Einigung beim EU-Lieferkettengesetz: Finanzsektor vorerst aus der Verantwortung genommen

Der Frage, ob auch Banken, Versicherungen, Investoren und Vermögensverwalter in ihren Geschäften Menschenrechte und Umweltstandards achten sollen, gehörte zu den am meisten umkämpften Themen in der Debatte um das EU-Lieferkettengesetz. Mitte Dezember wurde im Trilog zwischen EU-Rat, Kommission und Parlament nun eine Einigung erzielt. Sie enthält viele Fortschritte für die Rechte von Betroffenen. Der Finanzsektor wurde jedoch weitestgehend von seinen Pflichten befreit.

Artikel vom 18. Januar 2024

Das Bild zeigt eine Aufwärtsansicht von zwei Hochhäusern, die sich in ihrer Architektur unterscheiden. Das linke Gebäude hat eine kantige, abgestufte Form, während das rechte Gebäude glatter erscheint und eine gekrümmte Fassade hat. Zwischen den Gebäuden ist ein Stück des Himmels sichtbar. Im oberen linken Teil des Bildes sieht man einen Ausschnitt eines weiteren Gebäudes mit einem gitterartigen Muster.

Eine Bank investiert in ein Bergbauprojekt, das die Wasserversorgung der örtlichen Bevölkerung gefährdet. Eine andere finanziert den Bau eines Staudamms, für den indigene Gemeinschaften von ihrem Land vertrieben werden. Ein Investmentunternehmen ignoriert die Klimakrise und schlägt weiter Gewinne aus der fossilen Energiewirtschaft. Der Finanzsektor ist auf vielfältige Weise mit Menschenrechtsverstößen und Umweltschäden verbunden. Gleichzeitig ist er ein wichtiger Hebel, um Investitionen für nachhaltige Entwicklung zu mobilisieren und schädlichen Wirtschaftsaktivitäten Kapital zu entziehen.

Das deutsche Lieferkettensorgfaltspflichtengesetz, das seit 2023 in Kraft ist, sieht keine Pflichten bei Finanzgeschäften vor. Doch mit der der Diskussion um die Richtlinie über die nachhaltigen Sorgfaltspflichten von Unternehmen (kurz EU-Lieferkettengesetz) wurde die Forderung nach verbindlichen Regeln zur Achtung von Menschenrechten und Umweltstandards auch im Finanzsektor lauter. Entsprechende freiwillige internationale Standards für Finanzdienstleistungen gibt es schon lange, verbindliche Regeln noch nicht. Ob diese geschaffen werden sollen, hat sich als eines der zentralen Streitpunkte in den Diskussionen um das EU-Lieferkettengesetz erwiesen.

Nach langen Verhandlungen zwischen EU-Rat, Kommission und Parlament wurde nun Mitte Dezember eine Einigung zur EU-Richtlinie gefunden. In vielen Punkten geht die Regulierung über das deutsche Lieferkettengesetz hinaus. Sie sieht z.B. zivilrechtliche Klagemöglichkeiten für Betroffene und Informationsrechte im Gerichtsverfahren vor. Ein wichtiger Meilenstein für den verbesserten Schutz der Menschenrechte, der nun noch formal von Rat und Parlament bestätigt werden muss.

Hinsichtlich des Einbezugs des Finanzsektors jedoch ist das Ergebnis enttäuschend: Finanzakteure sind zwar prinzipiell durch die Richtlinie erfasst. Ihre Pflichten gelten jedoch nur für die vorgelagerten Stufen ihrer Lieferkette, nicht für ihr Kerngeschäft der Kundenbeziehung. Das heißt konkret: Banken oder Investitionsgesellschaften sollen sich damit beschäftigen, ob bei der Herstellung ihrer Büromöbel die Menschenrechte geachtet wurden. Ob bei der Vergabe eines Großkredits für den Ausbau einer Mine Menschen von ihrem Land vertrieben werden, bleibt aber weiterhin durch die Regulierung unberührt. Die größten Risiken im Sektor werden nicht adressiert. Immerhin gelten die Klimapflichten im EU-Lieferkettengesetz auch für Finanzakteure. Sie müssen einen Plan zur Verringerung ihrer Treibhausgasemissionen erarbeiten und umsetzen. Ob der Plan vorhanden und konsistent ist, wird auch geprüft, nicht aber, ob sich das Unternehmen auch tatsächlich daran hält.

Ein kleiner Lichtblick: Eine Revisionsklausel sieht vor, dass die Kommission zu späterem Zeitpunkt einen Vorschlag für die Verpflichtung des Finanzsektors vorlegen soll. Die Diskussionen um menschenrechtliche und ökologische Pflichten für Finanzakteure bleiben also auch in der kommenden Legislaturperiode des Europäischen Parlaments aktuell.

Und wir bleiben dran

In Zusammenarbeit mit der Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg beleuchtet SÜDWIND im ersten Quartal 2024 mit zwei Online-Veranstaltungen Chancen, Herausforderungen und Möglichkeiten der Stärkung von Nachhaltigkeit und Menschenrechten im Finanzsektor auf verschiedenen Ebenen:

Politisches Online-Fachgespräch

  • In einem Politischen Online-Fachgespräch am 05.02.2024 (12.30-14.45 Uhr) waren parteipolitisch Engagierte und politische Entscheidungsträger*innen geladen, Handlungsmöglichkeiten auf verschiedenen Regulierungsebenen (Land, Bund, EU) kennen zu lernen und mit Expert*innen aus Politik, Verwaltung, Zivilgesellschaft und Wirtschaft zu diskutieren.
Präsentation von Arnim Emrich, Referatsleiter im Ministerium für Finanzen Baden Württemberg beim Online-Fachgespräch am 5. Februar 2024
Baden-Württemberg führt ein Gesetz für nachhaltige Finanzanlagen ein. Das Ziel ist, die Finanzströme des Landes, landeseigener Unternehmen und solcher, bei denen das Land Mehrheitseigner ist, in Einklang mit globalen Nachhaltigkeitszielen zu bringen. Das Gesetz definiert Nachhaltigkeit als viertes Anlagekriterium neben den bestehenden. Der Geltungsbereich umfasst derzeit Finanzanlagen in Höhe von 17 Milliarden Euro. Es soll Widersprüche zu globalen Nachhaltigkeitszielen vermeiden und Anreize für Investitionen in Nachhaltigkeit und Klimaschutz setzen.
Die Umsetzung umfasst spezifische Strategien für Finanzanlagen in Unternehmen und Staaten. Bei Unternehmen werden drei Instrumente verwendet: Es werden Unternehmen ausgeschlossen, die Einnahmen im Bereich fossiler Energien erzielen oder Umwelt- und Nachhaltigkeitsziele verletzen. Stattdessen werden Unternehmen bevorzugt, die bestimmte Vorgaben zur Reduktion von Treibhausgasemissionen erfüllen. Zudem wird sich dafür eingesetzt, dass börsennotierte Unternehmen nachhaltigere Tätigkeiten ausüben. Staatsanleihen werden anhand internationaler Abkommen auf Wertekongruenz geprüft. Staaten mit kontroversen Aktivitäten oder mangelnder Ratifikation bedeutender Übereinkommen werden ausgeschlossen.
Das Gesetz wurde mit dem Pensionsvermögen umgesetzt, dem größten Anlagevermögen. Es umfasst Maßnahmen wie die Umstellung auf nachhaltige Aktienindizes und den Verkauf nicht konformer Staatsanleihen. Eine Ratingagentur, die externe Nachhaltigkeitsdaten nutzt, gewährleistet eine einheitliche Umsetzung des Gesetzes über das Finanzministerium und betroffene Organisationseinheiten hinweg.

Menschenrechte im Finanzsektor stärken

In dem Webseminar Menschenrechte im Finanzsektor stärken am 07.03.2024 (18.00 bis 20:00 Uhr) werden Ansatzpunkte für die Stärkung von Menschenrechten im Finanzsektor für zivilgesellschaftliche Gruppen, Verbraucher*innen und engagierten Nachwuchs in der Finanzwirtschaft vorgestellt.

Hintergrundinformationen in zwei Factsheets

1. Factsheet lesen
Der Finanzsektor spielt eine entscheidende Rolle bei der Förderung der Menschenrechte weltweit. Banken, Versicherungen, institutionelle Investoren und Vermögensverwalter können durch ihre finanziellen Entscheidungen erheblichen Einfluss auf die Einhaltung von Menschenrechtsstandards nehmen. Der Text zeigt anhand konkreter Beispiele, wie Finanzaktivitäten wie Kreditvergabe, Wertpapieremissionen, Investitionen und Versicherungsgeschäfte mit Menschenrechtsverletzungen in Verbindung stehen können. Es wird diskutiert, welche Pflichten der Finanzsektor im Rahmen des EU-Lieferkettengesetzes hat und wie wichtig eine nachhaltige Finanzwirtschaft ist, die Menschenrechte und Umweltstandards respektiert. Das Faktenblatt soll das Bewusstsein für die Bedeutung der Menschenrechte im Finanzsektor schärfen und zur Mitgestaltung dieser wichtigen Debatte anregen. Es ist wichtig, dass der Finanzsektor die Menschenrechte respektiert und schützt.


Eva-Maria Reinwald ist Referentin für Globale Wirtschaft und Menschenrechte beim SÜDWIND-Institut in Bonn (www.suedwind-institut.de) und verantwortet den Schwerpunkt „Nachhaltigkeit und Menschenrechte im Finanzsektor stärken“ mit der Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg.