Netto-Null und Geoengineering

Hintergrund

Bei den Plänen zur Umsetzung von „Netto-Null“ wird zunehmend auch auf Ansätze des Geoengineering gesetzt. Damit sind großtechnologische Ansätze gemeint, mit denen das Klimasystem manipuliert werden soll. Vor allem setzen Regierungen und Konzerne auf eine zukünftige massive Kohlendioxid-Entnahme aus der Atmosphäre (Carbon Dioxide Removal, CDR).

In vielen Ländern ist schon eine finanzielle Unterstützung für den Aufbau einer Infrastruktur zur Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (Carbon Capture and Storage, CCS) in den neueren Haushaltsplänen vorgesehen, und Technologien wie die direkte CO₂-Abscheidung aus der Luft (Direct Air Capture, DAC) und Bioenergie mit CCS (BECCS) sind in ihre national festgelegten Beiträge (NDCs) zum Klimaschutz eingeflossen. Die Machbarkeit dieser Technologien ist jedoch keineswegs erwiesen und sie gehen nach wie vor mit exzessiven Kosten sowie tiefgreifenden Risiken und Nebenwirkungen für Menschen und Ökosysteme einher.

Unternehmen hoffen in ihren „Netto-Null“-Verpflichtungen entweder auf Subventionen oder auf beträchtliche Gewinne, die ihnen ihre Investitionen in die Entwicklung von CDR-Technologien bringen könnten. Das schiebt notwendige und dringende Entscheidungen über eine umfassende Dekarbonisierung der Industrie, des Verkehrswesens und der Energieerzeugung weiter auf, indem Scheinlösungen unterstützt und finanziert werden. Die Wette auf diese spekulativen, hochriskanten Technologien zur Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre, die das Problem in der Zukunft lösen sollen, zementiert außerdem eine jahrzehntelange Fortführung der fossilen Infrastruktur. Und das ist überaus problematisch, da wir aus den fossilen Brennstoffen aussteigen und die Emissionen unmittelbar drastisch senken müssen, bevor wir eine Erderwärmung von 1,5°C und kritische Kipppunkte im Klimasystem erreichen.

Probleme im Zusammenhang mit dem Geoengineering

Alle Geoengineering-Technologien – vor allem die Methoden zur Entnahme von CO2 aus der Atmosphäre (das sogenannte Carbon Dioxide Removal) – benötigen Unmengen an Ressourcen: Energie, Land, Wasser, Biomasse, Mineralien und andere Rohstoffe. Um einen relevanten Beitrag zur Erreichung von „Netto Null“ zu leisten, müssten die Technologien in einem sehr großen Maßstab eingesetzt werden, und würden mit einem dementsprechend großen Ressourcenverbrauch einhergehen. Somit beinhaltet die Entwicklung von CDR-Technologien die Schaffung neuer transnationaler Rohstoffindustrien, die entlang der gesamten industriellen Kette für neue Emissionen sorgen würden.

Ebenso wahrscheinlich ist, dass die mit der Kohlendioxid-Entnahme verbundene industrielle Infrastruktur die global ungerechten Muster bei der Rohstoffgewinnung und Nutzung von Land und Ressourcen im Globalen Süden einfach reproduzieren oder gar verstärken würde. Ein großangelegtes CDR-Projekt kann verheerende Folgen für die Bevölkerung und die natürlichen Ökosysteme vor Ort haben: Landraub, Menschenrechtsverletzungen und stark steigende Preise für Lebensmittel. Eine erhebliche Ausweitung der BECCS-Methode – die Verknüpfung von Bioenergie mit Techniken zur Kohlenstoffabscheidung und -speicherung, das in Klimaszenarien vielfach favorisierte Geoengineering-Konzept – würde zu einer großflächigen Zerstörung von Artenvielfalt und natürlichen Ökosystemen und ihrer Verdrängung durch Monokultur-Biomasse als Rohmaterial für die Energieerzeugung führen.

Deshalb ist Geoengineering in Wirklichkeit eine Sackgasse: Eine großangelegte Einführung dieser Technologien würde mit unermesslichen Risiken und nicht zu rechtfertigenden ökologischen und gesellschaftlichen Folgen einhergehen. Zudem ist es äußerst zweifelhaft, ob sie überhaupt jemals effektiv große Mengen an CO2 aus der Atmosphäre beseitigen könnten. Aber egal, ob sie scheitern oder letztlich vielleicht doch wirken: Auf Geoengineering zu setzen, geht damit einher, mehrere Grad an Erderwärmung in Kauf zu nehmen – mit katastrophalen Folgen.

Im Rest dieses Kurzdossiers werfen wir einen genaueren Blick auf einige der Behauptungen, die im Kontext der „Netto-Null“-Verpflichtungen über das Geoengineering aufgestellt werden.

„Removals“ („Abbau“ in der deutschen Übersetzung des Abkommens) ist der etwas unbeholfene Begriff, der im Text des Pariser Abkommens benutzt wird, um die Entfernung von Kohlendioxid und anderen Treibhausgasen aus der Atmosphäre zu beschreiben. Auch wenn das Pariser Klimaabkommen den Einsatz von Geoengineering-Technologien wie Bioenergie mit Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (BECCS) und direkte CO₂-Abscheidung aus der Luft (DAC) keineswegs legitimiert, wird der Begriff Removals nur zu gern von Befürworter*innen des Geoengineering ausgenutzt, um den Unterschied zwischen unerprobter Speicherungstechnologie (Geoengineering) und biologischer Kohlenstoffbindung in Ökosystemen zu verschleiern.

Deshalb ist es äußerst besorgniserregend, dass die Task Force on Scaling Voluntary Carbon Markets einen Markt für Kohlenstoffgutschriften vorgeschlagen hat, der keinen Unterschied zwischen Kohlenstoffgutschriften macht, die auf Waldaufforstung beruhen, und denen, die auf BECCS- und DAC-Methoden basieren.

Massive Kohlendioxid-„Entnahme“ durch CDR? – Eine sehr ungewisse Zukunft.

In vielen Klimaszenarien und -modellierungen wird einfach angenommen, dass durch Geoengineering ausreichend Kohlendioxid aus der Atmosphäre entfernt werden könnte, um die Klimakrise zu begrenzen. Dass resultiert auch daraus, dass diese Klimamodellen auf ein unbegrenztes Wirtschaftswachstum in allen Regionen der Welt setzen, was weiterhin zu Emissionen führt, und den Schwerpunkt auf vor allem auf technologischen statt auf politischen und gesellschaftlichen Wandel legt. Somit sind diese Modelle klimapolitisch konservativ, was dazu führt, dass sie die ambitionierten Klimaziele wie das 1,5°C-Ziel nur noch mit dem massiven Einsatz von CDR-Technologien erreichen können.

Heute ist zwar allgemein anerkannt, dass die in vielen IPCC-Szenarien angenommenen Mengen an BECCS oder DAC unrealistisch waren bzw. sind. Dennoch versuchen Regierungen und Unternehmen die Debatte von der Notwendigkeit einer sofortigen umfassenden Dekarbonisierung der Industrie, des Verkehrswesens und der Energieerzeugung abzulenken; es ist viel leichter, über zukünftige CDR-Maßnahmen zu reden, um sich als Akteur*innen eines „ernsthaften“ Klimaschutzes zu präsentieren. Langfristige Netto-Null-Ziele, die sich auf hypothetische im Jahr 2050 aus der Atmosphäre entfernte Kohlendioxidmengen beziehen, sind für die gegenwärtigen Planungs- und Investitionskontexte nahezu bedeutungslos. „Netto-Null“ bleibt ein spekulatives, bewegliches Ziel, bei dem immer größere Mengen an Kohlendioxid-Entnahme notwendig werden könnten, um irgendwann in der Zukunft noch Netto-Null-Emissionen erreichen zu können. Gleichzeitig wird damit aber der Anschein aufrechterhalten, gegen die Klimakrise vorzugehen.

Die Unternehmen wissen es am besten – Nein, sie setzen nur auf Geoengineering, um ihre Profite aus den schmutzigen Industrien zu retten.

Die steigenden Investitionen in Geoengineering von Seiten der fossilen Industrie (Öl- und Gasunternehmen), aber auch von Big Tech und anderen, werden von der neuen Rhetorik begleitet, dass diese Konzerne am ehesten in der Lage seien, die „Kluft zwischen den Zielen und der tatsächlichen Treibhausgasminderung“ durch neue Technologien zu schließen. Öl- und Gasunternehmen gehören zu den stärksten Fürsprecher*innen des Geoengineering und sie investieren insbesondere in CO2-Piplines für CCS; gleichzeitig erneuern sie aber die Pläne für die Nutzung fossiler Brennstoffe und weiten sie aus. Aber auch viele der weltweit größten Unternehmen – unter anderem aus den Bereichen Landwirtschaft, Automobilindustrie, Einzelhandel, Technologie, fossile Brennstoffe, Luftfahrt, Finanzen – haben kühne „Netto-Null“-Pläne angekündigt, die in vielen Fällen CDR-Technologien beinhalten, während sie gleichzeitig unverfroren planen, ihre derzeitigen CO2-Emissionen zu erhöhen.

Das Klimasystem ist keine Maschine, die hoch- und runterreguliert werden kann.

Viele Klimaszenarien „erlauben“ ein Überschreiten des 1,5°C-Limits (oder sogar des 2°C-Limits) und setzen dann auf CDR-Technologien, die die Temperatur später in diesem Jahrhundert wieder absenken sollen. Solche Temperaturüberschreitungen, genannt „overshoot“, würden jedoch zu irreversiblen ökologischen und gesellschaftlichen Schäden und dem Verlust von Ökosystemen führen. Es mehren sich die wissenschaftlichen Nachweise, dass biophysische Veränderungen durch einen Temperaturanstieg sehr abrupt eintreten – was die große Zunahme an Extremwettereignissen rund um die Welt in den letzten Jahren teilweise erklären kann. Auch könnten in der Zeit des „overshoots“ Kipppunkte im Klimasystem erreicht werden, die ebenfalls Prozesse in Gang setzen, die quasi irreversibel sind. Es ist also extrem gefährlich, auf einen Kurs mit Temperaturüberschreitung und späterer Temperatursenkung zu setzen – und auch wissenschaftlich zweifelhaft, ob das überhaupt so einfach möglich ist.

APPENDIX

CDR-Technologien

Zu den meistdiskutierten Geoengineering-Technologien zur CO2-Entnahme aus der Atmosphäre (Carbon Dioxide Removal, CDR) gehören die Verknüpfung von Bioenergie mit Techniken zur Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (BECCS), die direkte CO₂-Abscheidung aus der Luft (DAC) sowie die Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (CCS) bzw. die Abscheidung, Nutzung und Speicherung von CO2 (CCUS), die Beschleunigte Verwitterung (Enhanced Weathering, EW) und die Meeresdüngung.

Carbon Capture and Storage (CCS) und Carbon Capture Use and Storage (CCUS).

CCS ist eine ursprünglich vor Jahrzehnten von der Ölindustrie entwickelte Technologie zur Erschließung schwer zugänglicher Ölvorkommen. Die Technologie wurde Enhanced Oil Recovery (EOR) genannt und bestand darin, CO2 in Ölbohrstellen zu pumpen, um das in der Tiefe vorhandene Öl nach oben zu drücken. Die Technik wurde kaum weiterentwickelt, weil sie sehr teuer und energieintensiv ist sowie den Bau neuer Infrastruktur erforderte. In CCS umbenannt, um auch in grundwasserführenden Schichten und in erschöpften Bergwerksgruben zur Anwendung zu kommen, wird sie nun als eine Klimaschutztechnologie präsentiert, mit der man auf staatliche Subventionen und sichere Kohlenstoffgutschriften zugreifen kann. CCS birgt Umwelt-, Gesundheits- und Sicherheitsrisiken für Gemeinden, die von CCS-Infrastruktur wie Pipelines und unterirdischen Speicheranlagen betroffen sind, weil damit die Gewinnung schmutziger Energie aufrechterhalten wird.

Die CCUS-Technologie zielt darauf ab, das aus der Atmosphäre entfernte CO2 in Brennstoffen und anderen Produkten zu „speichern“, von denen aber viele so kurzlebig sind, sodass das entfernte CO2 schnell wieder in die Atmosphäre gelangt. Berücksichtigt man die Lebensdauer der Produkte, erzeugt CCUS in den meisten Fällen zusätzliche Treibhausgase.

Die BECCS-Technologie beruht darauf, Biomasse (schnellwachsende Bäume oder Energiepflanzen) anzubauen, sie zu ernten und zur Energieerzeugung zu verbrennen, wobei das ausgestoßene CO2 abgeschieden und unterirdisch in geologischen Formationen wie salzwasserführenden Schichten oder erschöpften Ölquellen gespeichert werden soll (CCS).

Die direkte CO₂-Abscheidung aus der Luft (DAC) ist ein Ansatz, chemische Prozesse zu nutzen, um der Umgebungsluft CO2 zu entziehen – ein äußerst energie- und kostenintensives Verfahren. Wie BECCS braucht auch DAC eine weitere Komponente, in die – wie beim CCS bzw. CCUS – das abgeschiedene CO2 eingefügt werden kann, was im Grunde bedeutet, es in eine Art von Produkt umzuwandeln. Die Lebensdauer solcher Produkte variiert erheblich und sehr häufig wird dieses CO2 in Brennstoff oder Plastik gespeichert. In dem Fall kehrt es nach sehr kurzer Zeit wieder in die Atmosphäre zurück.

Beschleunigte Verwitterung (EW) umfasst eine Reihe von Ansätzen, CO2 dadurch aus der Atmosphäre zu ziehen, dass große Mengen an Gesteinsstaub auf ausgedehnte Landflächen oder die Meeresoberfläche gestreut werden, um deren chemische Zusammensetzung zu verändern, damit sie durch eine höhere Alkalität mehr Kohlenstoff aufnehmen. Neben der Ungewissheit, ob damit wirklich die gewünschten Ergebnisse zu erzielen sind, geht diese Technologie auch mit einem sehr hohen Energiebedarf einher, was eine riesige Zunahme an Bergbauaktivitäten verursachen und damit die Treibhausgas-Emissionen erhöhen würde.

Eine der am häufigsten diskutierten Technologien beim marinen Geoengineering ist die Meeresdüngung: Dabei sollen große Mengen an Eisen oder anderen Nährstoffen ins Meer eingebracht werden, um das Wachstum von Phytoplankton in Meeresgebieten mit niedriger Primärproduktivität zu fördern. Das zusätzliche Plankton würde CO2 – so die Theorie – aus der Atmosphäre ziehen, schließlich sterben, auf den Meeresboden sinken und das Kohlendioxid dort dauerhaft speichern. Allerdings hat sich die Meeresdüngung in verschiedenen Feldversuchen als weitgehend unwirksam erwiesen und wurde deshalb – auch aufgrund seiner schädlichen Auswirkungen auf die marinen Ökosysteme – mit dem Zusatzprotokoll der Londoner Übereinkunft über die Verhütung der Meeresverschmutzung verboten.