Neues von den Ewiggestrigen: Darstellung der Entwicklung des AfD-Landesverbands Baden-Württemberg von August 2020 bis Mitte 2025

Stand der Recherchen: Oktober 2025

1. VORWORT

2. CHARAKTER DES LANDESVERBANDS

2.1. Junge Alternative Baden-Württemberg

2.2. Strukturen im Landesverband

2.2.1. Die Kreisverbände

2.2.2. Das AfD-Bundesschiedsgericht

3. ENTWICKLUNGEN

3.1. Mitgliederentwicklung

3.2. Das Finale der Ära Meuthen

3.2.1. Die Ära Frohnmaier und Sänze (seit 2022) als Fortsetzung der Ära Weidel

3.2.1.1. Landesparteitag am 16./17. Juli 2022 in Stuttgart

3.3. Spaniel- versus Weidel-Lager

3.3.1. Vorgezogene Neuwahl des Landesvorstandes auf dem Rottweiler Parteitag im Februar 2024

3.3.2. Nominierungsparteitag in Ulm

3.4. Zwischenfazit: Ende des innerparteilichen Chaos

4. WAHLEN

4.1. Kommunalwahlen 2024 in Baden-Württemberg

4.2. Bundestagswahl

5. PARTEI IN BEWEGUNG: DIE AFD UND STRASSENPROTESTE

5.2. Kampf gegen die Windmühlen – die AfD und Anti-Windkraft-Initiativen

5.3. Eigene Demonstrations-Aktivitäten

6. „AUSSENPOLITIK“ DES LANDESVERBANDES SEIT AUGUST 2020

7. PLEITEN, PECH UND PANNEN

8. KONKURRENZ OHNE CHANCE

9. FAZIT UND AUSBLICK

Wortwolke mit dominanten Begriffen rund um die AfD in Baden-Württemberg. Auffällige Wörter sind: „afd“, „baden“, „württemberg“, „landesverband“, „rechte“, „partei“, „weidel“, „extrem“, in verschiedenen Farben und Schriftgrößen.

Stand der Recherchen: Oktober 2025 

 

1. Vorwort

Die Alternative für Deutschland (AfD) und mit ihr auch die einzelnen Landesverbände haben seit ihrer Gründung im Jahr 2013 beständige Veränderungen erfahren, inhaltlich wie personell. Alte Funktionär*innen sind ausgetreten und andere aufgestiegen oder neu dazugestoßen. 

Gleichzeitig änderten sich die Themen der Partei oder Inhalte wurden radikalisiert. Bei der flexiblen Themenwahl zeigt sich bis heute der weiterhin dominierende rechtspopulistische Stil der AfD1

Statt starrer Programmatik schielt man auf das nächste große oder kleine Aufreger-Thema, was ein wichtiges Element des populistischen Politikstils ist. Man bleibt dabei variabel und kann Diskurse aufgreifen und sich anpassen. Häufig sind es rechte Feindbilder, die man bedient. Der rechtspopulistische modernisierte Rechtsextremismus vermeidet dabei Klassiker wie offenen Antisemitismus, weil dieser in seiner offenen Variante im Post-Shoah-Deutschland noch immer öffentlich tabuisiert ist. Dieses Tabu gilt allerdings weniger für seine antizionistische oder verschwörungsideologische Variante. Letztere ist auch in den Reihen der AfD weit verbreitet, wenn etwa in dem Holocaust-Überlebenden George Soros sich deutlich die antisemitische Figur des globalen Strippenziehers widerspiegelt, dem z.B. die Lenkung von Flüchtlingsströmen angelastet wird. In einer Pressemitteilung auf Grundlage seiner Einzelanfrage nach dem Jahrestreffen des European Council on Foreign Relations (ECFR) zum Jahresbeginn 2020 erklärte der damalige AfD-Bundestagsabgeordnete Johannes Huber: „Wir dürfen nicht zulassen, dass aus dem Ausland gesteuerte und finanzierte NGOs unsere Souveränität weiter untergraben.“ 2 Weiterhin stellte Huber ein Verbot der von George Soros unterstützten Denkfabrik European Council on Foreign Relations in den Raum. Anstatt „mit […] fragwürdigen Vertretern fremder Interessen zu kooperieren“, so der seit Dezember 2021 fraktionslose Abgeordnete, sollte man sich in der Bundesregierung eher mit der schärferen Kontrolle dieser oder möglicher Organisationsverbote befassen. 3 In der extremen Rechten wird Soros auch als Person ausgemacht, die hinter der Migration nach Europa stehe, die in der extremen Rechten naturgemäß negativ bewertet wird. Hier zeigt sich auch gut, dass Antisemitismus und Rassismus in der extremen Rechten kein Entweder-oder bedeuten müssen.  

Auch die Mitgliedschaft der Partei unterliegt starken Veränderungen, bedingt durch Wechsel oder Absplitterungen, Austritte oder Ausschlüsse. Hinzukommen, vor allem bei Landesverbänden, Wegzüge und das Versterben einzelner Mitglieder. Die Partei bleibt weiterhin das, was ihr Ehrenmitglied Alexander Gauland 2016 als „gäriger Haufen“ 4 bezeichnete. 

Der baden-württembergische Landesverband unterliegt ebenso wie andere Landesverbände diesen Veränderungen. 

Das 2020 von der Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg aufgesetzte Dossier zum Rechtspopulismus in Baden-Württemberg benötigte deswegen eine Aktualisierung und Ergänzung zu neuen Aspekten. 

Denn inzwischen ist die AfD in ihrem dreizehnten Lebensjahr und trotz aller Abspaltungen und Austritte zu einem beständigen Unruhefaktor in der Politik geworden, auch in Baden-Württemberg. Auch von der Oppositionsbank bestimmt sie Themen und beeinflusst Entscheidungen. Sie ist zu einer diskursiven Macht geworden, durch eigene Social-Media-Kanäle, aber auch durch Medien und Politiker*innen anderer demokratischer Parteien, die ihren Themen zunehmenden Raum gewähren.

2. Charakter des Landesverbands

Das föderale System der Bundesrepublik erleichtert, dass einzelne Landesverbände von Parteien eigene Charakteristika ausbilden. Das betrifft nicht nur die AfD, aber eben auch. 

Der baden-württembergische AfD-Landesverband zeichnet sich beispielsweise durch eine Art ‚Retro-Strukturkonservatismus‘ aus, besonders in Bezug auf die Automobil-Industrie. Das hängt auch mit der wichtigen Stellung der Automobil-Industrie im Ländle zusammen, besonders im Großraum Stuttgart, aber auch in Mannheim und Rastatt/Gaggenau. 

So heißt es in einem Beitrag auf der Homepage der AfD Baden-Württemberg:

Die von der Klimarettungshybris geleitete Verkehrspolitik der Altparteien, die bestimmte Verkehrstechnologien und Verkehrsmittel gezielt bevorzugt, lehnen wir ab. Die sogenannte ‚Verkehrswende‘ gefährdet hunderttausende Arbeitsplätze im Automobilland Baden-Württemberg und damit unseren Wohlstand. 5 

Zwei ältere Personen mit Strohhüten, die Westen mit den Aufschriften „OMAS GEGEN RECHTS“ und „OPAS GEGEN RECHTS“ tragen. Im Hintergrund ein bunt bemaltes Haus mit Graffiti und der Aufschrift „ALL COLORS ARE BEAUTIFUL“. Ein Transparent ruft zur Abschiebung der AfD auf.

 

Zwar sorgten die beteiligungsstarken Demonstrationen auch gegen die AfD nach der Veröffentlichung der CORRECTIV-Recherche Ende Januar 2024 zum Treffen in Potsdam vom 25. November 2023 für Verunsicherung und Einbußen bei den Zustimmungswerten für die AfD in Baden-Württemberg, aber diese hielten nur kurzzeitig an.

Spätestens ab Mitte 2023 setzte sowohl bundesweit wie auch bei der Südwest-AfD eine Wachstumsphase ein. Laut der letzten Eigenangabe vom September 2025 hat die AfD in Baden-Württemberg fast 9.000 Mitglieder. 6

Damit ist der baden-württembergische Landesverband einer der mitgliederstärksten AfD-Landesverbände. Gleichzeitig galt die Südwest-AfD aufgrund der langjährigen Streitigkeiten zwischen dem Weidel- und dem Spaniel-Lager lange Zeit eher als ein ‚Problem-Landesverband‘. Den Sieg in diesem intensiven Streit trug dann im vergangenen Jahr das Lager um die Co-Bundessprecherin und Fraktionsvorsitzende im Bundestag eindrucksvoll davon. Der damalige Stuttgarter Bundestagsabgeordnete Spaniel verließ im Oktober 2024 die AfD, gegen ihn lief ein Ausschlussverfahren, und schloss sich der WerteUnion von Hans-Georg Maaßen an.

2.1. Junge Alternative Baden-Württemberg

Die baden-württembergische AfD verfügte mit der Jungen Alternative Baden-Württemberg (JA BaWü) bis zu deren Selbstauflösung am 27.03.2025 7 über eine eigene Jugendorganisation. Diese wurde in Tübingen im Juli 2013 vor allem von Studenten gegründet und soll im März 2024 über 260 Mitglieder verfügt haben. 8

Wie vergleichbare Partei-Jugendorganisationen sollte die JA als Nachwuchs-Reservoir der Mutterpartei dienen und gezielt jüngere Menschen ansprechen. Allerdings musste ein JA-Mitglied kein AfD-Mitglied sein. Und bei Weitem nicht alle jungen AfD-Mitglieder waren in der JA organisiert. Deshalb verfügte die JA bundesweit über ein eigenständiges ideologisches Profil, welches rechts vom Partei-Mainstream einzuordnen ist. 

In Baden-Württemberg positionierte sich die JA auf der Seite des Höcke-Flügels. Auf Instagram verkündete die JA BaWü am 23. September 2023: „Wir sind stolz, ein Teil des Systems Höcke zu sein“ 9.

Spätestens seit 2015 existierten Kontakte der JA Baden-Württemberg zur extrem rechten Identitären Bewegung (IB), genauso wie es Kontakte und personelle Überschneidungen zu einigen Burschenschaften, beispielsweise der Burschenschaft Saxo-Silesia zu Freiburg, gab.

Diese Überschneidungen existieren bis in die jüngste Zeit. Zum Beispiel war das JA-Landesvorstandsmitglied Jannis George ein bekannter Aktivist der Gruppe Reconquista21, dem baden-württembergischen Ableger der Identitären Bewegung10

Das Netzwerk der JA reichte dabei bis in die Schweiz. Als am 14. Dezember 2024 in der Schweiz die AfD-Abgeordneten Roger Beckamp und Lena Kotre einen Vortrag für die neofaschistische Gruppe Junge Tat, die sich an der IB orientiert, hielten, war Tim Demuth aka Tim Staufer einer der Moderatoren der Veranstaltung. Demuth war Mitglied im JA-Landesvorstand und stammt aus einem Weiler im Landkreis Esslingen. 11

Als die Beobachtung durch das Bundesamt für Verfassungsschutz bekannt wurde, gab es 2018 einen Bruch in der Jungen Alternative. Daraufhin traten 50 Mitglieder und der halbe Landesvorstand aus, darunter der JA-Landesvorsitzende Moritz Brodbeck sowie der spätere AfD-Landtagsabgeordnete Daniel Lindenschmid. 12 Brodbeck erklärte damals, ein Teil der Mitglieder hätte nicht zwischen der JA und der IB unterscheiden können, so ZEIT ONLINE. 13

Ein Phänomen, dass die Junge Alternative langfristig und nicht nur in Baden-Württemberg auszeichnet.

Es erfolgte 2020 mit der Gründung der Jugend für Demokratie und Europa e.V. der Versuch, eine Alternative zur Jungen Alternative zu schaffen. Diese blieb aber nach der Gründung vollständig bedeutungslos. 

Auf Bundesebene wurde die JA 2023 vom Inlandsgeheimdienst als „gesichert rechtsextrem“ eingestuft. 14 Im Verfassungsschutzbericht Baden-Württemberg 2024 werden die JA Baden-Württemberg und der AfD-Landesverband als „Verdachtsfälle“ geführt. 15

Mit dem bundesweit gestiegenen Zuspruch zur AfD unter Jugendlichen und jüngeren Erwachsenen hatte die JA in Baden-Württemberg allerdings nur wenig zu tun. Zu gering ist die Ausstrahlung des Landesverbandes. Als einziges beständiges Medium nach außen existierte ein eigener Podcast mit dem Namen Neckarwerft. Moderator ist der Stuttgarter Gemeinderat und Beisitzer im JA-Landesvorstand Steffen Degler. Die Mitgliederzahl liegt im niedrigen zweistelligen Bereich. 

Insgesamt fungierte die Südwest-JA eher als Karriere-Sprungbrett in die AfD. Viele ehemalige JA-Mitglieder sind heute Mitarbeiter*innen von Abgeordneten und einige sind sogar selbst Abgeordnete wie etwa die Landtagsabgeordneten Daniel Lindenschmid und Ruben Rupp. 

Bundesweit steht die JA aktuell vor einem Umbruch. Sie wurde offiziell am 31. März 2025 aufgelöst. Sie soll laut im Dezember 2024 bekannt gewordenen Plänen der AfD direkt angegliedert werden. Demnach sollen alle AfD-Mitglieder unter 35 Jahren automatisch Mitglied der JA sein. Dadurch wäre es nicht mehr möglich, als Nicht-Partei-Mitglied Teil der Jugendorganisation zu sein. Kritiker*innen dieses Prozesses befürchten einen Unabhängigkeitsverlust der Partei-Jugend. Hintergrund dürfte tatsächlich eine Kontrolle des AfD-Nachwuchses sein, aber auch der Schutz vor einem möglichen Vereinsverbot einer formal eigenständigen Organisation, die sogar auf einen Eintrag im Vereinsregister verzichtete.

2.2. Strukturen im Landesverband

2.2.1. Die Kreisverbände

Das Bundesland Baden-Württemberg besteht aus 35 Landkreisen und neun Stadtkreisen. An dieser Struktur orientieren sich die politischen Parteien auf Landesebene. Allerdings existiert bei der AfD trotz stetigem Wachstum, insbesondere in den letzten Jahren, nicht in jedem Land- und Stadtkreis ein eigenständiger Kreisverband. Es bestehen eine Reihe von Doppel-Kreisverbänden. Und nur in wenigen der offiziellen 28 JA-Kreisverbände gab es auch eine aktive Gliederung der Jungen Alternative. In vielen Kreisverbänden gibt es noch nicht einmal eine eigenständige Ansprechperson. Wer dort den Kontakt suchte, musste sich an den JA-Landesverband wenden. Hervorzuheben ist, dass der Ansprechpartner für den Kreisverband Ravensburg/Bodensee-Region, er besteht aus den drei Landkreisen Ravensburg, Konstanz und Bodensee 16, 2024 für mehrere Monate Marius Keipp (Instagram: „Marius Sued“) war, ein offiziell in Kreuzlingen (Schweiz) lebender Aktivist der Identitären Bewegung bzw. der Verantwortliche von Reconquista21, einer Regionalstruktur der Identitären.


Mehr zu den Identitären

 


Formal besteht weiterhin ein Unvereinbarkeitsbeschluss der AfD zur Identitären Bewegung. Doch finden sich zahlreiche aktive und ehemalige Aktivisten der Identitären Bewegung in den Reihen der Jungen Alternative und der AfD. Häufig auch auf der Arbeitsebene in den verschiedenen Landtagen und im Bundestag. Im Jahr 2022 besuchte der ehemalige JA-Landesvorsitzende Severin Köhler mit einem Gast des New York Young Republican Club (NYYRC), Nathan Berger, den Landtag, was seine internationale Vernetzung unterstreicht. 17 Aktuell soll gegen Köhler, der auch AfD-Gemeinderat in Ditzingen ist, ein Parteiausschlussverfahren laufen. 18

2.2.2. Das AfD-Bundesschiedsgericht

Das Bundesschiedsgericht hat seinen Sitz im Süden der Landeshauptstadt Stuttgart. 19 Zu den Richtern des Bundesschiedsgerichts gehört der ehemalige Stuttgarter Bundestagsabgeordnete (2017 bis 2021) Prof. Dr. Lothar Maier, der dem Stuttgarter Gemeinderat von 2014 bis 2018 angehörte. Er schied vorzeitig im März 2018 „wegen seines Bundestagsmandats gegebenen häufigen und lang dauernden beruflichen Abwesenheit von der Gemeinde aus“ 20. Außerdem war Maier von 2015 bis 2017 einer von drei Sprechern des AfD-Landesverbandes. Nach seinem Ausscheiden aus dem Bundestag im Jahr 2021 zog er in die Hansestadt Hamburg, wo er von 1982 bis zu seiner Emeritierung 2009 Professor an der Hochschule für Angewandte Wissenschaften Hamburg (HAW) war.

Weiterhin gehört der Rechtsanwalt Dr. Christoph Wichardt, 2019 bis 2025 AfD-Kreisrat und zeitweilig Fraktionsvorsitzender im Enzkreis, dem Bundesschiedsgericht an. Bei der Wahl der Ersatzrichter*innen fiel die in Dossenheim praktizierende Rechtsanwältin Doris von Sayn-Wittgenstein deutlich durch. Sie hatte eine selbst für AfD-Verhältnisse umstrittene Polit-Biografie. Sayn-Wittgenstein war 2016 nach Schleswig-Holstein gezogen. Zuvor hatte sie in Dossenheim (Rhein-Neckar-Kreis) als Rechtsanwältin praktiziert. 21 2017 wurde sie in den Landtag, im Juli 2017 zur Landessprecherin der AfD Schleswig-Holstein und im Dezember 2017 auf dem Bundesparteitag in Hannover beinahe zur Bundessprecherin gewählt. Allerdings erreichte weder sie noch ihr Gegenkandidat, der Berliner Georg Pazderski, in zwei Wahlgängen die hierfür erforderlichen 50 Prozent. Im dritten Wahlgang wurde dann Alexander Gauland gewählt, um Sayn-Wittgenstein zu verhindern.

Seit 2019 lief gegen Sayn-Wittgenstein ein Parteiausschlussverfahren, wogegen sie erfolgreich klagte. Trotz des laufenden Ausschlussverfahrens wurde Sayn-Wittgenstein Ende Juni 2019 als Landesvorsitzende von Schleswig-Holstein wiedergewählt. 22 Im April 2021 urteilte das Landgericht Berlin, dass von Sayn-Wittgenstein weiterhin AfD-Mitglied ist, da der Parteiausschluss nicht wirksam erfolgt sei. Ihre Anhörungsrechte seien missachtet worden. Der Parteiausschluss sei, so das Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL, „nicht wirksam, weil das satzungsmäßig vorgeschriebene Verfahren keine Beachtung gefunden hat“. 23 Ausgangspunkt des Verfahrens war ihre Unterstützung des rechtsextremen Vereins Gedächtnisstätte e.V. 24 Dieser Verein wurde 1992 u.a. von der 2024 verstorbenen Holocaust-Leugnerin Ursula Haverbeck gegründet und wird vom Bundesamt für Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft. So berichtete beispielsweise der Verfassungsschutzbericht von Thüringen für das Jahr 2018 auf mehr als drei reichlich bebilderten Seiten über die Aktivitäten des Vereins. Dieser biete

Rechtsextremisten verschiedener Strömungen eine etablierte Plattform zum intellektuellen Diskurs. Er besitzt eine organisationsübergreifende Vernetzungsfunktion innerhalb der rechtsextremistischen Szene. 25

Nach dem Ausscheiden aus dem Landtag von Schleswig-Holstein 2022 zog Sayn-Wittgenstein zurück nach Baden-Württemberg und arbeitet seitdem wieder in der Dossenheimer Kanzlei als Partnerin von Dieter Horstmann. 26 Sie soll im Kreisverband Rhein-Neckar in Baden-Württemberg organisiert sein. Anfang März berichtete die BILD über ein von Sayn-Wittgenstein angestrengtes Verfahren am Landgericht Stuttgart:

Wittgenstein wirft der AfD Rechtsbruch vor. Sie behauptet, Weidel habe die illegale Wiederwahl zweier Landes-Vorsitzender unterstützt. 27

Später zog von Wittgenstein ihre Klage wieder zurück.

Die beiden baden-württembergischen Richter Christoph Wichardt und Lothar Maier gehören beide der 2. Kammer des Bundesschiedsgerichtes an. Wichardt als Vorsitzender und Maier als Beisitzer. Insgesamt umfasst das Bundesschiedsgericht drei, jeweils aus drei Personen bestehenden, Kammern. 28

Es existiert auch ein AfD-Landesschiedsgericht. Im Jahr 2024 war Markus Berthold sein Präsident und Martina Kempf Vizepräsidentin. 29

Kempf, eine christliche Abtreibungsgegnerin, wurde im Februar 2025 in den Bundestag gewählt und der Rechtsanwalt Markus Berthold sitzt seit Juli 2024 für die AfD im Kreistag von Esslingen. 30

Als Rechtsanwalt verteidigte er einen Angeklagten der sogenannten rechtsextremistischen Gruppe S, deren Mitglieder 2023 mit einer Ausnahme wegen Bildung oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu Haftstrafen verurteilt wurden. 31

In den innerparteilichen Auseinandersetzungen spielt das Landesschiedsgericht eine große Rolle, weil bei diesen Konflikten gerne Parteiordnungs- und Parteiausschlussverfahren als Mittel eingesetzt werden. Über die genauen Zahlen ist nichts bekannt, doch besteht der Eindruck, dass bei der AfD mehr als in anderen Parteien auf diese Mittel zurückgegriffen wird.

3. Entwicklungen

3.1. Mitgliederentwicklung

Baden-Württemberg ist der drittgrößte AfD-Landesverband mit fast 9.000 Mitgliedern und der, gemessen an Wahlergebnissen, lange Zeit erfolgreichste westdeutsche Landesverband. Bei der Gründungsveranstaltung des Landesverbandes waren im Jahr 2013 171 stimmberechtigte Mitglieder der insgesamt 1.400 Mitglieder anwesend. Die Mitgliederzahl stieg sehr schnell auf 2.600 zum Ende des Jahres an. Ende 2021 gehörten offiziell 3.915 Mitglieder dem baden-württembergischen Landesverband an. 32 Im Februar 2022 bereinigte die AfD ihre Mitgliederkartei um 900 Karteileichen. 33 Ende 2022 zählte der Landesverband nach Eigenangabe über 3.700 Mitglieder. Ein Jahr später waren es laut SWR rund 5.400 34 und Ende 2024 dann 6.000. Die meisten Mitglieder hat der AfD-Landesverband im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen mit über 10.000 Mitgliedern. 35

3.2. Das Finale der Ära Meuthen

Am 28. Januar 2022 trat der ehemalige Landesvorsitzende und langjährige Co-Bundessprecher Jörg Meuthen aus der AfDaus. Ein Schritt, der niemanden mehr wirklich überraschte. Kurz darauf verließ er am 10. Februar auch seine Fraktion Identität und Demokratie im Europaparlament. Meuthen war 2017 aus dem Landtag von Baden-Württemberg als Nachrücker in das Europaparlament gewechselt. Der promovierte Wirtschaftswissenschaftler Meuthen war mit seinem Austritt der dritte gescheiterte Vorsitzende der AfD nach Bernd Lucke und Frauke Petry. Wie seine beiden Vorgänger*innen verschwand auch er in der politischen Bedeutungslosigkeit. Im Juni 2022 schloss er sich der Deutschen Zentrumspartei (DZP) an. 

Im September 2023 verließ Meuthen nach internen Querelen und Streitereien das Zentrum bereits wieder. Doch Meuthen war nicht das erste ehemalige AfD-Mitglied, das seine neue politische Heimat in der katholisch-konservativen Kleinstpartei mit rund 500 Mitgliedern suchte. Von Januar 2022 bis Juli 2022 war auch der nordrhein-westfälische Bundestagsabgeordnete Uwe Witt vorübergehend Mitglied des Zentrums. Danach blieb Witt partei-, fraktions- und erfolglos. 36 Meuthen kehrte zum 1. Januar 2025 wieder an die Hochschule in Kehl als Hochschullehrer zurück. Die Hochschule für öffentliche Verwaltung Kehl ist eine von zwei Fachhochschulen für öffentliche Verwaltung in Baden-Württemberg. Damit obliegt Meuthen die Ausbildung für Anwärter*innen für den gehobenen Dienst der öffentlichen Verwaltung des Landes Baden-Württemberg. Dies trotz seiner langjährigen Rolle in der sich stetig radikalisierenden AfD. Im vergangenen Jahr präsentierte sich Meuthen gegenüber der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalt ARD gar als Aussteiger aus der AfD. Dabei hatte er 2017 das Parteiausschlussverfahren gegen Björn Höcke abgelehnt. 37 Stattdessen besuchte er zwischen 2016 und 2018 dreimal 38 die Kyffhäuser-Veranstaltung der extrem rechten Patriotischen Plattform in der AfD. Das in Thüringen gelegene, 1896 eingeweihte Kyffhäuserdenkmal mit seinem großflächigen Areal und hohen Turm feiert das schwäbische Herrschergeschlecht der Staufer als Urbild des deutschen Kaisertums.

Steinerne Statue eines bärtigen, sitzenden Königs mit Krone vor reich verziertem Hintergrund. Dargestellt ist Kaiser Barbarossa als Teil eines Denkmals.

Im Zentrum des Denkmals sinniert eine Sandsteinfigur des im 12. Jahrhundert herrschenden Kaisers Friedrich I. ‚Barbarossa‘ über seine Wiederkehr. Der Sage nach ist Friedrich I. ‚Barbarossa‘ nicht tot, sondern schläft im Kyffhäuserberg und wartet auf seine Rückkehr. An diesem zutiefst symbolischen Ort besuchte Meuthen die Truppen des völkischen Hardliners Björn Höcke, dem er 2024 der ARD gegenüber beschied, „eindeutig demokratiegefährdend“ 39 zu sein. Dennoch duldete Meuthen letztlich Höcke und kungelte mit ihm gegen seine Rivalin Frauke Petry. Von Meuthen stammte das diffamierende Diktum „linksgrün versifft“ für politische Gegner*innen, auf das Meuthen noch 2023 „ein wenig stolz“ war. 40 Meuthen kann sicherlich nicht als AfD-Aussteiger gelten. Er ist vielmehr ein Abkehrer, dessen Macht in der AfD im Laufe der Jahre zusehends erlosch. Erst die Aussicht auf die völlige Bedeutungslosigkeit innerhalb der AfD brachte ihn dazu, diese extrem rechte und insgesamt eindeutig demokratiegefährdende Partei zu verlassen.

Im September 2024 schloss sich Meuthen dann nach seinem Zentrums-Intermezzo der WerteUnion (siehe Punkt 8) von Hans-Georg Maaßen an, dem einstigen Chef des Bundesamtes für Verfassungsschutz, der die AfD nicht beobachten lassen wollte. In einem Interview mit der extrem rechten Wochenzeitung Junge Freiheit erklärte Maaßen 2021, er halte es „nicht für richtig, dass politische Parteien wie zum Beispiel die AfD beobachtet werden“. 41

Stattdessen präsentierte Maaßen Zahlen aus dem noch unveröffentlichten Verfassungsschutzbericht bei der AfD-Bundestagsfraktion. 42 2019 erklärte Meuthen im Deutschlandfunk, es gebe für den Verfassungsschutz nichts zu beobachten in der AfD, obwohl er im Nachhinein Höcke dann doch für „eindeutig demokratiegefährdend“ 43 hielt.

Titelseite des Verfassungsschutzberichts 2021 mit dem Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland, darauf der Bundesadler und eine schwarz-rot-goldene Linie.

In der extrem rechten Kleinstpartei WerteUnion ist der Volkswirt Meuthen verantwortlich für Finanz-, Wirtschafts- und Geldpolitik. „Er ist damit Teil des Kompetenzteams ‚Expertenrat‘ der Partei um Hans-Georg Maaßen.“ 44 Zur Bundestagswahl trat die WerteUnion letztendlich nur in Nordrhein-Westfalen an und erzielte 0,1 Prozent der Zweitstimmen. 45 Im Juli 2024 erklärte Maaßen gegenüber dem ZDF mit Blick auf die AfD:

Meine Partei kennt keine Brandmauern. 46

Der Nukleus der WerteUnion lag in Baden-Württemberg. Im Juni 2016 gründeten sieben Kommunalpolitiker den Konservativen Aufbruch Baden-Württemberg e.V. mit Sitz in Kirchheim/Teck, laut Gründungsprotokoll „nach bayerischem Vorbild“. 47 Dort startete bereits 2014 die CSU-Gruppierung Konservativer Aufbruch. Bei der Gründung in Plankstadt (Rhein-Neckar-Kreis) 2018 gingen diese beiden Gruppierungen in der neugeschaffenen WerteUnion auf. 48

WerteUnion-Gründer Alexander Mitsch ist heute stellvertretender Vorsitzender der Partei und Schatzmeister der Stiftung Meinung & Freiheit e.V., in der wiederum Hans-Georg Maaßen stellvertretender Vorsitzender und der Verleger Roland Tichy („Tichys Einblick“)Vorstandsvorsitzender ist.

Der schon damals stramm rechte Mitsch gehörte seit den 1990er-Jahren zu den Aktiven der Jungen Union und der CDU im Rhein-Neckar-Raum.

Allerdings wurden durch Medienberichte im September 2025 innerparteiliche Machtkämpfe zwischen Meuthen undMaaßen bekannt. 49

3.2.1. Die Ära Frohnmaier und Sänze (seit 2022) als Fortsetzung der Ära Weidel

3.2.1.1. Landesparteitag am 16./17. Juli 2022 in Stuttgart

Der 17. Landesparteitag der AfD Baden-Württemberg fand 2022 in der Messe Stuttgart statt. Ursprünglich sollte der Parteitag zwei Wochen früher in Stuttgart-Bad Cannstatt in der Carl Benz Arena unweit des Fußballstadions des heimischen Fußballbundesligisten VfB Stuttgart stattfinden.

Die Partei erklärte, der eigentliche Grund für die Verlegung sei, dass der Besitzer der Stuttgarter Carl Benz Arena dem Betreiber kurzfristig gekündigt habe, so dass die Veranstaltung abgesagt werden musste. Der AfD-Landesvorstand sprach von einem ‚demokratiefeindlichen Akt‘ des Eigentümers der Carl Benz Arena“,

so eine von der ZEIT veröffentlichte dpa-Meldung. 50

Faktisch hatten am 1. und 2. Juli 2022 direkt gegenüber der Arena auf dem weitläufigen Cannstatter Wasen-Gelände zwei Konzerte der bekanntesten Stuttgarter Band Die Fantastischen Vier stattgefunden. Ein mindestens organisatorisches Chaos wäre wahrscheinlich gewesen. Die tatsächlichen chaotischen Verhältnisse zwei Wochen später in der Messehalle 3 auf den Fildern hatte dann die AfD selbst zu verantworten. Die Neubesetzung des Landesvorstandes stand im Vordergrund der Veranstaltung. 
 

Zur Wahl um die neu eingeführte Einzelspitze traten dann die beiden Bundestagsabgeordneten Martin Hess, Ludwigsburg, und Dirk Spaniel, Stuttgart, an. Sowohl der Ludwigsburger Polizeibeamte und Bundestagsabgeordnete Hess, er ist dem Lager um Alice Weidel zuzurechnen, wie auch der Stuttgarter Dirk Spaniel, er gehört zu den völkischen Ultrarechten, konnten in zwei Wahlgängen jeweils keine erforderliche absolute Mehrheit erreichen, was die innere Zerrissenheit der AfD zeigte. Im ersten Wahlgang lag Spaniel knapp vor Hess, im zweiten Wahlgang Hess mit 49,82 Prozent hauchdünn vor Spaniel, auf den 49,29 Prozent der Stimmen fielen. Daraufhin zogen Hess und Spaniel ihre Kandidaturen zurück. Stattdessen traten der Bundestagsabgeordnete Markus Frohnmaier, ein gescheiterter Jurastudent und langjähriger Parteiaktivist, und der Landtagsabgeordnete Emil Sänze in den Ring. Doch auch diese beiden verfehlten die erforderliche absolute Mehrheit. Um die Blockadesituation zu überwinden, erfolgte eine Rolle rückwärts. Der Landesparteitag kehrte zur zuvor noch abgelehnten Doppelspitze zurück, die 2020 offiziell abgeschafft worden war. Im vierten Wahlgang wurden dann der damalige parlamentarische Geschäftsführer der Landtagsfraktion Emil Sänze, Rottweil, und der Bundestagsabgeordnete Markus Frohnmaier, Weil der Stadt (Kreis Böblingen), mit 319 von 533 Stimmen zu neuen Landessprechern gewählt.

Zu stellvertretenden Vorsitzenden gewählt wurden:

  • der Flügel-Mann Rüdiger Klos MdL, Wahlkreis 55 Tuttlingen-Donaueschingen, letzte Wahlperiode Direktmandat im Mannheimer WK 35 und Verkehrsausschuss-Vorsitzender im Landtag von Baden-Württemberg,
  • Marc Jongen MdB, Wahlkreis Neckar-Zaber, Dozent an der Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe, war 2017 Landessprecher der AfD, dann 2020 zum stellvertretenden Landesvorsitzenden gewählt, gehört zu den völkischen Rechten, grenzt sich dabei von Höcke ab,
  • Udo Stein MdL, Wahlkreis 22 Schwäbisch Hall, wurde mit mehr als 80 Prozent der Stimmen zum 3. Stellvertreter gewählt. 

Zum Schatzmeister wurde Hans-Peter Hörner MdL, Wahlkreis 63 Balingen, mit 71,35 Prozent der Stimmen wiedergewählt. Zum stellvertretenden Schatzmeister wiedergewählt wurde mit Hannes Ernst, Göppingen, der Landesgeschäftsführer der AfD. Schriftführer wurde Reimond Hoffmann, ein ehemaliger parlamentarischer Berater der baden-württembergischen Landtagsfraktion, der jetzt in Bayern bei der dortigen Landtagsfraktion arbeitet. Seine Karriere in der Jungen Alternative trug der Flügel-Mann bis in das Amt des stellvertretenden Bundesvorsitzenden.

Zu Beisitzern gewählt wurden:

  • Taras Maygutiak, 2021 Landtags- und Bundestagskandidat in Offenburg, Anhänger von Höcke,
  • Severin Köhler, Ditzingen (Kreis Ludwigsburg), kurz zuvor in den Landesvorstand der Jungen Alternative (JA)gewählt, mit Kontakten zur Identitären Bewegung und ihren Nachfolge- und Nebenorganisationen,
  • Hansjörg Schrade, KV-Sprecher und Landtagskandidat in Reutlingen, ehemaliger Mitarbeiter von Udo Stein, ehemaliger parlamentarischer Berater im Bereich Ernährung, Ländlicher Raum und Verbraucherschutz der Landtagsfraktion und kurzzeitig Berater der Bundestagsfraktion,
  • Günther Schöttle, Nagold, bis Dezember 2024 langjähriger Sprecher des KV Calw-Freudenstadt,
  • Martina Böswald aus Staufen, Kreisvorsitzende, Kreisrätin und Dauerkandidatin bei Landtags- und Bundestagswahlen, Referentin im Bundestag.

Der neue Landesvorstand bedeutete einen deutlichen Rechtsruck gegenüber dem bisherigen Landesvorstand, was die von der AfD lautstark beklagte Beobachtung des gesamten Landesverbandes durch den Verfassungsschutz bestätigte. Der Landesvorstand war sehr stark von der Landtagsfraktion geprägt; im vorhergehenden Landesvorstand war die Bundestagsfraktion mit fünf (jetzt noch zwei) MdB deutlich stärker vertreten. Lediglich drei (reguläre Wahl im Februar 2020) bzw. fünf (mit Nachwahl) Personen aus dem alten Landesvorstand gehörten dem neu gewählten Gremium an. Weidel kündigte im Rahmen des Parteitages an, dass die AfD den etablierten Medien Konkurrenz machen will und die Gründung und Unterstützung alternativer Kanäle prüfe. 

3.3. Spaniel- versus Weidel-Lager

Zwei rote Boxhandschuhe prallen frontal aufeinander, darüber eine stilisierte Explosionslinie.

Spätestens seit 2019 existierte im AfD-Landesverband in Baden-Württemberg ein Streit zwischen zwei Lagern, die lange Zeit bei Mitglieder- oder Delegierten-Parteitagen je etwa die Hälfte der Stimmen auf sich vereinen konnten. Da die Antagonisten in diesem Streit die AfD-Sprecherin und Bundestagsabgeordnete Alice Weidel und der AfD-Bundestagsabgeordnete Dirk Spaniel waren, kann man auch von einem Streit zwischen dem Spaniel- und dem Weidel-Lager sprechen. 

Spaniel hatte ab Februar 2019 zusammen mit dem Landtags-Fraktionsvorsitzenden Bernd Gögel das Amt des Sprechers des Landesverbandes inne. Gögel war in diesem Zusammenhang ein Parteigänger Weidels. 

Schnell entspann sich ein Konflikt, der vor allem ein Machtkonflikt war. Der Riss ging zeitweise quer durch den gesamten Landesvorstand.

Parteiintern wurde versucht, gegen Spaniel mit einem Parteiausschlussverfahren vorzugehen. Der AfD-Bundesvorstand beantragte im April 2020 eine zweijährige Ämtersperre für Spaniel. Trotzdem zog Spaniel mit der Bundestagswahl 2021 über die Landesliste erneut in den Bundestag ein. 

Umgekehrt warfen Spaniel und seine Gefolgsleute der AfD-Bundestags-Fraktionsvorsitzenden Alice Weidel nach deren Spendenskandal Vertuschung, Intransparenz und fehlenden Willen zur Aufklärung vor. 51

Schon vorher hatte das Weidel-Lager Spaniel seine Kontakte zur extrem rechten Pseudo-Gewerkschaft Zentrum Automobil (heute nur noch Zentrum. Die alternative Gewerkschaft) vorgehalten. Diese 2009 im Daimler-Werk in Stuttgart-Untertürkheim gegründete rechte Betriebsratsliste hatte sich nach 2015 organisatorisch der AfD und dem extrem rechten COMPACT-Magazin angenähert. 

Noch aus Lucke-Zeiten her rührt der Umstand, dass das Zentrum auf einer AfD-Unvereinbarkeitsliste stand. Beim AfD-Bundesparteitag im Juni 2022 in Dresden wurde dieser Unvereinbarkeitsbeschluss schließlich mit der Unterstützung von Björn Höcke  aufgehoben. 52

Da das Zentrum über starke Verbindungen zum Spaniel-Lager verfügt, versuchte das Weidel-Lager diese Aufhebung erfolglos zu stoppen. Dieser Versuch war nicht inhaltlich motiviert, sondern hatte rein taktische Gründe, da man eine Stärkung des Spaniel-Flügels fürchtete. 

Damit lag im Konflikt die Ressourcen-Übermacht deutlich beim Weidel-Lager. Anzumerken ist, dass die Abgeordneten im Landtag und im Bundestag mehrere Mitarbeiter*innen im Parlament oder im Wahlkreis beschäftigen können. Diese gehören nicht selten auch den Kreisvorständen der AfD an. Dadurch kann man sich im eigenen Wahlkreis und etwaigen Betreuungs-Landkreisen eine solide Machtbasis schaffen.

Dem Weidel-Lager gelang es bis zum Oktober 2024, eine Mehrzahl der Kreisverbände auf seine Seite zu ziehen. Beim Nominierungsparteitag in Ulm im Oktober 2024 führte das schließlich zu einer vollständigen Niederlage des Spaniel-Lagers. Spaniel trat Mitte Oktober 2024 aus der AfD aus, auch weil er nicht wieder zur Bundestagswahl nominiert wurde. Im Januar 2025 schloss er sich der WerteUnion (siehe Kapitel 8) an.

Mit Spaniel und Seitz haben zwei von vier gegen Weidel opponierende Bundestagsabgeordnete aus Baden-Württemberg die AfD verlassen. Nur die beiden AfD-Bundestagsabgeordneten Baum und Braun sind in der AfD verblieben und versuchten über die Direktwahl in Wahlkreisen in Bayern bzw. in Sachsen-Anhalt ein Mandat zu erlangen. Der Zahnärztin aus Lauda-Königshofen (Main-Tauber-Kreis) Christina Baum gelang dies sogar mit einem Direktmandat im Wahlkreis 68 Harz. 53 Braun scheiterte jedoch bei der vorgezogenen Bundestagswahl in seinem Wahlkreis Dachau; und auch bei der Listenaufstellung zur Landtagswahl am 31. Mai/1. Juni 2025 in Heilbronn konnte er keinen sicheren Listenplatz erzielen. 54

3.3.1. Vorgezogene Neuwahl des Landesvorstandes auf dem Rottweiler Parteitag im Februar 2024

Interne Streitereien, tiefgreifendes Misstrauen, Unterstellungen aller Art, Streit um eine geerbte Immobilie, gar regelrechte Grabenkriege in Landesvorstand und im Landesverband führten erneut zu einem Parteitag mit vorgezogenen Neuwahlen. Die sieben Vorstandsmitglieder Böswald, Deutscher, Hoffmann, Köhler, Maygutiak, Schöttle und Schrade waren unzufrieden mit der im Juli 2022 in Stuttgart gewählten Doppelspitze Markus Frohnmaier und Emil Sänze. Da sie die Mehrheit innerhalb des Landesvorstandes bildeten, kam es nach Presseberichten immer wieder zu Streitereien und Blockaden. 22 Kreisverbände hatten deshalb die Abhaltung des Sonderparteitags gefordert, um die Blockadesituation vor Kommunalwahl und Europawahl im Juni 2024 zu lösen. 55

Die Umstände und vor allem der um Stunden verzögerte faktische Beginn des Parteitages stellten alles bislang Bekannte in den Schatten, auch wenn die AfD sich immer wieder bei Parteitagen in Baden-Württemberg und anderswo auf offener Bühne regelrecht zerfleischt hatte. Doch war es keine Drohung von außen, die zur zwischenzeitlichen vollständigen Räumung der Stadthalle in Rottweil führte.

Plakat mit dem Aufruf „Gegen den Landesparteitag der AfD“. In großen bunten Buchstaben steht: „Deine Spende für Kundgebung & Kulturfest. Sa. 24. Feb, So. 25. Feb.“ Unten steht: „Bündnis für Demokratie und Vielfalt“, Hintergrund mit bunten Farbspritzern.

Die Kundgebung des Bündnis für Demokratie und Vielfalt, bestehend aus Vereinen, Verbänden, Initiativen, Parteien und Religionsgemeinschaften in und um Rottweil, blieb friedlich. Tatsächlich war die Halle schlicht und ergreifend überfüllt. Die 1.040 Sitzplätze reichten bei Weitem nicht für alle Anwesenden aus. Das 2022 gewählte Vorstandsmitglied und der Versammlungsleiter an jenem Tag, Reimond Hoffmann, brach den Parteitag ab, kurz nachdem er ihn eröffnet hatte, was zu Tumulten führte. Die Deutsche Presse-Agentur beschrieb die Chaos-Situation so:

Stundenlang liefern sich die verfeindeten Vorstandsmitglieder in Rottweil auf offener Bühne Wortgefechte, schalten sich teils gegenseitig das Mikrofon ab, noch bevor der Parteitag richtig losgeht. Die gegnerischen Lager im Publikum buhen sich aus. Anhänger von Spaniel zweifeln an der Rechtmäßigkeit des Parteitags, sie behaupten, dass Mitglieder an der Tür abgewiesen worden seien, weshalb die Wahl anfechtbar wäre. 56

Nach der Räumung der Stadthalle durften nur noch stimmberechtigte Mitglieder in die Halle zurück. Bloße Sympathisant*innen und Interessierte konnten nicht zurückkehren. Am Nachmittag kursierte das Gerücht, dass einzelne Mitglieder sich mehrere Stimmgeräte hätten geben lassen. Kontrollen durch den Sicherheitsdienst waren die Konsequenz. Von Vertrauen innerhalb der Partei war keine Spur. Nach viel Chaos auf dem Parteitag waren die beiden Landesvorsitzenden Markus Frohnmaier und Emil Sänze ohne Gegenkandidat*innen im Amt bestätigt worden. Für den Bundestagsabgeordneten Frohnmaier stimmten am Samstagabend 75,7 Prozent der Mitglieder. Sein Co-Sprecher, der Landtagsabgeordnete Emil Sänze, bekam 76,46 Prozent der Stimmen. Zwischen 800 und 900 Mitglieder beteiligten sich jeweils an den  Wahlen. 57Zu den vier statt bisher drei stellvertretenden Vorsitzenden wurden die Parlamentarier Martin Hess MdB, Ruben Rupp MdL, Marc Bernhard MdB und der Kommunalpolitiker Jürgen Kögel, Kreisrat in Heilbronn, gewählt.

Tabelle mit drei Spalten: Erste Spalte listet Funktionen im AfD-Landesvorstand auf, darunter Sprecher, Stellvertreter, Schatzmeister, Schriftführer und Beisitzer. Zweite Spalte nennt die zugehörigen Personen des Landesvorstands. Dritte Spalte gibt jeweils den Kreisverband (KV) der aufgeführten Person an.
Tabelle mit drei Spalten: Erste Spalte listet Funktionen im AfD-Landesvorstand auf, darunter Sprecher, Stellvertreter, Schatzmeister, Schriftführer und Beisitzer. Zweite Spalte nennt die zugehörigen Personen des Landesvorstands. Dritte Spalte gibt jeweils den Kreisverband (KV) der aufgeführten Person an.

Auf eben diesem Rottweiler Parteitag siegten Alice Weidel und ihre Vertrauten auf ganzer Linie. Die Anhänger*innen von Spaniel im Landesvorstand wurden vollständig abgewählt und sein Lager fand keinerlei Berücksichtigung im neuen Landesvorstand. Weidel und ihre Paladine um Sänze und Frohnmaier, den alten und neuen Landessprechern, hatten konsequent durchwählen lassen. Es war weniger der Kampf zweier inhaltlich deutlich unterscheidbarer Flügel, sondern eine Machtfrage zwischen den beiden Bundestagsabgeordneten Alice Weidel und Dirk Spaniel, ein unterschiedliches strategisches Verständnis, auch in Bezug auf das Auftreten. Auch wenn Spaniel selbst eher rechts von Weidel steht. Spaniel unterstützt beispielsweise das von ehemaligen Neonazis gegründete Zentrum Automobil e.V. bzw. Zentrum, dem auch seine Ehefrau Sabine Perlitius zuzurechnen ist. Sie gewann 2022 ein Betriebsratsmandat für das Zentrum58

Weidel hatte deren Mitglieder 2022 noch aus dem AfD-Landesverband ausschließen lassen, was aber später wieder zurückgenommen wurde. 

Bereits auf dem laufenden Parteitag gab es Ankündigungen, rechtlich gegen den Parteitag vorgehen zu wollen. Im März 2024 berichtete der SWR, „ein Mitglied des Kreisvorstands der AfD Stuttgart, dessen Vorsitzender wiederum der AfD-Bundestagsabgeordnete Dirk Spaniel ist, (habe) das Schiedsgerichtangerufen.“ 59

In der Folge verließ der Spaniel-Parteigänger und AfD-Bundestagsabgeordnete Thomas Seitz mit Wirkung vom 31. März 2024 die AfD und die Bundestagsfraktion. Diesen Schritt begründet er mit einem „System der Günstlingswirtschaft“, welches laut ihm auf dem AfD-Landesparteitag in Baden-Württemberg im Februar 2024 offenbar geworden sei. 60

3.3.2. Nominierungsparteitag in Ulm

Im Herbst 2024 reservierte die AfD gleich drei Termine für Parteitage, zwei davon in Ulm, einen dritten in Ketsch (Rhein-Neckar-Kreis). So sollte gewährleistet werden, dass die Wahlliste zur vorgezogenen Bundestagswahl vom 23. Februar 2025 unter allen Umständen rechtzeitig aufgestellt werden kann. Doch bereits am ersten Termin erfolgte die vollständige Nominierung einer Liste mit den angestrebten 25 Kandidat*innen. Dabei waren zu diesem Zeitpunkt nur in einem Teil der 38 Bundestagswahlkreise die Direktkandidat*innen bereits nominiert, in dem anderen Teil erfolgte die Nominierung erst nach dem Parteitag.

Im Wahlkreis Calw-Freudenstadt wurde die Nominierung gar wiederholt. Der AfD-Stadtrat Mathias Fey aus Bad Wildbad, Kreis Calw, hatte im Februar 2024 bei einem Unfall eine Fußgängerin angefahren, die sich dabei einen Arm brach. Doch nicht genug damit. Fey war zudem ohne Führerschein unterwegs und beging obendrein Fahrerflucht, „unerlaubtes Entfernen vom Unfallort“, wie der Erste Staatsanwalt und Pressesprecher der Staatsanwaltschaft Tübingen Nicolas Wegele gegenüber der Lokalzeitung Schwarzwälder Bote bestätigte. „Im Strafbefehl wurde gegen Herrn Fey eine Gesamtgeldstrafe von 60 Tagessätzen verhängt. Zudem wurde die Verwaltungsbehörde angewiesen, für die Dauer von neun Monaten keine Fahrerlaubnis zu erteilen“, zitierte der Schwarzwälder Bote weiter Staatsanwalt Wegele. Der Strafbefehl erlangte am 18. November Rechtskraft, da ein Einspruch zurückgezogen wurde.61

Der Fall hätte drei Tage später vor dem Amtsgericht Calw verhandelt werden sollen.

Günther Schöttle solle, so die Pforzheimer Zeitung, zwei Personen zur Beobachtung des Gerichtsverfahrens gebeten haben.62

Fey gilt mit 60 Tagessätzen als nicht vorbestraft. Der AfD-Kreisverband nominierte mit dem Hinweis auf einen Verfahrensfehler und nicht auf die Verfehlungen des Kandidaten Fey in einer weiteren Nominierungsveranstaltung einen neuen Kandidaten für die Bundestagswahl. So berichtete die Pforzheimer Zeitung, der Bad Herrenalber AfD-Stadtrat Fryderyk Zaborski habe auf der Nominierungsliste der ersten Veranstaltung gestanden.

Dabei hätte er als polnischer Staatsbürger kein Wahlrecht gehabt, so der AfD-Kreissprecher Schöttle gegenüber der Zeitung.63 Nach einem weiteren Bericht versuchte Schöttle erfolgreich die erneute Kandidatur von Fey zu verhindern. Fey erschien auch nicht zur Wiederholungswahl.64 Bei den jeweiligen Nominierungsveranstaltungen selbst war keine Presse vor Ort. Auf der Website des Kreisverbandes findet sich weder zu der Nominierung noch zu dem Fahrerflucht-Skandal eine Zeile.65 Die Frage nach einem Parteiausschlussverfahren gegen Fey steht im Raum. Schöttle, so der stellvertretende Kreisvorsitzende Marcus Lotzin gegenüber der Pforzheimer Zeitung, habe „das Parteiausschlussverfahren in einer der letzten Vorstandssitzungen diskutiert beziehungsweise angestoßen“.66 Fey selber geht davon aus, dass Unfall, Fahren ohne Fahrerlaubnis, fahrlässige Körperverletzung und unerlaubtes Entfernen vom Unfallort zwischen den beiden Nominierungsterminen durchgestochen worden seien. Seine Kandidatur habe „irgendjemand[sic!] in der Partei nicht gepasst“.67 Von Selbstkritik keine Spur.

Neuer Kandidat wurde der gelernte technische Zeichner Raimond Lamparter, AfD-Gemeinderat aus Freudenstadt. Er setzte sich im Dezember in einer Kampfabstimmung gegen Martina Böswald aus dem Kreisverband Hochschwarzwald mit 29 zu 21 Stimmen durch.68 Die Rechtsanwältin Böswald kandidierte u. a. 2021 im Wahlkreis Breisgau zur Landtagswahl und gehörte bis Februar 2024 im Landesvorstand zu den Gegner*innen von Frohnmaier und Sänze.69 Böswald unterhielt schon vor ihrer Kandidatur Kontakte zum Kreisverband Calw-Freudenstadt. So leitete sie im Mai 2023 die Vorstandswahlen des Kreisverbandes, die Schöttle in seinem Amt bestätigten.70

Im Gefolge dieser Affäre legten neben dem langjährigen Kreisvorsitzenden Günter Schöttle, er gehörte von 2022 bis 2024 auch dem Landesvorstand an, drei weitere Vorstandsmitglieder des Doppel-Kreisverbandes im Nordschwarzwald ihre Ämter nieder. Die Schöttle-Stellvertreterin Angelika Reuter und die beiden Beisitzer Reinhard Cordshagen und Dylan Dörr quittierten ohne Angabe von Gründen den Dienst im Kreisvorstand.71

Nach der Niederlage beim Rottweiler Parteitag vom Februar besaßen die Truppen von Dirk Spaniel keine wirkliche Relevanz mehr im Landesverband, sie waren marginalisiert und resignierten. Somit entfielen in Ulm beim Nominierungsparteitag zur Bundestagswahl langatmige Grundsatzdebatten, taktische Winkelzüge, zeitraubende Streitereien auf offener Bühne und viele zusätzliche Wahlgänge, da die Kandidierenden dieses Mal schon im ersten oder zweiten Wahlgang die erforderliche Mehrheit fanden. Die Regie im Vorfeld und auf dem Parteitag hatte für einen komplett reibungslosen Ablauf gesorgt.

3.4. Zwischenfazit: Ende des innerparteilichen Chaos

In den vergangenen Jahren erstarkte und konsolidierte sich der Landesverband. Bei Parteitagen gilt jetzt regelmäßig das Delegiertenprinzip, um chaotische Situationen wie in der Vergangenheit ausschließen zu können. Beim Parteitag in Ketsch (Rhein-Neckar-Kreis) wurde am 16. November 2024 eine entsprechende Satzungsänderung mit 78,57 Prozent angenommen. Lediglich 21,43 Prozent stimmten dagegen. Auch stimmten die Mitglieder mit großer Mehrheit dafür, sich auf dem Parteitag nicht mit Anträgen auf Abwahl des erst vor einem dreiviertel Jahr gewählten Landesvorstands zu befassen.72 All dies soll der Professionalisierung der Rechtsaußen-Partei dienen, sowohl nach innen wie nach außen.

Wenige Tage zuvor, am 6. November 2024, hatte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg (VGH) entschieden, dass das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) den AfD-Landesverband als rechtsextremistischen Verdachtsfall einstufen und beobachten darf.

Der VGH hatte eine Beschwerde der AfD gegen eine Entscheidung des Verwaltungsgerichts Stuttgart im Eilverfahren zurückgewiesen.73 Der Inlandsgeheimdienst Baden-Württemberg erhob den AfD-Landesverband Baden-Württemberg am 13. Juli 2022 als Verdachtsfall zum Beobachtungsobjekt. Das Verwaltungsgericht der Landeshauptstadt lehnte einen Eilantrag der AfD hiergegen am 6. November 2023 ab.74 Die Nachwuchsorganisation Junge Alternative Baden-Württemberg gilt seit 2023 dem LfV sogar als gesichert rechtsextremistisch. 2018 wurde die JA zum Verdachtsfall erklärt, was zu zahlreichen Austritten und Rücktritten im Landesvorstand, darunter der heutige MdL Daniel Lindenschmid, führte.75 Grund hierfür waren Personen der Identitären Bewegung in der Mitgliedschaft und im Landesvorstand der JA.

4. Wahlen

4.1. Kommunalwahlen 2024 in Baden-Württemberg

Für die Kommunalwahlen in 1.101 Städten und Gemeinden am 9. Juni 2024 – die mit der Wahl zum Europaparlament zusammenfiel – begann die AfD in Baden-Württemberg bereits Mitte 2023 intern mit den Vorbereitungen in Form von Schulungen. Der offizielle Wahlkampfauftakt fand am 27. April 2024 mit einer Saal-Veranstaltung in Donaueschingen im südbadischen Schwarzwald-Baar-Kreis statt. Trotz der öffentlichen Verkündigung im Mai 2024, nunmehr 6.000 Mitglieder im Landesverband zu haben, reichte diese Zahl nicht aus, um im Wahlkampf in einem Flächenbundesland wie Baden-Württemberg überall sichtbar vertreten zu sein. Sie kandidierte in den 1.101 Gemeinden mit 137 eigenen Listen, also in lediglich 12,4 Prozent der Gemeinden.

Für die AfD kandidierten in Baden-Württemberg zu den Kommunalwahlen für 2.799 Mandate 2.054 Personen. Dabei war das Personal-Reservoir der AfD sehr unterschiedlich verteilt. Im kleinen Ebersbach (Kreis Göppingen) trat die AfD mit 22 Kandidat*innen an, andernorts gar nicht. Im Kreis Sigmaringen verzichtete die AfD – vermutlich im Zusammenhang mit dem Rücktritt des Kreisvorsitzenden – gleich ganz auf eine Kandidatur.

„Kommunalwahlen 2024 Baden-Württemberg“ in schwarzer, schattenhafter Schrift auf knallgelbem Hintergrund

Auffällig: Überproportional viele Männer und Rentner*innen kandidierten für die AfD. Bei den Berufen waren auffallend viele Handwerker und Selbstständige vertreten. Im Vergleich zu 2019 trat die AfD 2024 zu mehreren Gemeinderatswahlen in wichtigen Städten nicht mehr an, etwa in Konstanz, Nürtingen, Ravensburg, Tübingen oder Waiblingen.

In den Kreisen Esslingen und Freudenstadt fanden sich mehrere Personen, die früher für Die Republikaner (REP) aktiv waren. Für den Kreistag Esslingen trat mit Ulrich Deuschle aus Notzingen ein ehemaliger Republikaner-Landtagsabgeordneter (1992–2001) und REP-Landesvorsitzender für die AfD an, was fünf Jahre zuvor noch unerwünscht war. In den Universitätsstädten fanden sich auch Korporierte auf den AfD-Listen. Solche Beispiele zeigen noch einmal den Staubsauger-Effekt, den die AfD auf alle Strömungen der extremen, konservativen und christlichen Rechten hat.

Andernorts tauchten alte Bekannte auf den Listen wieder auf. Im Kreis Rastatt kandidierte für die AfD Bernd Kölmel, der 2015 als Europaabgeordneter mit Bernd Lucke die Partei verlassen hatte.

Die AfD errang in Baden-Württemberg bei den Kommunalwahlen insgesamt 869 Mandate, die auf 665 unterschiedliche Personen entfielen.Ein Teil der Kandidierenden wie beispielsweise Lars Haise aus Schorndorf, Stadt- und Kreisrat und inzwischen auch Bundestagsabgeordneter, erlangte mehrere Kommunalparlamentsmandate.76 Von den Gewählten waren lediglich 90 beziehungsweise 13,5 Prozent Frauen, das durchschnittliche Alter lag bei knapp 55 Jahren. Generell legte die AfD in Baden-Württemberg bei der Kommunalwahl an Mandaten zu. Auch Personen aus der Phase der Corona-Proteste fanden sich vereinzelt auf den AfD-Wahllisten wieder. Doch in einigen Orten und Kreisen traten Pandemie-Leugner*innen mit mindestens zehn eigenen Listen an. Insgesamt wurden dabei lediglich acht Mandate errungen, mehrere Listen blieben gänzlich erfolglos.

Grundsätzlich war die AfD in ländlichen Regionen bei den Kommunalwahlen besonders stark, doch auch in Städten wie Rastatt (20,6 Prozent) oder Heilbronn (15,9 Prozent) erzielte die AfD gute Ergebnisse. In Pforzheim wurde die AfD mit 22 Prozent sogar stärkste Kraft. Hier verfügt die AfD seit Jahren über eine stabile Stammwähler*innenschaft. Bei der Bundestagswahl im Februar verfehlte Diana Zimmer das Direktmandat in Pforzheim nur knapp. Ähnlich war es mit den Ergebnissen zur gleichzeitig ablaufenden Europawahl, bei der die AfD bundeslandweit 14,7 Prozent der Stimmen erhielt. Generell schnitt die AfD bei der Europawahl in den Universitätsstädten Freiburg (5,9 Prozent), Heidelberg (6,9 Prozent) und Tübingen (4,6 Prozent) vergleichsweise schlecht ab. In kleineren Orten und Gemeinden wie Spiegelberg im Rems-Murr-Kreis (29,7 Prozent) oder in Burladingen im Zollernalbkreis (27,1 Prozent) schnitt sie dagegen weitaus besser ab.

4.2. Bundestagswahl

Zur Bundestagswahl am 23. Februar 2025 erhielt die AfD in Baden-Württemberg insgesamt 1.256.430 Zweitstimmen, was 19,8 Prozent der abgegebenen Stimmen entsprach. Damit errang die AfD 10,2 Prozent mehr Stimmen als bei der letzten Bundestagswahl.

Balkendiagramm mit Zweitstimmenanteilen der Bundestagswahl 2025 in Baden-Württemberg, aufgeschlüsselt nach Altersgruppen. Die CDU erzielt in allen Altersgruppen die höchsten Anteile, besonders stark bei Wähler:innen ab 60 Jahren. Die AfD erreicht den höchsten Anteil bei 18–24-Jährigen. Die Grünen schneiden bei jüngeren Wähler:innen (18–34 Jahre) am besten ab, während SPD und FDP über alle Altersgruppen verteilt ähnliche Werte zeigen. Die Linke bleibt in allen Gruppen unter 10 %. Die Kategorie „Sonstige“ ist

In einer kurzen Auswertung des Institut für Rechtsextremismusforschung (IRex) mit Sitz in Tübingen heißt es: Die Wahlergebnisse sind allerdings ungleichmäßig über das Ländle verteilt. Es zeigen sich wie schon bei den Wahlen zum Europäischen Parlament 2024 [...], den Bundestagswahlen 202 [...] und den Landtagswahlen 2021 deutliche räumliche Muster, die sich jedoch gravierend verschärft haben: Die eher ruralen Gebiete rücken nach rechts, die urbanen Zentren bleiben weitgehend resilient.77

In den Bundestag gewählt wurden folgende 18 AfD-Abgeordnete aus Baden-Württemberg: Alexander Arpaschi, Marc Bernhard, Joachim Bloch, Dr. Michael Blos, Markus Frohnmaier, Hans-Jürgen Goßner, Lars Haise, Martin Hess, Dr. Malte Kaufmann, Martina Kempf, Heinrich Koch, Jürgen Koegel, Achim Köhler, Johann Martel, Ruben Rupp, Dr. Paul Schmidt, Dr. Alice Weidel und Diana Zimmer.

Das bedeutet auch eine deutliche Ressourcen-Verstärkung für die Ländle-AfD, die entsprechend viele Büros eröffnen und Mitarbeiter*innen beschäftigen kann.

5. Partei in Bewegung: die AfD und Straßenproteste

Innerhalb der AfD existierten unterschiedliche Positionen zu außerparlamentarischen Protest-Bewegungen. Viele sahen in nicht-linken außerparlamentarischen Protest-Bewegungen mögliche Verbündete. Ein Teil der AfD sah darüber hinaus die eigene Partei weniger als Parlaments-Partei, sondern eher als Bewegungs-Partei. War dieser Kurs bis zum Ende der Lucke-Ära Mitte 2015 noch umstritten, so gilt er seitdem als legitim, auch wenn er nicht von allen vertreten wird. Besonders der offen faschistische Flügel um die parteiinterne Identifikationsfigur Björn Höcke sieht die AfD als Bewegungs-Partei. Diese Sicht ist auch gut kompatibel mit dem historischen Faschismus.

Wenn Bewegungen sich nicht nach rechts abgrenzten, versuchte man sie zu vereinnahmen bzw. ihre Themen zu besetzen. Nicht bei allen ergab sich daraus zwangsläufig eine Kooperation oder Nähe zur AfD.

Themen, bei denen sich die AfD Straßenprotesten anschloss, waren:

* lokale Bewegungen gegen Flüchtlingsunterkünfte (diverse „Nein zum Heim“-Initiativen), Moscheen etc.

* überregionale Straßenbewegungen gegen Geflüchtete und Muslime, seit Ende 2014 besonders PEGIDA und diverse Ableger

* lokale Anti-Windkraft-Initiativen

* seit April 2020 Corona-Proteste der Pandemie-Leugner*innen bzw. Post-Corona-Proteste

* seit Februar 2022 die Friedensbewegung, hier besonders die seit 2014 rechts-offenen Teile, die zum Teil mit den Resten der Post-Corona-Proteste verschmolzen sind

Interessanterweise hielt sich die AfD von den 2024 in Erscheinung getretenen extrem rechten Protesten gegen CSD-Paraden eher fern. Offenkundig waren diese rechten Proteste zu stark und sichtbar von Neonazis besetzt.

5.1. Verhältnis zu den Pandemie-Leugner*innen 

Im April 2020 begannen in Stuttgart, kurz nach Berlin, die ersten Proteste der Pandemie-Leugner*innen. -Kritiker*innen wurden schnell Pandemie-Leugner*innen und aus diesen Verschwörungsideolog*innen.78 

Spätestens ab Mai 2020 ging es nicht nur einfach um die Corona-Schutzmaßnahmen, sondern es wurden auch der Charakter und die Gefahr der Pandemie geleugnet und ein Hintergrund-Plan insinuiert. Wer da im Hintergrund die Fäden ziehen soll, darüber gab es unterschiedliche Mutmaßungen: China, Bill Gates, die Illuminaten, satanische Eliten, George Soros, die Rothschilds oder auch mal alle zusammen.

Mann mit medizinischer Gesichtsmaske, die ihm nicht über Mund und Nase, sondern über die Augen gezogen ist

Fast von Anfang an bemühte sich die AfD auch in Baden-Württemberg um die Stimmen derjenigen, die den gefährlichen Pandemie-Charakter von Corona leugneten. Eine Bewegung, die schnell auch verschwörungsideologische Züge annahm.

Neben dem grundsätzlichen Werben um diese Bewegung, beispielsweise durch das Ausrichten eigener Kongresse mit der Corona-Protest-Prominenz im Bundestag in Berlin, gab es einzelne AfD-Abgeordnete, die sich offenbar als Teil dieser Bewegung sahen. Hier ist für Baden-Württemberg neben dem ehemaligen Landtagsabgeordneten Dr. Heinrich Fiechtner die AfD-Bundestagsabgeordnete Christina Baum zu nennen, die immer wieder als Rednerin bei Corona-Protesten auftrat. So besuchte Baum am 9. Januar 2025 sogar Reiner Füllmich, einen prominenten Anwalt der Pandemie-Leugner*innen, im Gefängnis.79

5.2. Kampf gegen die Windmühlen – die AfD und Anti-Windkraft-Initiativen

Die Aufstellung von Windkraftanlagen trifft lokal oft auf Gegenwind. Dieser kommt nicht nur, aber auch von rechts. Dabei ist um das Thema Windkraft ein regelrechter Kulturkampf entbrannt.

Die Windkraftgegner*innen lassen sich von ihrer Motivation her in drei Gruppen unterteilen:

  1. eher sachorientierte Windkraftgegner*innen wie Umwelt- bzw. Landschaftschützer*innen und Artenschützer*innen
  2. dazu die Not-in-my-backyard-Fraktion sowie
  3. ideologisch motivierte Windkraftgegner*innen (Verschwörungs-Gläubige, Anti-Grünen-Kulturkämpfer*innen etc.)

Auch in Baden-Württemberg versucht die AfD Windkraftgegner*innen als Wähler*innen anzusprechen.

So greift die AfD Baden-Württemberg an drei Stellen in ihrem Wahlprogramm zur Landtagswahl 2021 das Thema auf:

  1. „Die dauerhafte Zerstörung unserer Kulturlandschaften durch ineffiziente Windkraftanlagen ist mit der AfD nicht zu machen.“80
  2. „Den Ausbau der Windenergie in Baden-Württemberg umgehend beenden. Windenergie ist teuer und ineffizient. Stromerzeugung aus Wind weist wie auch Photovoltaik die kleinsten Erntefaktoren (ERoEI) aller Energiewandlungsverfahren auf. Windstromerzeugung ist daher für ein dichtbesiedeltes und windschwaches Industrieland eine grundsätzlich ungeeignete Methode. Wir fordern daher die sofortige Beendigung dieser unsinnigen Windenergienutzung in Süddeutschland. Erholungsräume und Rückzugsgebiete für Mensch und Tier dürfen nicht weiter für eine Industrialisierung freigegeben werden.“81
  3. „Jagd, Forst- und Fischwirtschaft fördern – Umweltschutz nicht der Windenergie opfern. Die AfD verurteilt aufs Schärfste die Abholzung von Wald zur Errichtung von Windkraftanlagen. Der Erhalt unserer Wälder als Kulturgut ist es wert, gefördert zu werden.“82

Es lassen sich vereinzelt auch personelle Überschneidungen zwischen AfD und Windkraftgegner*innen feststellen.

So fand am 20. und 21. Januar 2024 laut Ankündigung in Heiligenberg und in Markdorf je eine Infoveranstaltung über die geplanten Windräder im Bodenseekreis statt. Veranstalter war die AfD Bodenseekreis in Kooperation mit der Bürgerinitiative Wende-Ende.83

Für die Wahlliste Initiative Gegenwind (IGW) für den Gemeinderat in Öhningen zur Kommunalwahl 2024 kandidierte mit Thorsten Otterbach auch ein damaliges AfD-Mitglied.84

Ein weiteres Beispiel ist Walter Müller aus Vaihingen, Sprecher der AfD-Kreistagsgruppe Ludwigsburg. Er war der Vorsitzende des Landesverbandes der Bürgerinitiativen gegen Windkraftanlagen.85

Diese Nähe mancher Anti-Windkraft-Initiativen schlägt sich auch in Veranstaltungen nieder. So veranstaltete am 4. Juni 2024 der AfD-Kreisverband Heilbronn in Eppingen einen Vortrag zum Thema „Energie ohne Ideologie“ mit Jürgen Falkenberg von der Bürgerinitiative Gegenwind Straubenhardt e.V. und Andreas Bleck (AfD-MdB).86

5.3. Eigene Demonstrations-Aktivitäten

Immer wieder versuchten sich die AfD und die Junge Alternative als außerparlamentarische Opposition von rechts zu inszenieren und veranstalteten eigene Demonstrationen.

Doch wie in den Jahren zuvor lässt sich auch für den Zeitraum 2020 bis 2024 konstatieren, dass die AfD/JA in Baden-Württemberg relativ demonstrationsfaul waren.

Sowohl die AfD als auch die JA in Baden-Württemberg entfalteten zwar auch Demonstrations-Aktivitäten, aber diese blieben immer überschaubar. Eher selten überschritt die Anzahl der Demonstrierenden die 100er-Marke. Typisch war eher eine Zahl zwischen 20 und 50 Personen, die oft von einem vielfachen Gegenprotest eingerahmt wurde.

Mehrere Personen stehen vor einem mit Graffiti bemalten Haus mit der Aufschrift „ALL COLORS ARE BEAUTIFUL“, „GEFLÜCHTETE BLEIBEN“ und „KEIN MENSCH IST ILLEGAL“. Im Vordergrund ist ein Banner mit dem Slogan „Rechtsextremismus stoppen“ in schwarzer Schrift auf weißem Grund mit Regenbogenfarben zu sehen.

6. „Außenpolitik“ des Landesverbandes seit August 2020

Wie bereits vor 2020 pflegten der AfD- und der JA-Landesverband Kontakte zu Gleichgesinnten im Ausland. Diese scheinen eher punktuell und abhängig von der Initiative von Einzelpersonen.

Bei der JA stach hier der ehemalige JA-Landesvorsitzende Severin Köhler hervor. Köhler war für Deutschland der Koordinator des Patriots Network, welches ein 2021, von einem französischen Politiker gegründetes globales Netzwerk extrem rechter und rechtskonservativer Jung-Politiker*innen ist.87

Insbesondere durch Köhler war die JA Baden-Württemberg vernetzt mit ähnlichen Jugendorganisationen vor allem in Europa. Kontakte bestanden zu Vlaams Belang Jongeren (VBJ) in Belgien, der Jugendorganisation des im Parlament vertretenen extrem rechten Vlaams Belang (VB), zur Génération nation (GN) in Frankreich, der Jugendorganisation des ultrarechten Rassemblement National (RN), zur Freiheitliche Jugend (FJ) in Österreich, zur Lega Giovani (LG) in Italien, der Jugendorganisation der extrem rechten Partei Lega, der Jugendorganisation der extrem rechten Partei FPÖ und zum New York Young Republican Club in den USA.

Diese Kontakte äußerten sich in Besuchen oder gemeinsamen Veranstaltungen:

* 18./19. Juli 2020 | Straßburg: „[g]emeinsames Treffen“ der JA mit Génération Nation Grand Est: Referentin: Virginie Joron, MdEP Rassemblement National.88

* 3. Oktober 2020 | Catania: Besuch Delegationen der Jungen Alternative Baden-Württemberg und der @vbjongeren und der @legagiovanisicilia beim Prozess von Matteo Salvini.89

* Am 12. März 2022 besuchten Mitglieder der Jungen Alternative Baden-Württemberg in Antwerpen (Belgien) die Vlaams Belang Jongeren.90

* Am 23. September 2022 besuchte in Stuttgart ein Vertreter der New York Young Republicans Mitglieder der Jungen Alternative Baden-Württemberg.91

* Am 21. und 22. Oktober 2023 besuchten Mitglieder der Junge Alternative (JA) ein Treffen extrem rechter Jugendorganisationen in Frankreich nahe Marseille. Vertreten waren Mitglieder des Rassemblement National Jeune, der Lega Giovani aus Italien, des Jungen Forum für Demokratie aus den Niederlanden sowie aus Tschechien und Finnland.92

* Am 14. Juli 2024 fand in Schwäbisch Hall der Vortrag „Vision Remigration“ mit Tobias Lingg von den Schweizer Identitären statt. Veranstalter war die Junge Alternative Hohenlohe Schwäbisch-Hall.93

Die AfD führte mehrere Veranstaltungen mit Politikern der extrem rechten österreichischen Partei FPÖ durch:

* Am 2. Mai 2023 trat bei der AfD-Fraktion in Baden-Württemberg ein FPÖ-Rhetoriktrainer auf.94

* Am 26. Januar 2024 fand in Ettlingen eine AfD-Veranstaltung statt, bei der auch Fabian Walch von der FPÖ auftrat.95

Bekannt wurde auch der Besuch von AfD-Mitgliedern aus dem Kreisverband Göppingen bei der kleinen deutschnationalen Partei Südtiroler Freiheit in Norditalien. Am 9. Mai 2023 waren Sven Knoll und Myriam Atz Tammerle bei der Partei im Landtag Südtirol-Bozen zu Gast.96

 

7. Pleiten, Pech und Pannen

ein großes rotes X

Neben einer inhaltlichen Kritik sollte der AfD-Landesverband auch im Bereich „Pleiten, Pech und Pannen“ kritisiert werden. Gemeint sind zum Beispiel Straftaten oder Betrugsfälle ohne politischen Hintergrund. Solche Vorfälle sind zwar auch in demokratischen Parteien anzutreffen. Sie zeigen aber, dass die AfD auch bei ihrem Personal keine ‚Alternative‘ zu den etablierten Parteien darstellt.

Es besteht sogar Grund zu der Annahme, dass sich solche Fälle in der AfD häufen. Denn die relative Personalnot führt bei der AfD dazu, dass Polit-Neulinge bzw. -Einsteiger*innen recht schnell Kandidat*innen werden oder ein Mandat erringen. Zur Zeit der Parteigründung bestimmten teilweise Versammlungen mit weniger als 20 Mitgliedern Kandidat*innen für den Landtag und die hohen Wahlergebnisse sorgten dafür, dass diese weitgehend unbekannte Person in den Landtag einzog.

So spülte es eine ganze Reihe von Glücks- und Spesenritter in die Reihen der AfD, was innerparteilich auch immer wieder thematisiert wurde. Manche davon mit weitgehend unbekannter Biografie. Ein eigenes finanzielles Interesse muss dabei aber keinesfalls im Widerspruch zu den politischen Positionen dieser Personen stehen.

Zu diesen Fällen gehört etwa die Verurteilung von Bernd Gögel wegen Steuerhinterziehung.

Der AfD-Landtagsabgeordnete Bernd Gögel stand 2022 wegen Schwarzarbeit vor Gericht. Deswegen beschloss der Ständige Ausschuss des Landtags im September 2022, die Immunität Gögels aufzuheben; er trat infolge dieser Affäre zum 31. Dezember 2022 von seinem Amt als Fraktionschef zurück.

Gögel soll zwischen 2014 und 2017 als Geschäftsführer einer Speditionsfirma in Kauf genommen haben, dass Bekannte von regulär Beschäftigten im Betrieb ausgeholfen haben. Konkret ging es um den Vorwurf der Schwarzarbeit. Das Amtsgericht Pforzheim hatte im Dezember 2023 eine Geldstrafe von 50 Tagessätzen zu je 160 Euro festgesetzt. Das Amtsgericht sah es als erwiesen an, dass Gögel in den Jahren 2016 und 2017 in der von ihm geleiteten Spedition Sozialabgaben für Aushilfen nicht ordnungsgemäß abgeführt hatte.Gögel akzeptierte das Urteil.97

8. Konkurrenz ohne Chance

Eine blaue Spielfigur steht aufrecht inmitten zahlreicher umgestürzter, weißer Spielfiguren auf einer glänzenden Oberfläche. Die zentrale Figur hebt sich deutlich durch Farbe und Position ab.

Der Erfolg der AfD hat immer wieder Nachahmer inspiriert. Zum Teil gehen diese davon aus, dass zwischen der nach rechts radikalisierten AfD und der – ihrer Meinung nach – sozialdemokratisierten Union eine Repräsentationslücke für einen größeren Teil der Bevölkerung bestände. Oft sind die Nachahmer als Bewahrer des Geistes einer ursprünglichen AfD oder auch der alten CDU, wie sie von Kohl und mehr noch von Adenauer verkörpert wird, angetreten. Die Annahme geht weiter davon aus, dass diese Wähler*innen entweder in Ermangelung von Alternativen die AfD wählen würden oder zu Nichtwähler*innen geworden seien.

Zwei Parteineugründungen versuchen diese vermeintliche Lücke zu besetzen: Das Bündnis Deutschland und die WerteUnion.

Beide Parteien ähneln sich in ihrem Profil, was auch zeitweise zu der Überlegung einer Fusion führte.

Das Bündnis Deutschland (BD) wurde am 20. November 2022 gegründet, wobei ehemalige AfD-Mitglieder beteiligt waren.98

Durch den Übertritt des ehemaligen AfD-Bundestagsabgeordneten Uwe Witt war es bis Februar auch kurzzeitig im Bundestag vertreten. In Sachsen und Niedersachsen traten ihr überdies weitere ehemalige AfD-Landtagsabgeordnete bei.

Ein früher Wechselgänger ist der ehemalige AfD-Landtags- und Europaabgeordnete (2019–2024) Lars Patrick Berg. Der bisherige Landtagsabgeordnete Berg wurde 2019 für die AfD ins EU-Parlament gewählt und trat im Mai 2021 aus der AfD aus. DText: Diesen Schritt begründete er damit, dass er die AfD zur „Protestbewegung abdriften“ sehe und keine Basis mehr, „weiter für eine konservative, bürgerliche AfD“ zu kämpfen.99 Anschließend schloss er sich von Juli 2021 bis Januar 2023 der Partei Liberal-Konservative Reformer an. Im Januar 2023 trat er dem BD bei und bei der Europawahl am 9. Juni 2024 kandidierte er erfolglos als Spitzenkandidat für das BD.

Die Partei war 2023 mit 1.000 Mitgliedern relativ klein.100

Im September 2023 fusionierte das BD mit Bürger in Wut (BiW) in Bremen, die im Mai 2023 mit knapp 9,4 Prozent der Stimmen in die Bremische Bürgerschaft einzogen, auch weil die AfD aufgrund eigener Fehler von einem Antritt ausgeschlossen wurde.

Anfang September 2024 trat der Krisen-Prophet und Antidemokrat Markus Krall dem BD bei. Krall forderte in seinem Buch „Die bürgerliche Revolution“ und in Interviews, Transfer-Leistungs-Empfänger*innen das Wahlrecht zu entziehen.101

Krall war nach einem kurzen Intermezzo am 20. Februar 2024 aus der WerteUnion (WU) ausgetreten. Nach seinem Eintritt in das Bündnis trat am 4. September 2024 der zehnköpfige Vorstand des BD-Landesverbands Hamburg zurück, nachdem der Bundesvorstand den Marktradikalen Markus Krall in die Partei aufgenommen hatte.102

Am 7. Mai 2023 gründete sich der Landesverband Baden-Württemberg des Bündnis Deutschland. Er ist untergliedert in die Bezirksverbände Südwürttemberg, Nordwürttemberg, Südbaden und Nordbaden.

Der Landesverband Baden-Württemberg richtete einzelne Vortragsveranstaltungen aus.

Die WerteUnion entstand ursprünglich 2016 als Sammlung des rechtskonservativen Rands der Unions-Parteien. Nachdem sie innerhalb der CDU/CSU unter Angela Merkel relativ wirkungslos blieb, radikalisierte sie sich nach rechts. Von Januar 2023 bis zu seinem Austritt im Oktober 2025 war Hans-Georg Maaßen ihr Vorsitzender, der von August 2012 bis September 2018 Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz war. Bereits seit mehreren Jahren vertritt Maaßen in den sozialen Medien verschwörungsideologische Positionen. So twitterte er beispielsweise am 13. Januar 2023 in Reaktion auf einen Kommentar von Axel Steier, Mitbegründer, Vorsitzender und Sprecher von Mission Lifeline: „Wir können dankbar für Herrn Steier sein. Er fühlt sich so sicher, dass er ausspricht, was die treibenden Kräfte im politischmedialen Raum als Stossrichtung[sic!] haben. Eliminatorischer Rassismus gegen Weiße und der brennende Wunsch das Deutschland verrecken möge.“103

Am 20. Januar 2024 beschloss der Verein WerteUnion, zu einem Trägerverein für eine gleichnamige Partei zu werden, die dann am 17. Februar 2024 auf einem Schiff in Remagen am Rhein von Maaßen und zwanzig weiteren Personen gegründet wurde.

Laut Eigenangabe hatte die Partei im Oktober 2024 über 2.000 Mitglieder.

Auch in ihren Reihen finden sich neben ehemaligen Unions-Mitgliedern ehemalige AfD-Mitglieder, wie etwa der ehemalige AfD-Bundesvorsitzende Jörg Meuthen. Meuthen ist seit November 2024 stellvertretender Vorsitzender der WerteUnion.

Der baden-württembergische Landesverband des WerteUnion-Fördervereins wurde am 27. April 2024 gegründet und der Landesverband Baden-Württemberg der Partei WerteUnion am 6. Juli 2024. Im Juli 2024 hatte der Landesverband laut Eigenangabe 80 Mitglieder. Eines davon ist der Allgemeinarzt Dr. Gunter Frank aus Heidelberg, der seit den Kommunalwahlen im Juni 2024 für die Liste Initiative für Aufklärung und Demokratie im Gemeinderat Heidelberg sitzt. Frank ist ein sogenannter Corona-Kritiker und war am 27. April 2022 als Experte der AfD zum Thema einrichtungsbezogene Impfpflicht auf Vorschlag der AfD Gast im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages.104

Für den Verlag des rechten Blogs „Achse des Guten“ ist er Autor der Bücher „Der Staatsvirus – Ein Arzt erklärt, wie die Vernunft im Lockdown starb“ (2021) und „Das Staatsverbrechen – Warum die Corona-Krise erst dann endet, wenn die Verantwortlichen vor Gericht stehen“ (2023).

In Baden-Württemberg entfaltet die Partei bzw. ihr Förderverein Aktivitäten über lokale Stammtische.

Hinzu kommen weitere Konkurrenz-Parteien, die nicht explizit der extremen Rechten zuzurechnen sind, bei denen es aber Überschneidungen inhaltlicher Art gibt. Hier sind vor allem dieBasis und das Bündnis Sahra Wagenknecht zu nennen.

Als Querdenken-Partei wurde am 4. Juli 2020 die Basisdemokratische Partei Deutschlands, kurz dieBasis, gegründet. Im September 2020 folgte der Landesverband Baden-Württemberg.

Die Bundespartei hatte, zumindest wenn man den Eigenangaben glaubt, im Februar 2022 erstaunliche 33.000 Mitglieder bundesweit und in Baden-Württemberg im selben Zeitraum über 5.000 Mitglieder. Allerdings mit stark gegenläufiger Tendenz.

Aktuell entfalten eine Reihe von Kreisverbänden noch Tätigkeiten, zum Beispiel in Form kleiner Vortragsveranstaltungen oder Kundgebungen.

Unter der Mitgliedschaft finden sich auch Personen, die in den Rechtsterrorismus abglitten. Am 22. Mai 2023 wurden in Baden-Württemberg zwei mutmaßliche Reichsbürger*innen aus der rechtsterroristischen Gruppe um Prinz Heinrich von Reuß XIII. von der Polizei festgenommen.105

Eine der beiden Festgenommenen war Johanna Findeisen-Juskowiak aus Frickingen (Bodenseekreis). Sie fungierte von Anfang April 2022 bis zu ihrer Verhaftung als Säulenbeauftragte im Landesvorstand von dieBasis.106 Außerdem war sie 2021 Direktkandidatin für die Bundestagswahl im Wahlkreis 293 (Bodensee).107

Dies ist nicht der einzige Fall dieser Art in der Partei. So wurde im August 2024 am Oberlandesgericht Düsseldorf Marc Gutknecht, ein ehemaliger Bundestagskandidat von dieBasis aus Heiligenhaus (Kreis Mettmann)108, wegen Mitgliedschaft in der terroristischen Kaiserreich-Gruppe bzw. Vereinte Patrioten zu einer Haftstrafe von zwei Jahren und zehn Monaten verurteilt. Der 50-Jährige hatte gestanden, dass er sich an den geplanten Anschlägen auf Stromleitungen beteiligen wollte.109

Durch diverse Streitigkeiten und die Verdrängung des Gründungsthemas Corona scheint die Mitgliederzahl von dieBasis wieder stark gesunken zu sein. Auf jeden Fall haben die nachweisbaren Aktivitäten deutlich abgenommen. Möglicherweise führt dies zu Kooperationen von dieBasis sowohl mit dem Bündnis Deutschland als auch mit der WerteUnion. So fand beispielsweise am 21. Oktober 2023 in Erfurt eine „Zukunftskonferenz für Thüringen“ zum Thema „Brücken statt Brandmauern“ statt. Veranstalter waren Bürger für Thüringen, dieBasis, Freie Wähler Thüringen e.V. und die WerteUnion.

Sie vereinbarten, zur Landtagswahl 2024 mit der gemeinsamen Liste Bündnis für Thüringen anzutreten.110 Allerdings trat dann die WerteUnion separat an.

Ein weiterer Konkurrent um die Stimmen von rechten Protest-Wähler*innen ist das im Januar 2024 gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW), eine rechte Abspaltung von der Partei Die Linke um die Bundestagsabgeordnete und Namens-Patronin Sahra Wagenknecht.

Der Landtagswahlkampf in den drei ostdeutschen Bundesländern Brandenburg, Sachsen und Thüringen zeigte, dass das BSW mit Themen wie Anti-Gendern oder Migrations-Ablehnung durchaus auch gewillt war, auf Stimmenfang mit rechten Ressentiments zu gehen. So standen auf den BSW-Wahlplakaten bei den Landtagswahlen in drei ostdeutschen Bundesländern im August 2024 Parolen wie „Weil unkontrollierte Migration alle überfordert!“ oder „Weil Rechnen wichtiger ist als Gendern!“.

 

Kurz nach dem Messeranschlag von Solingen im September 2024 forderte das BSW eine „Zeitenwende in der Flüchtlingspolitik“ und legte einen „Sechs-Punkte-Plan für eine Migrationswende nach dänischem Vorbild“ vor.111 Dänemark ist für seine restriktive Migrations-Politik bekannt, u. a. genehmigte die dänische Regierung 2024 lediglich 860 Asylanträge.

Im Leipziger Stadtrat forderte das BSW im Dezember 2024, linken Kulturräumen und insbesondere dem linken Projekt Conne Island im nächsten Haushaltsjahr 330.000 Euro zu entziehen.112

Wahlanalysen zeigen jedoch, dass das BSW verhältnismäßig wenige Stimmen von der AfD abziehen konnte,113 aber potenzielle AfD-Neuwähler*innen von der Wahl der AfD abhielt.114

Kritiker*innen des BSW befürchten, dass es als Durchlauferhitzer für viele Wähler*innen eine Zwischenstation auf dem Weg zur Wahl der AfD sein könnte. Der Soziologe Oliver Nachtwey warnte beispielsweise 2023: „Wer sich von einer Liste Wagenknecht ein Bollwerk gegen die AfD erhofft, wird im schlechtesten Fall bei einem gestärkten rechten Block enden.“115

Am 20. Oktober 2024 wurde der Landesverband Baden-Württemberg des BSW gegründet. 60 Mitglieder gehörten dem BSW im Südwesten zu diesem Zeitpunkt an.116 Zur Bundestagswahl trat das BSW mit einer zwölfköpfigen Landesliste an. Danach will die Partei potenzielle Mitglieder schneller in die Partei aufnehmen als bisher. „Nach der Bundestagswahl werden wir den Aufnahmeprozess besprechen und beschleunigen“, sagte die baden-württembergische Landesvorsitzende Jessica Tatti gegenüber der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart.117

Personell stellen diese Parteien teilweise eine Art Resterampe dar. Erfolg wird ihnen aller Voraussicht nach nicht beschieden sein. Die AfD hat sich im Gegensatz zu ihrer Konkurrenz fest etabliert über ihre Mandate und zahlreiche Ressourcen und eine starke Präsenz in den Medien. 

9. Fazit und Ausblick

Zerrissenes Plakat der Partei AfD auf metallischem Untergrund, wobei große Teile der oberen Papierschicht entfernt wurden. Nur der blaue Hintergrund, Teile des Parteinamens und der rote Pfeil sind noch erkennbar.

Man hat den Eindruck, dass der Globus von einer nationalistisch-autoritären Welle überrollt wird. Doch dass sich z. B. bisher in Irland keine erfolgreiche extrem rechte Partei etabliert hat, zeigt, dass die Etablierung einer relevanten Kraft rechts vom Konservatismus keinesfalls ein Naturgesetz ist.

Die Mobilisierung des rechten Blocks muss aber auf vielen Ebenen betrachtet und analysiert werden: Lokal, regional, auf Ebene der Bundesländer, bundesweit, europaweit, weltweit.

Neben der Ebene der Parteien müssen auch einzelne gesellschaftliche Bereiche wie Betriebe, Vereine oder Sport, beispielsweise der Männer-Fußball, betrachtet werden. Denn die Analyse der extremen Rechten ist immer die Analyse eines Netzwerks mit verschiedenen Akteuren. Auf vielfältige Weise wirken diese zusammen miteinander, vereinzelt gegeneinander, aber vor allem vereint in ihren gemeinsamen Feindbildern.

Die AfD hat in Baden-Württemberg ihre westdeutsche Hochburg. Damit bewegt sich das Bundesland in einer gewissen Tradition. Nur hier schafften es Die Republikaner, zweimal nacheinander in den Landtag einzuziehen und von 1992 bis 2001 vertreten zu sein.

Nirgendwo sonst in Westdeutschland errang die AfD Direktmandate wie bereits bei der Landtagswahl 2016 in Mannheim-Nord und in Pforzheim. Im Gegensatz zu anders lautenden Berichten hatte sie hier mit Harry Ebert in Burladingen erstmals einen Bürgermeister mit AfD-Parteibuch, auch wenn dieser erst nach seiner Wiederwahl der AfD beitrat.

In Baden-Württemberg wird die AfD sich voraussichtlich auf hohem Niveau weiter verankern und professionalisieren. Die gegenwärtige Beendigung des lähmenden Lager-Streits durch den Sieg von Weidel und ihrer Vasallen bietet dem Landesverband die Möglichkeit, besser die eigenen Ressourcen und sein Potenzial zu entfalten. Auch wenn es in Zukunft weiter Streit in der AfD in Baden-Württemberg geben wird; sei es um Inhalte, Strategie oder schlicht um die Macht.

Mit ihrem Sieg verfügt Alice Weidel nun auch bundesweit im AfD-Landesverband Baden-Württemberg über eine eigene Hausmacht.

Es ist absehbar, dass die AfD-nahe Gustav-von-Struve-Stiftung e.V. ihre Arbeit wieder aufnimmt. Diese soll u. a. wie die anderen parteinahen Stiftungen den politischen Nachwuchs und Polit-Neulinge schulen. Und das Ganze selbstverständlich mit Mitteln aus dem Landeshaushalt. Der radikaldemokratische Revolutionär Struve, der Kindheit und Jugend in Stuttgart und Karlsruhe verbrachte, hatte seinen Adelstitel 1847 abgelegt, was unterstreicht, dass die AfD das Erbe Struves nicht im Ansatz verstanden hat.

Die AfD wird wohl vorerst bleiben und sie wird eine wichtige politische Akteurin sein. Das wird ihre Normalisierung weiter befördern. Wichtig ist es, sie weiter von Regierungsmacht fernzuhalten und ihre Diskurs-Macht zurückzudrängen. Denn auch aus der Opposition heraus schafft sie es, Diskurse zu prägen und Agenda-Setting zu betreiben.

Die demokratischen Parteien sollten keinesfalls dem fatalen Irrtum anheimfallen, der extremen Rechten Konkurrenz auf deren Terrain machen zu wollen, indem sie Nationalismus, Rassismus oder Antifeminismus reproduzieren.

Dagegen sprechen zwei wesentliche Punkte:

  1. ein ethischer Grund: Ein aufgeklärter Humanismus verträgt sich nicht mit einem engstirnigen Nationalismus.
  2. ein strategischer Grund: Die Wähler*innen lassen sich über rechte Ansprachen höchstens kurzfristig vom extrem rechten Original fernhalten.

Wobei es auch Fälle gibt, in denen eine ursprünglich konservative Partei sich zu einer extrem rechten Partei transformiert hat wie die Republikaner unter Trump, die FIDESZ in Ungarn unter Orbán oder die Schweizerische Volkspartei. Auch ein Zähmen oder Entzaubern der extremen Rechten ist keine erfolgversprechende Alternative. Im Gegenteil würde dies doch eine Aufwertung bedeuten.

Andere Themen sind keine Kernthemen der extremen Rechten, sondern nur von ihr okkupiert. Die soziale Frage ist keine grundsätzlich nationale, sie wurde nur von AfD und Co. dazu gemacht. Die sozialen Fragen um Wohnraum, Arbeit oder Renten können und müssen ohne Nationalismus und Rassismus thematisiert werden.

Bei anderen Themen ist es schwieriger, z. B. Kriminalität oder bestimmte Formen von religiösem Fundamentalismus wie Islamismus. Aber auch hier muss es möglich sein, diese Themen ohne simple Law and Order-Antworten oder antimuslimischen Rassismus zu behandeln.

Der Schriftsteller Peter Weiss verwendete das schöne Wort ‚Dennoch-Hoffnung‘. Die millionenstarken Proteste nach der Veröffentlichung der CORRECTIV-Recherche im Januar und Februar 2024 oder vor der Bundestagswahl im Februar 2025 haben gezeigt, dass das Potenzial für eine Massenbewegung gegen die AfD aktivierbar ist. Genauso wie Straßenbewegungen wie Fridays for Future oder Black Lives Matter aufgezeigt haben, dass emanzipatorische Massenbewegungen in der Bundesrepublik grundsätzlich möglich sind.

 

Fußnoten