundesverfassungsgericht in gewisser Weise eine Sackgasse manövriert hat, weil es zunächst mal gesagt hat, solange eine Partei nicht gefährlich ist, verbieten wir sie nicht. Aber in dem Moment, in dem eine Partei auch hinreichenden Einfluss hat, so wie bei der AfD jetzt, zucken wir ja durchaus davor zurück, zu sagen, dass dieses Verfahren jetzt eingeleitet wird, weil man eben auch Angst davor hat, was die Wähler machen, wenn sie das Gefühl haben, dass die da oben ihnen jetzt auch noch ihre Partei wegnehmen. Also insofern, es ist eine Zwickmühle.
Prof. Dr. Uwe Jun: Lassen Sie mich auch noch ergänzen. Wir machen uns das gar nicht klar, aber schauen sie übrigens mal nach Sachsen. Dort ist die AfD schon am stärksten. Da gibt es schon eine Partei, für die ist die AfD zu weit links. Die nennen sich Freies Sachsen. Und die stünden übrigens auch dann sofort bereit, die ganzen Wähler aufzufangen. Die Wähler bleiben ja, und man könnte dann viele auffangen und es gibt schon andere Parteien außerhalb der AfD. Und wie gesagt, wir unterschätzen, dass ein solches Verfahren lange dauert, und in dieser Zeit würden die sich entsprechend positionieren und stünden dann eben an vielen Stellen bereit.
Prof. Dr. Daniela Winkler: Ich würde da trotzdem noch eine Anmerkung dazu machen wollen, weil, ich habe einerseits gesagt was dagegen spricht. Andererseits, was für mich für ein Verbot sprechen würde, ist, dass es natürlich auch ein Zeichen des Verfassungsstaates ist, dass er auch an die Wähler appelliert und zeigt, guckt mal, was ihr da wählt. Das ist eine Partei, die sich gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung richtet. Und dann kann man auch als Wähler eigentlich nicht mehr sagen, das mache ich. Aber nur, weil ich jetzt eine Protesthaltung einnehme, sondern dann muss man als Wähler in gewisser Weise auch Farbe bekennen, und für sich sagen, okay, ich wähle diese Partei bewusst, obwohl ich weiß, welche Inhalte sie transportiert. Und deswegen, finde ich, gibt es natürlich auch Gründe, die durchaus für ein Verbot sprechen. Und wenn die Partei verboten würde, würden zumindest die Gelder einkassiert. Das heißt natürlich, dass man auch wieder neue Gelder generieren müsste, um neue Strukturen aufzubauen.
Dr. Max Bauer: Noch eine ganz kurze Nachfrage, an die Verfassungsrechtlerin. Es sind noch andere Pläne in der Debatte, sozusagen das Verbot light. Also zum Beispiel nur ein Landesverband verbieten, was juristisch wohl ginge. Oder zum Beispiel die Finanzierung streichen, was bei der NPD ja gemacht wurde. Können Sie das noch kurz erklären, was da dann doch die Hürden wären? Oder wären das wirklich Maßnahmen, die vielleicht gar nicht schlecht wären, weil gerade die Parteienfinanzierung viel Geld wäre und da würde man eine Partei durchaus empfindlich treffen.
Prof. Dr. Daniela Winkler: Also einen Punkt, den Sie jetzt auch nicht hatten, den ich aber schon gehört hatte, wäre auch, dass man sagt, das richtet sich sozusagen nicht gegen die Partei als solche, sondern gegen die Jugendorganisation, also die Junge Alternative, die ja noch deutlicher rechts ausgerichtet ist. Dabei handelt sich um einen Verein und einen Verein kann man doch deutlich leichter zunächst mal verbieten als eine Partei. Parteien genießen das sogenannte Parteienprivileg, das heißt nur unter sehr engen Voraussetzungen können sie verboten werden. Sie haben schon mal angesprochen, das ganze Verfahren könnte sich gegen einzelne Landesverbände richten. Das ist für mich eine, wenn man sich für das Verbotsverfahren entscheiden würde, ganz gute Lösung. Denn ich denke, dass es eben bestimmte Landesverbände gibt, wie etwa den thüringischen, wo eben diese Argumentationslast leichter zu schultern ist, weil die Ausrichtung und auch Äußerungen einzelner Mitglieder eben deutlich genug sind, dass ich dort sehen würde, dass argumentativ besser begründen könnten, warum die Partei denn zu verbieten ist. Und das würde, wenn man das gesellschaftspolitisch betrachten würde von der Bevölkerung leichter anerkannt werden, wenn man das so sagen möchte. Ist jetzt auch eine nicht juristische Begründung, aber man könnte das möglicherweise besser erklären. Da wäre ein einzelner Verband, der so weit nach rechts abgedriftet ist, den muss man verbieten, aber an der Partei als solche, rütteln wir nicht.
Das dritte, was Sie gesagt haben wir versuchen an die Finanzierung zu gehen. Das würde eben anknüpfen an dieser Verfassungsänderung, die jetzt im Nachgang an das NPD-Urteil vorgenommen wurde. Und man hat gesagt, für Parteien, die sich aggressiv, kämpferisch gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung richten, aber letztendlich keine wirkliche Gefahr darstellen, solchen Parteien, denen kann man ihre finanzielle Grundlage streichen. Das Problem ist, dass rein vom Wortlaut her diese Alternative ja gerade auf Parteien gerichtet ist, die hier explizit eben als nicht wirklich gefährlich sind, weil sie zu unbedeutend sind. Das heißt, wir müssten, um das anzuwenden, eigentlich explizit gegen den Wortlaut der Verfassung dieser Vorschrift anwenden bzw. dann weiter auslegen. Ist fraglich, ob das mit dem Bundesverfassungsgericht zu machen wäre.
Dr. Max Bauer: Und man müsste vor allem die Verfassungswidrigkeit, also quasi den ganzen Bogen, trotzdem beweisen, dass es eine verfassungsfeindliche Partei ist.
Prof. Dr. Uwe Jun: Nur ganz kurz, 80 % der Wähler in Sachsen und Thüringen haben angegeben, dass es ihnen egal sei, dass die Partei rechtsextreme ist.
Rafid Kabir: Ich finde es auch sehr spannend allgemein diese Frage über ein AfD Verbot. Das ist eine Frage, wo ich täglich meine Meinung ändere. Wenn ich auf TikTok in meinem Livestream bin, kommen sehr viele wirklich völkisch nationalistische Jugendliche rein. Viele AfD Wähler haben den Eindruck, dass wir tatsächlich keine Demokratie mehr haben. Und das ist krass, dass so viele Leute durch das Narrativ mittlerweile in einer Realität leben, dass sie denken, dass wir nicht mehr in einer Demokratie leben. Deswegen ist es eine so herausfordernde Frage, wenn doch noch dieses Verbot kommen würde, was das für eine Wirkung bei diesen Wählern erzeugen würde. Also ob dann die AfD noch mal sich in eine Opferrolle stellt und sich damit profiliert. Nach dem Motto: Sie seien die einzigen, die für Basisdemokratie stehen. Diesen Aspekt wollte ich noch mal mit reinbringen, dass ich das auf Social Media sehr oft zu spüren bekomme.
Also, wir haben das Privileg, in einer wehrhaften Demokratie zu leben. Und es ist so traurig, dass Leute in diesem Land das Gefühl haben, dass wir nicht mehr Demokratie leben würden. Das ist so traurig.