Konkrete Sicherheit: Warum trans, inter und nicht-binäre Menschen besseren Schutz brauchen

1.    Viele sicherheitspolitische Debatten in Deutschland verengen den Begriff Sicherheit auf staatliche Kontrolle, Polizei und militärische Maßnahmen. Aus intersektional-feministischer Perspektive: Welche Aspekte fehlen, wenn wir über die Sicherheit von trans*, inter* und nicht-binären Menschen (tin*) sprechen? Wie sehen antifeministische Angriffe auf tin* Menschen konkret aus?


Petra Weitzel: Tatsächliche Sicherheit, die man aus Statistiken abzulesen versucht, und das subjektive Sicherheitsgefühl sind zweierlei. Die faktische Sicherheit im queeren Viertel neben einem zentralen Platz wie in Frankfurt am Main ist nicht gegeben. Werden zwei Polizist*innen wegen eines tätlichen Angriffs dort um Hilfe gebeten, erklären sie, dass sie den Platz nicht verlassen dürfen. Das Sicherheitsgefühl löst sich in Luft auf, wenn die als Korrekturmaßnahme im Viertel gesteigerte Polizeipräsenz ihre Augen nicht in den Seitenstraßen hat, wo dann schwule Paare und trans* Personen tätlich angegangen werden. Immerhin ist die Polizei hier im Austausch mit der LSBTIQ+ Community. Ein guter und wichtiger Schritt, den viele andere Städte noch vor sich haben. Verdeckte Präsenz der Polizei ist sicher nützlich, fühlen kann man sie leider nicht.

Zur sicherheitspolitischen Debatte gehört aber auch, dass Hassrede als mögliche Vorstufe zu physischer Gewalt gegen tin* Personen strafrechtlich derzeit kaum verfolgt werden kann. Die schwarz-rote Koalition hatte beim §192a zur „verhetzenden Beleidigung“ trotz Protest eine Lücke bei geschlechtlicher Identität und Geschlecht gelassen. Wer jetzt denkt, das sei durch die strafbare Volksverhetzung abgedeckt, der täuscht sich. Viele Staatsanwält*innen setzen sich mit einer schieren Menge an Hassbotschaften auseinander und stumpfen in ihrer Urteilsfindung dabei ab. So geschehen, als in München von rechts eine Welle gegen eine Drag-Queen-Lesung in einer öffentlichen Bücherei losgetreten wurde und auf der Straße plötzlich Bilder aus Horrorfilmen vor der Veranstaltung warnten. Die Begleitmusik zum Selbstbestimmungsgesetz auf der Online-Plattform „X“ ging noch eine Stufe weiter. Eine sich als „Feministin“ ausgebende Frau verbreitete, man müsse es nicht gut finden, wenn trans* Menschen sich die Haut anderer Frauen überziehen.   

In beiden Fällen liefen die Anzeigen gegen diese Angriffe ins Leere, weil die Staatsanwaltschaft beide als Meinungsfreiheit verbucht. Damit sind die Grenzen, was man tin* Personen an den Kopf werfen darf, bereits verschoben. Mein Eindruck ist, dass das gewollt ist: Dadurch sollen wir tin* Personen, uns in bestimmten Umgebungen nicht mehr sicher fühlen oder von Akzeptanz ausgehen.

Diese gewollte Verunsicherung trifft letztendlich alle Frauen, da so aufgehetzte Menschen sich legitimiert fühlen, zu entscheiden, wer trans* sein könnte und wer nicht und dann zur Tat schreiten. Ein Kurzhaarschnitt und eine Körpergröße über 1,80m können einer cis Frau schon zum Verhängnis werden.

Ich betrachte die Bundespolitik in den USA und die verordnete Ausgrenzung durch den Supreme Court in Großbritannien tatsächlich auch als antifeministischen Angriff. Bei der Einreise am Londoner Flughafen droht der erste Konflikt beim Toilettenbesuch. Ein trans* Mann ist rechtlich gezwungen auf die Frauentoilette zu gehen. Wird das ohne gewalttätige Reaktionen oder Verhaftung gegen trans* Personen von statten gehen? Ich fürchte nicht. Gender-Policing an der Toilettentür trifft alle Frauen, vor allem solche, die nicht in die gängigen Schubladen passen. Gender Policing kontrolliert, sanktioniert und kritisiert Menschen, die nicht den normativen Geschlechterstereotypen entsprechen. Das funktioniert auch entgegengesetzt: Trans* Männern wird von trans*feindlichen, gut organisierten „Feministinnen“ unterstellt, dass sie gar nicht trans* sind und nur einen Ausweg aus Geschlechterstereotypen suchen würden. 
Wie frauenfeindlich die Gesellschaft tatsächlich ist, merkt man daran, dass auch cis Frauen Opfer von trans*feindlicher Gewalt werden. In Irland warf ein Mann eine gehbehinderte ältere Frau in einen Müllcontainer und verletzte sie schwer, weil er sie für trans* hielt und befürchtete, von ihr ginge eine gesellschaftliche Gefahr aus. In Frankfurt am Main kam es 2023 zu einer schweren Körperverletzung einer trans* Frau, die von einem Passanten vor einem Parkhauseingang angegriffen wurde, weil ihm anscheinend ihre Körpergröße und Stimme suspekt war. Die US Basketballerin Britney Griner wäre mit 2,06 m und ihrer tiefen Stimme vermutlich ebenfalls angegangen worden, obwohl sie nicht trans* ist. Auch ich habe erfahren, dass man große Frauen über 1,85 m kritisch beäugt und mutmaßt, sie seien „früher mal Männer gewesen“. Es geht also um Bodyshaming, auch beim Gender-Policing. Ziel ist die Aufrechterhaltung eines bestimmten Frauenbildes, das als Norm mit allen Mitteln durchgesetzt wird, von jedem, der sich dazu berufen fühlt.  

 

2.    Transfeindlichkeit wird häufig als „Nischenthema“ behandelt, ist aber eng mit antifeministischen, rassistischen und rechtsextremen Narrativen verknüpft. Laut Leipziger Autoritarismusstudie 2024 hatten 37 % der Befragten eine transfeindliche Einstellung. Welche sicherheitspolitischen Risiken auf dem Feld von z. B. Hasskriminalität entstehen, wenn diese Verschränkungen nicht klar benannt und adressiert werden?


PW: Wie man den Berichten „Tip of the Iceberg“  oder aktuell „The Next Wave“ des European Parliamentary Forum entnehmen kann, gibt es milliardenschwere Netzwerke und Einzelpersonen, die queerfeindliche Propaganda fördern, z. B. evangelikale Stiftungen wie die Alliance Defending Freedom (ADF) oder der Heritage Fund aus den USA.
Als Einfallstor nutzt man vorhandene Ressentiments, um zu diskreditieren, zu entsolidarisieren und zu entrechten. Dabei sind auch Schnittmengen mit antimuslimischen Aktivist*innen, Migrant*innenfeindlichkeit und Abtreibungsgegnern erkennbar. Die Women´s Liberation Front (WoLF) z.B. bekam Unterstützung von ADF, agiert gemeinsam mit  Women´s Declaration International, und auch in Deutschland gegen trans* Menschen (siehe Bericht). Der Verein „Frauenheldinnen“ zum Beispiel unterstützt mit seinen Projekten Spendenaktionen für Frauen, die wegen vorsätzlichen trans*feindlichen oder antimuslimischen Äußerungen und Aktionen in gerichtliche Verfahren geraten.

Ein Beispiel für Hassposts ist die Erzählung, trans* Frauen seien ja Männer und würden nur in Frauenbereiche „eindringen“ und z.B. auf die Frauentoilette gehen, um andere Frauen sexuell zu belästigen.


Es gibt derzeit keine rote Linie bei Hassrede. Wenn in den sozialen Netzwerken trans* Personen ungebremst als psychisch gestörte Monster dargestellt werden, führt das zu Ausgrenzung und Gewalt. Eine trans* Frau, die sich auf eine Kita Stelle bewirbt, deren Leiterin solche Hetze gerade auf ihrem Handy gelesen hat: Wird sie wohl eingestellt? „Psychisch Gestörte“ lässt man doch nicht in die Nähe von Kindern, oder der eigenen Wohnung, so die Intention hinter solchen Mobilisierungen. Der trans* Frau in der Nachbarschaft kann man ja mal den Wunsch nach Wiedereinführung von Gaskammern an die Tür kleben. Vielleicht zieht sie dann aus? Vor Familien mit Kindern machen die Täter*innen dabei nicht halt. Wehe, wenn diese Frau jemanden zu nahekommt, der mit im Netz erworbener Selbstermächtigung bis zum Platzen aufgeladen ist. Die Zahl der tin* feindlichen Straftaten hat sich von 2022-24 fast versechsfacht, von 417 auf 1152. 
Ein ganz neues Phänomen ist der öffentliche Pranger, den angebliche „Feministinnen“ ins Netz gestellt haben. Hier kommen Assoziationen mit den „Stürmer Prangern“ aus der NS-Zeit hoch, wo man überall in Schaukästen nachlesen konnte, welche „Erfolge“ dieses mörderische Regime feiern wollte. Der „moderne“ Pranger bietet eine Vielzahl von Fähnchen, mit Vorkommnissen tatsächlicher oder angeblicher von trans* Personen begangenen Straftaten. Damit es nach viel aussieht, hat man dort auch die trans* Personen aufgeführt, die sich gegen solche Hetze vor Gericht wehren.
Im Netz ist über die letzten zehn Jahre ein rechtsfreier Raum entstanden, der auch vor Verfolgung von Eltern, die über ihre trans* Kinder öffentlich akzeptierend sprechen nicht Halt macht. Ein Beispiel ist der Anonymus R. Eder-Kirsch, der auf seiner Plattform Adressen ganzer Familien ins Netz stellt. Welchem Zweck dies wohl dienen soll?


3.    Das Bundesinnenministerium (BMI) unter Alexander Dobrindt (CSU) plant ein Sonderregister für alle Menschen, die das Selbstbestimmungsgesetz (SBGG) in Anspruch genommen haben. Kritiker*innen sprechen von einem gravierenden Angriff auf Persönlichkeitsrechte. Aus Fachperspektive kann dieses Vorhaben antifeministisch eingestuft werden, da hier geplant und aktiv die Rechte von tin* Personen übergangen werden und die CDU/CSU im letzten Wahlprogramm bereits das SBGG abgelehnt haben. Warum ist ein solches Register nicht nur diskriminierend, sondern auch sicherheitspolitisch gefährlich?

Wir haben in Deutschland Erfahrung mit „Listen“ aller Art. Solche, auf denen jüdische Mitbürger*innen standen und viele andere. Wer glaubt, das habe 1945 geendet, der irrt. „Rosa Listen“, die „Landfahrerkartei“ in Bayern, das sind Beispiele aus der Bundesrepublik.

PW: Wir haben in Deutschland Erfahrung mit „Listen“ aller Art. Solche, auf denen jüdische Mitbürger*innen standen und viele andere. Wer glaubt, das habe 1945 geendet, der irrt. „Rosa Listen“, die „Landfahrerkartei“ in Bayern, das sind Beispiele aus der Bundesrepublik. Aus Bayern kommt auch die Verordnung zur Änderung der Bayrischen Meldedatenverordnung die am 1.11.2024 in Kraft getreten ist und vermutlich ein Muster für das Sonderregister des BMI ist.

Ich selbst habe um das Jahr 2000 dafür persönlich gekämpft, dass der Buchstabe „T“, verschwindet. Man mag es kaum glauben, dass das „T“ für jeden mit Zugriff auf das Melderegister bis dahin sichtbar war. Damals hätte ich mir nicht träumen lassen, dass jemand das durch die Hintertür wiedereinführen will.

Wird eine Minderheit zu Unrecht gebrandmarkt, verschwendet das Ressourcen bei der Strafverfolgung und führt möglicherweise zu einer Täter*innen-Opfer-Umkehr.

Zu viele können sich so eine persönliche Liste von tin* Personen zusammenstellen. Wird eine Minderheit zu Unrecht gebrandmarkt, verschwendet das Ressourcen bei der Strafverfolgung und führt möglicherweise zu einer Täter*innen-Opfer-Umkehr. Solche Listen führen zu dem Gedanken, dass schon etwas dran sein müsse, wenn die Minderheit dermaßen erfasst wird. Grund genug, um tin* Personen kategorisch abzulehnen und schlimmer noch zur Tat zu schreiten. Ich nenne das Gender Profiling. Solche Methoden untergraben das Vertrauen in den Rechtsstaat.  

 

4.    Abschließend: Welche konkreten gesellschaftspolitischen Maßnahmen würden aus Ihrer Sicht heute am dringendsten dazu beitragen, Sicherheit im Leben von tin* Personen real zu verbessern – und wie können diese Maßnahmen gleichzeitig solidarisch mit anderen marginalisierten Gruppen gedacht werden?


PW: Die Bundesregierung ist gefordert, deutsches Recht in den sozialen Netzwerken durchzusetzen. Kein Plattformbetreiber hat das Recht, verfassungsfeindlichen und den gesellschaftlichen Zusammenhalt zersetzenden, gut finanzierten Spaltungsbemühungen freien Lauf zu lassen. Wenn das Strafgesetzbuch das nicht hergibt, dann muss nachgeschärft werden. Wenn das Netzwerkdurchsetzungsgesetz nicht wirkt, dann muss es nachgeschärft werden.

Hass fängt Anhänger vor allem bei Menschen mit unsicherer Haltung zu Grundrechten und Diskriminierung. 

Vielfaltsarbeit sollte generell schon in der Grundschule anfangen. Ein Teil der trans* Kinder outet sich schon in diesem Alter. Man kann altersgerecht darüber informieren. Das hat nichts mit sexuellem Handeln oder diesbezüglichen Bildern zu tun, was von einigen Radikalevangelikalen und Rechten gerne behauptet wird.

Manchen trans* Kindern kann man jedoch sprichwörtlich das Leben retten. Sei es, weil sie jetzt Wörter haben, um über ihr Sein mit den Sorgeberechtigten zu sprechen. Sei es, weil sich genügend Mitschüler*innen rechtzeitig solidarisieren, wenn es zu Angriffen kommt.

Danke!

[1] Da die transfeindlichen Inhalte nicht verbreitet werden sollen, wird an dieser Stelle auf eine Verlinkung verzichtet.


Dieser Artikel erschien zuerst hier: www.gwi-boell.de