Die AfD und die Arbeitswelt

Dossier

Die AfD hat sich nicht nur auf den Weg in die Parlamente gemacht, sie versucht, Einfluss auf alle Ebenen unserer Gesellschaft zu nehmen. Auch die Arbeitswelt ist inzwischen im Fokus der Partei. In verschiedenen Bundesländern haben sich AfD-nahe Arbeitnehmervereinigungen gegründet. Inhaltlich stehen sie den Auseinandersetzungen innerhalb der Parlamente und Parteiströmungen in nichts nach. Mal geben sie sich neoliberal und wirtschaftsnah, ein andermal sozialistisch mit rechts-nationaler Prägung. In die Betriebe gehen die Rechten dort, wo es prestigeträchtig ist: in der Automobilindustrie.

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AidA, AVA und ALARM – Arbeitnehmer schreiben sich ohne großes I

Sie behaupten, sozial zu sein, ohne rot zu werden[1], und glauben, blau sei das neue rot[2]. Die sogenannten Arbeitnehmervertretungen der AfD lieben das Farbenspiel. Und sie geben sich sozial, sind dabei allerdings mal neoliberal und ein andermal von einem nationalen Sozialismus geprägt.

2014 gründete sich in Schleswig-Holstein die Interessengemeinschaft (IG) der „Arbeitnehmer in der AfD“ (AidA). Ein Jahr später entstand in Nordrhein-Westfalen die eingetragene „Alternative Vereinigung der Arbeitnehmer“ in der AfD (AVA). Und zwei Jahre später wurde in Thüringen der „Alternative Arbeitnehmerverband Mitteldeutschlands“ (ALARM!) aus der Taufe gehoben.[3] Alle drei rechten Arbeitnehmervertretungen kamen stets ohne großes „I“ aus, denn beschäftigte Frauen spielen bei ihnen keine allzu große Rolle.

AidA gibt es inzwischen nicht mehr, die Vereinigung hat sich aufgelöst. Die beiden anderen Vereine ermöglichten ihren Spitzenleuten Karrieren in Berlin, und zwar auf dem Ticket der AfD. Der AVA-Vorsitzende Uwe Witt ist arbeits- und sozialpolitischer Sprecher der AfD-Fraktion und war bis zu ihrer Auflösung Sprecher der beim Höcke-Flügel verhassten „Alternativen Mitte“. Witt selbst hat früher bei Thyssen gearbeitet, wurde dann Personalchef bei einem mittelständischen Unternehmen und war danach selbständig. Der AfD-Mann war früher Mitglied der IG Metall.

Arbeitsmarktpolitik ist „solidarischer Patriotismus“

Alarm!-Chef Jürgen Pohl schaffte 2017 ebenfalls den Sprung in den Bundestag. Seither sitzt er zusammen mit Witt im Ausschuss für Arbeit und Soziales. Pohl ist stellvertretender Sprecher für Arbeit und Soziales der AfD-Fraktion. Außerdem ist der Rechtsanwalt Vorsitzender der Regionalgruppe Mitteldeutschland und „ostpolitischer“ Sprecher der AfD-Fraktion. Pohl ist – im Gegensatz zu Witt – ausgewiesener Höcke-Freund, dessen Wahlkreis-Büro er eine Zeit lang leitete. Bei Facebook und auf Pohls Internetseite bezeichnet der AfD-Mann die erhöhte Zahl an Flüchtlingen als „Instrument zum Drücken der Löhne“. Migrant*innen seien nur in „seltenen Fällen tatsächlich Fachkräfte. Daher drücken sie in den meisten Fällen die Löhne für einfache Tätigkeiten oder landen gleich in der staatlichen Fürsorge“, heißt es dort.[4] Pohl liebt es, flammende Reden zu halten, und die enden auch schon mal damit, den 1. Mai zu postulieren als „Aufbruch in den Kampf für einen solidarischen Patriotísmus.“[5] Pohl gehört nach Recherchen von Zeit Online, die im März 2018 veröffentlicht wurden, zu 18 Bundestagsabgeordneten der AfD, die Mitarbeiter mit rechtsradikalem bis rechtsextremem Hintergrund beschäftigten.[6]

„ALARM!“ steht inhaltlich hinter dem völkisch-nationalistischen Flügel innerhalb der AfD. Der Verein fordert wie Björn Höcke die „armutsfeste Staatsbürgerrente“ nur für Deutsche und will eine Anhebung des gesetzlichen Mindestlohns. Seine Sozial- und Arbeitsmarktpolitik nennt ALARM!-Chef Jürgen Pohl „solidarischen Patriotismus“.[7] Und er liebt es nicht nur, alle demokratischen Parteien als „Altparteien“ zu betiteln[8], die DGB-Gewerkschaften sind für ihn grundsätzlich die „Altgewerkschaften“[9].

AVA und Witt sind die angeblich Gemäßigten in der Partei, die eine eher neoliberale Politik verfolgen. Die Einführung des Pflegelöhneverbesserungsgesetzes[10] etwa ist für Witt die Rückkehr zum Sozialismus. Damit würden 30 Jahre nach dem Mauerfall wieder planwirtschaftliche Strukturen eingeführt.[11] Und bei einer Rede im Bundestag postulierte Witt: „Wir vertreten die Interessen der für wenig Geld hart arbeitenden Menschen in unserem Land. Genau: In unserem Land, und das heißt Deutschland.“[12] Mit offen rechten Äußerungen hält sich AVA im Gegensatz zu ALARM! zurück. In ihrem „Thesenpapier zur Arbeits- und Sozialpolitik“ (2016) stellt AVA klar, wer in der hiesigen Gesellschaft ihrer Ansicht nach weniger Rechte hat als andere: Langzeitarbeitslose und Migrant*innen sollen grundsätzlich weniger Leistungen bekommen oder gar keine. Langzeiterwerbslose will die AVA zu „gemeinnütziger Arbeit“ verpflichten, um ihnen „ein wichtiges Stück ihrer Würde“ zurückzugeben.[13]

Die AfD in den Parlamenten: Rügen, Ordnungsrufe und gehässiges Lachen

Definition von Würde
Definition von Würde

Was die AfD unter Würde versteht, ist äußerst widerspruchsvoll, etwa wenn es darum geht, die Würde des Bundestages zu wahren. Der frühere Bundestagspräsident Norbert Lammert war stolz darauf, dass er in seinen zwölf Jahren an der Spitze des Parlaments keinen einzigen förmlichen Ordnungsruf gegen einen Abgeordneten verhängen musste. Der CDU-Politiker verließ 2017 den Bundestag, genau zu dem Zeitpunkt, als die AfD ins Parlament einzog. Mit ihr änderte sich schlagartig der Ton, und die Ordnungsrufe kehrten zurück. Allein im Jahr 2019 gab es vier Ordnungsrufe und vier Rügen. Seit der Wahl 2017 bis 2019 zählte der Bundestag 19 Ordnungsrufe, das sind mehr als in allen vier vorausgegangenen Legislaturperioden seit 2002 zusammen.[14] Der Ton ist deutlich aggressiver geworden. Fast alle Ermahnungen hatten mit der AfD zu tun – entweder, weil sich eine*r ihrer Abgeordneten beleidigend und hetzerisch äußerte oder weil sich Abgeordnete anderer Fraktionen von den Rechten provozieren ließen. Die demokratischen Parteien im Bundestag haben alle den gleichen Eindruck: Die AfD legt es darauf an, den Bundestag und die parlamentarischen Abläufe und damit unsere Demokratie verächtlich zu machen.[15]

Die Partei hat den Korridor dessen, was gesagt wird, sehr deutlich nach rechts verschoben. Das wird auch in einer Datenanalyse der Süddeutschen Zeitung klar, die die Protokolle von Bundestagsdebatten ausgewertet hat. So haben sich auch die Worte verschoben: Diskutiert wird seit 2017, also seit dem Einzug der AfD ins Parlament, weniger mit neutralen Begriffen wie „Geduldete“, stattdessen werden Flüchtlinge per se zu (illegalen) Migranten, die unsere Sozialsysteme angeblich plündern. Derzeit, so erklärte die Politologin Laura Stielike der Süddeutschen Zeitung, dominiere ein rassistischer Diskurs im Bundestag, der vor allem auf Einschränkung und Abschreckung setze. Die humanitäre Dimension, die die Debatten noch im Jahr 2015 bestimmt habe, sei völlig ins Abseits geraten.[16]

Wie gehässig die Grundstimmung im Plenum ist, veranschaulichen sogar eigentlich harmlose Gesten wie Lachen oder Klatschen. In den Protokollen der Bundestagsdebatten wird Lachen explizit vermerkt. Aus einer Datenanalyse der Süddeutschen Zeitung geht hervor, dass die AfD besonders häufig über die Abgeordneten anderer Fraktionen lacht. Sie lacht bevorzugt über Abgeordnete von Union und SPD. Bei den Grünen, dem erklärten Hauptfeind der AfD, passiert das nur halb so oft – was auch mit der deutlich geringeren Redezeit der derzeit kleinsten Oppositionspartei zu tun hat.

Auch beim Klatschen gibt es deutliche Unterschiede. In allen Fraktionen wird überwiegend den eigenen Leuten applaudiert. Die AfD sticht jedoch heraus: Sie spendet zu 80 Prozent den eigenen Leuten Beifall. Bei der Union, die auf dem zweiten Platz des Applauses für die eigenen Reihen liegt, sind es 63 Prozent. Alle übrigen Fraktionen klatschen in etwa zur Hälfte auch für andere Abgeordnete des demokratischen Spektrums. Das tut die AfD nur ab und zu – am meisten übrigens für Union und FDP.[17]

Die heimische Wirtschaft von Bürokratie befreien

In den Landesparlamenten ist die Stimmung ähnlich. Bei ihrer parlamentarischen Arbeit hat sich die Partei im Südwesten in erster Linie auf Kleine Anfragen an die Landesregierung verlegt. In Baden-Württemberg ist der Anteil ihrer Kleinen Anfragen im Vergleich zu anderen Landtagen besonders hoch, mehr als 40 Prozent aller Kleinen Anfragen gehen auf die AfD zurück. Inhaltlich drehen sich die meisten dieser Anfragen um die Themenfelder Migration (17 Prozent) oder Sicherheit und Ordnung (12,6 Prozent). Soziales interessiert die AfD nur zu 7,7 Prozent. Um Arbeit und Wirtschaft kreisen gerade mal 4,2, Prozent.[18] Allzu wichtig scheint ihr dieses Themenfeld nicht zu sein. Dass andere Aspekte von größerer Bedeutung sind, bewies die Fraktion im Januar dieses Jahres. Da gründete sie im Stuttgarter Landtag einen Arbeitskreis Linksextremismus.[19] 

Bildungszeitgesetz

Bei Anträgen und Gesetzentwürfen tut sich die Landtagsfraktion der AfD schwer. Die paar Gesetzentwürfe, die sie bisher erarbeitet hat, haben einen deutlich neoliberalen Grundton. So forderte die AfD zum Beispiel die Aufhebung des noch gar nicht so alten Bildungszeitgesetzes. Begründet wird das mit einem einzigen dürren Satz, und dafür werden der Bürokratieabbau und die finanziellen Belastungen der Unternehmen bemüht. Dass es bei der Bildungszeit um Fort- und Weiterbildungszeiten von Beschäftigten geht, interessiert die Partei offenbar wenig.[20]

Arbeitsmarktpolitisch stellt sich die Landtagsfraktion lieber wirtschaftsfreundlich auf. So forderte sie mit einem anderen Gesetzesentwurf etwa die Abschaffung des Tariftreue- und Mindestlohngesetzes für öffentliche Aufträge in Baden-Württemberg. „In Verantwortung für ein zukunftsfähiges Baden-Württemberg“ müsse sich das Land dafür einsetzen, „die heimische Wirtschaft von unnötiger Bürokratie zu befreien.“ An Tariftreue und guten Löhnen für die Beschäftigten scheint der AfD in Baden-Württemberg nicht viel zu liegen.[21] Paradox ist da: Trotzdem lag der Anteil der Gewerkschafter*innen, die sie 2016 wählten, bei 15,7 Prozent. Damit lag ihr Anteil um 0,6 Prozent über dem AfD-Anteil aller baden-württembergischen Wähler*innen (15,1 Prozent).[22]

Die Betriebsratsliste „Zentrum Automobil“ und ihr Gründer

Präsenz von "Zentrum Automobil" auf einer Kundgebung der AfD in Bruchsal am 2. Juni 2018, bei der auch Björn Hocke als Redner auftrat.
Präsenz von "Zentrum Automobil" auf einer Kundgebung der AfD in Bruchsal am 2. Juni 2018, bei der auch Björn Hocke als Redner auftrat.

Zwei Jahre nach der Landtagswahl, im März 2018, holte in Stuttgart-Untertürkheim die rechte Betriebsratsliste „Zentrum Automobil“ bei den Betriebsratswahlen 13,2 Prozent aller Stimmen der Daimler-Mitarbeiter*innen. Das „Zentrum Automobil“ ist deutlich älter als die AfD. 2009 wurde es im Daimler-Stammwerk Untertürkheim von Oliver Hilburger gegründet.[23] Hilburger war zuvor im Werk gewählter Betriebsrat für die Christliche Gewerkschaft Metall (CGM). Auf deren Vorschlag hin betätigte er sich auch eine Zeitlang als ehrenamtlicher Richter beim Arbeitsgericht Stuttgart. Als öffentlich wurde, dass Hilburger seit 1989 Bassist und Gitarrist der neofaschistischen Rockband „Noie Werte“ ist, musste er sein Betriebsratsmandat niederlegen. Die CGM schloss ihn „wegen seines rechtsradikalen Engagements“ aus ihrer Gewerkschaft aus.[24] Ein Jahr später enthob das Landesarbeitsgericht Baden-Württemberg Hilburger des Richteramtes. Das Gericht kam nach der Auseinandersetzung mit den Liedtexten und den Auftritten der Band „Noie Werte" zu dem Schluss, dass die Lieder Assoziationen zum nationalsozialistischen Regime wecken, gewaltverherrlichend sind und von einer verfassungsfeindlichen Ideologie zeugen. Hilburgers Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil scheiterte.[25] Er verließ daraufhin 2008 seine Rechtsrockband. Später tat er kund, die Zeit bei „Noie Werte“ sei doch nur eine Jugendsünde gewesen.[26] In Hilburgers „Noie-Werte“-Zeit entstanden die zwei Lieder der Band, die eine frühe Version des NSU-Bekennervideos untermalen.[27] Als Hilburger im November 2017 vor dem NSU-Untersuchungsausschuss in Stuttgart aussagen musste, distanzierte er sich vom Rechtsterror des NSU und sagte, wenn er geahnt hätte, dass es so etwas gibt, hätte er dies „jederzeit und sofort zu einer Anzeige gebracht“.[28]

Unternehmen wie Daimler sind ein Abbild der Gesellschaft. So verwundert es nicht, dass das „Zentrum Automobil“ kurz nach seiner Gründung im Jahr 2010 zwei Betriebsratssitze bei Daimler Untertürkheim holt. Vier Jahre später – inzwischen war die AfD gegründet – kam das „Zentrum“ schon auf vier Betriebsratssitze. Und im März 2018 holte die rechte Liste 13,2 Prozent der Stimmen in Untertürkheim. Heute sitzt das „Zentrum Automobil“ mit sechs von insgesamt 47 Betriebsräten im Daimler-Stammwerk, wo rund 19.000 Menschen arbeiten.[29] Bei Daimler in Sindelfingen mit 25.000 Beschäftigten holte die rechte Liste 3,4 Prozent, das sind zwei Mandate. Und am badischen Standort Rastatt, wo 6.500 Menschen arbeiten, zog sie mit drei Gewählten in den Betriebsrat ein. Erfolglos blieb das „Zentrum Automobil“ dagegen in der Daimler-Zentrale in Stuttgart und am Standort Wörth.

2018 beschränkten sich die rechten Betriebsräte allerdings nicht nur auf Daimler-Standorte in Baden-Württemberg. Auch bei dem Motorsägen-Hersteller Stihl in Waiblingen wurden zwei rechte Betriebsräte unter dem Listennamen „Mut zur Veränderung“ gewählt. In Baden-Württemberg kommen rechte Listen somit insgesamt auf 13 Betriebsratsmandate. Hinzu kommen vier weitere Mandate bei BMW Leipzig, zwei bei Porsche Leipzig und zwei bei Opel in Rüsselheim. Bundesweit stellen das „Zentrum Automobil“ und wesensverwandte Listen also 21 Betriebsräte in sieben Betrieben.[30] Angesichts der rund 180.000 Betriebsratsmandate, die bundesweit insgesamt existieren, macht das nicht viel her. Dennoch feierten die Rechten die Betriebsratswahl von 2018 als Durchbruch.

„Jeder Patriot kann endlich für Gerechtigkeit sorgen“

Unterstützt wurde der Wahlkampf des „Zentrums“ von der neurechten Initiative „Ein Prozent“ aus dem Umfeld des rechten Verlegers Götz Kubitschek und seines Antaios-Verlags. Wegen seiner ideologischen Ausrichtung wird „ein Prozent“ seit Juni 2020 vom Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall eingestuft und beobachtet. „Ein Prozent“ startete im Internet die Kampagne „Werde Betriebsrat!“ In den sozialen Netzwerken erreichen ihre Posts Zehntausende. „Den Unzufriedenen und Enttäuschten fehlte bislang eine wirkliche Alternative“, verkündete die Kampagne, doch damit sei jetzt Schluss, denn „die Kollegen von ‚Zentrum Automobil‘ bieten eine Gewerkschaft für alle Arbeiter“.[31]

Wie die Zusammenarbeit zwischen „Zentrum Automobil“ und „Ein Prozent“ in der Praxis aussieht, war 2018 auch in Görlitz zu beobachten: 7000 Menschen versammelten sich damals, um gegen die drohende Schließung der Werke von Siemens und Bombardier zu protestieren. Die größte Demonstration seit 1990 in Görlitz lockte auch Oliver Hilburger aus Untertürkheim an. Während kaum jemand vor Ort bemerkte, dass Hilburger und seine Begleiter auch auf der Demo waren, funktionierte die Vermarktung im Internet umso besser: „Ein Prozent“ machte aus dem unscheinbaren Auftritt eine Propagandashow im Internet.[32]Tatsächlich verhinderten damals nur massive Proteste der IG Metall mit Unterstützung der gesamten Bevölkerung eine Schließung der Werke. Hilburger und seine Anhänger taten nur so als ob.

Offiziell gebe es keine Berührungspunkte zwischen AfD und „Zentrum Automobil“, betont die Partei. Hilburger stört das wenig. Er unterhält gute Kontakte zum baden-württembergischen AfD-Bundestagsabgeordneten Dirk Spaniel, mit dem er gegen die „Klimalüge“ agitiert und gemeinsam bei einer Diesel-Demo in Stuttgart auftritt[33]. Er trifft auch schon einmal Pegida-Gründer Lutz Bachmann bei einer Demonstration oder den Flügel-AfD-Politiker Björn Höcke auf einer Veranstaltung.[34] Die „Jugendsünde“ bei „Noie Werte“ setzt sich auf anderer Ebene fort.

Hilburger agitiert gerne. Zehntausende Klicks erhielt ein Video, mit dem der „Zentrums“-Mann seine Art von Betriebsratsarbeit dokumentiert. Populistisch in Szene gesetzt prangert Hilburger in dem Video die Kündigungen zweier Kollegen bei Daimler-Untertürkheim als „Skandal“ und pure „Willkür“ an. Simon Kaupert, Mitglied der „Identitären Bewegung“ und Aktivist bei „Ein Prozent", hatte bereits auf einer rechten Konferenz 2017 versprochen: „Jeder Patriot, der wegen einer abweichenden Meinung seine Arbeitsstelle verloren hat, kann nun über einen Betriebsrat in seiner Firma endlich für Gerechtigkeit sorgen."[35] 

Einhalten konnten die Rechten dieses Versprechen nicht. 2018 wurden die beiden Daimler-Beschäftigten gefeuert, weil sie einen türkischstämmigen Kollegen und IG Metall-Vertrauensmann über Monate hinweg massiv rassistisch beleidigt hatten. Chat-Protokolle belegen, dass sie dem Kollegen islam- und fremdenfeindliche WhatsApp-Nachrichten schickten. Eine zeigt zum Beispiel eine offenbar muslimische Großfamilie, dazu die Zeile: „Viele Muslime nehmen sich eine Zweit- oder Drittfrau und wir Deutschen nehmen uns einen Zweit- oder Drittjob um deren Leben zu finanzieren.“[36] Arbeitsgerichte bestätigten die Rechtmäßigkeit der Kündigungen. Der Video-Protest gegen die Entlassungen veranlasste selbst Daimler-Vorstandschef Ola Källenius erstmals, sich deutlich gegen die rechten Betriebsräte in Untertürkheim zu positionieren. Er betonte in einer auf Deutsch und Englisch veröffentlichten Erklärung: „Daimler ist nicht nur ein Innovations- und Jobmotor, sondern auch ein Motor für Integration.“[37]

Der Sturz der freiheitlich demokratischen Grundordnung

Beobachtet werden das „Zentrum Automobil“ und sein Macher Hilburger sehr genau vom Verfassungsschutz. „Rechtsextremisten“, so schreibt der Verfassungsschutz (VS) Brandenburg 2018, „versuchen, als Betriebsräte Einfluss auf die Belegschaft und das direkte Arbeitsumfeld zu nehmen, um eine neue Machtbasis in den Unternehmen aufzubauen.“ Sein Fazit: „Durch Gewerkschaftsarbeit wollen die Verfassungsfeinde ihr Image als ‚Kümmerer‘ und ‚Sprachrohr der kleinen Leute‘ pflegen.“ Der brandenburgische Verfassungsschutz geht dabei auch auf das „Zentrum Automobil“ ein und beleuchtet die Kandidaten, die die Betriebsratsliste 2018 aufbot und „die unter anderem Mitglied der verbotenen neonationalsozialistischen Organisation ‚Wiking-Jugend‘ waren oder sich in der Skinhead-Truppe ‚Kreuzritter für Deutschland‘ engagierten“.[38]

Dass es „rechtsextremistischen Gewerkschaftern wie Hilburger“, nicht wirklich um die Verbesserung der Arbeitsbedingungen, um höhere Löhne oder die Stärkung von Arbeitnehmer*innenrechten geht, machte Hilburger laut VS bereits bei seinem Auftritt im November 2017 bei der „6. Compact-Konferenz" in Leipzig deutlich. In seiner dortigen Rede forderte er, sich die polnische Gewerkschaft Solidarność zum Vorbild zu nehmen: „Die Leute sind auf die Straße gegangen, die haben sich eingereiht, die haben ein System zu Fall gebracht – und deswegen müssen wir in den Betrieben aktiv werden." Damit, so der Brandenburger VS, werde „nichts Geringeres als der Sturz der freiheitlichen demokratischen Grundordnung … durch die rechtsextremistischen Gewerkschaften eingefordert“.[39]

Im Sommer 2019 äußerte sich auch der Präsident des Thüringer Verfassungsschutzes, Stephan Kramer, besorgt über die Aktivitäten des „Zentrums Automobil“. Er sagte dem Handelsblatt: „Bisher sind die bei Betriebsratswahlen errungenen Mandate zwar überschaubar, aber hier wird eine langfristige Strategie verfolgt, staatliche Institutionen und Räume konsequent zu unterwandern, was wir mit Sorge betrachten und auch darauf hinweisen.“[40]

Die IG Metall ist und bleibt stärker

Im Werk in Untertürkheim verschweigen die Macher des „Zentrums“ ihre rechtsextreme Gesinnung tunlichst. Die freigestellten rechten Betriebsräte grüßen mit Handschlag und geben sich als Kumpel. Sie spielen die Kümmerer um die kleinen Sorgen und Nöte im Betrieb. Rechte sind sie nur außerbetrieblich. „Die sagen nicht: Wir sind die AfD. Die sagen: Wir sind Opposition und sie nennen sich neue Gewerkschaft“, meint ein Beschäftigter des Daimler-Werks in Untertürkheim. „So sind sie im Betrieb unterwegs.“[41]

Die Betriebsräte des „Zentrums“ trügen gegenüber der IG Metall eine aggressive Haltung zur Schau, sagte der ehemalige Betriebsratsvorsitzende des Untertürkheimer Werks Wolfgang Niecke 2018 dem Deutschlandfunk. Und er ergänzte: „Was ich mit Sorge sehe, ist, dass wir einen Großteil an Kolleginnen und Kollegen haben, die die gewählt haben. Dort drückt sich auch ein Stück Angst vor Veränderung aus, vor dem, wie sich die Welt im Moment wandelt.“[42]

Hilburger versteht es, solche Ängste zu schüren. Er zeigte sich immer auf den Stuttgarter Pro-Diesel-Demos. Und in Videos auf der Website seines „Zentrums“ polemisiert er unter dem Titel „Dieselskandal und Ökowahn“, wie „der Krieg gegen das Auto Arbeitsplätze gefährdet“.[43]

Die Transformation der Wirtschaft wird sicherlich eine der großen Herausforderungen für die gesamte Automobilindustrie, nicht nur für Daimler. Hier lauten die wichtigsten Fragen jetzt: Wie läuft die Wirtschaft nach der Corona-Pandemie weiter? Wie bewältigt unsere Gesellschaft die Transformation der Antriebstechnologie vom Verbrennungsmotor hin zur Elektromobilität? Und wie schaffen wir es, alle mitzunehmen?

Die Kunst ist es dabei, den Menschen realistische persönliche Perspektiven anzubieten und ihnen ihre Ängste davor zu nehmen, dass sie bei dieser Transformation unter die Räder kommen. Nur so können die Gewerkschaften den rechten Betriebsratsgruppen langfristig den Wind aus den Segeln nehmen. Denn Gewerkschaften wie die IG Metall sind gut organisiert und machen die bessere Arbeit vor Ort. Sie sind authentisch und Ansprechpersonen für die einzelnen Beschäftigten und denken gleichzeitig an das große Ganze. In der Automobilindustrie haben sie dafür gesorgt, dass es eine Beschäftigungsgarantie für alle bis 2030 gibt. Das „Zentrum Automobil“ kann solche Erfolge lange nicht vorweisen.

 

[10] Tatsächlich wird mit dem Pflegelöhneverbesserungsgesetz die Möglichkeit geschaffen, bessere Tarifverträge in der Pflegebranche abzuschließen, die für allgemeinverbindlich erklärt und so für alle Pflegeeinrichtungen verbindlich werden. So werden die Arbeitsbedingungen in der Pflege endlich deutlich verbessert.

[11] http://uwewitt.com/?p=2725 (aufgerufen am 03.06.2020)

[12] Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode, Protokoll 101. Sitzung, S. 12177

[18] Wolfgang Schroeder, Bernhard Weßels, Christian Neusser und Alexander Berzel: Parlamentarische Praxis der AfD in deutschen Landesparlamenten, Discussion Paper SP V 2017-102, WZB, Berlin 2017, https://bibliothek.wzb.eu/pdf/2017/v17-102.pdf, S. 37-39 (aufgerufen am 03.06.2020)

[20] Gesetzesentwurf der AfD: Gesetz zur Aufhebung des Bildungszeitgesetzes Baden-Württemberg (Bildungszeitaufhebungsgesetz BzGAufhG), Drucksache 16/7045 vom 15.10.2019

[21] Gesetzesentwurf der AfD: Gesetz zur Aufhebung des Tariftreue- und Mindestlohngesetzes für öffentliche Aufträge in Baden-Württemberg, Drucksache 16/6726 vom 30.07.2019

[27] https://bit.ly/36dMLE5 (aufgerufen am 23.10.2020)