Dr. Nadine Frei | Warum so radikal?

Podcast

Folge #03 | Ein Spaziergang im Süden

Dr. Nadine Frei ist Soziologin und Dozentin an der Eidgenössischen Hochschule für Berufsbildung in Bern. Nach dem Studium der Soziologie in Bern arbeitete sie an den Universitäten Hildesheim und Halle. Ihre Forschungsschwerpunkte sind u.a. (kultur-) soziologische Theorien sowie Methoden qualitativer Sozialforschung.  Gemeinsam mit Prof. Dr. Oliver Nachtwey von der Universität Basel erarbeitete sie die Studie „Quellen des ‚Querdenkertums‘ in Baden-Württemberg“, die die Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg 2021 veröffentlicht hat.

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Wir sprachen mit Dr. Nadine Frei über die Gründe, warum Menschen in der „Querdenken“-Bewegung, die sich selbst normalerweise anderen Szenen zuordnen würden, sich nicht ausreichend nach rechts abgrenzen und die offenen rechtsextremen Tendenzen, die oftmals einhergehen mit aggressiven und gewalttätigem Verhalten, verharmlosen.

Zur Folge


Transkript

Sabine Demsar: Letztes Mal haben wir gehört, welche Menschen bei der Querdenken-Bewegung mitlaufen. Wir sprechen heute darüber, ob und wie rechtsextreme Tendenzen erkennbar werden. Die Bewegung hat sich seit ihrer Gründung radikalisiert. Es werden mittlerweile Argumentationsformen, Protestformen und politische Ziele von Rechtsextremisten verwendet. Auf den Demos liefen Menschen von der AfD über die Identitäre Bewegung und die NPD bis hin zu sogenannten Reichsbürger*innen mit. Kryptische Botschaften von QAnon, das ist eine Bewegung von Verschwörungstheoretiker*innen mit rechtsextremen Inhalten, wurden verbreitet. Menschen, die sich selbst normalerweise anderen Szenen zuordnen würden, grenzten sich immer wieder eben nicht ab von den Rechtsextremen und hielten keinen Mindestabstand. Wir versuchen heute, die Szene kurz zu schildern und fragen unsere Gästin nach den Gründen der mangelnden Abgrenzung.

Carmen Romano: Du hörst eine neue Folge von „Ein Spaziergang im Süden“, ein Podcast der Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg und der Petra-Kelly-Stiftung über die Querdenken-Bewegung in Süddeutschland, ihre Entwicklungen und was es für uns alle bedeutet.

Sabine Demsar: Heute sprechen wir mit Dr. Nadine Frei. Sie ist Soziologin und Dozentin an der EHB Bern. Sie studierte Soziologie in Bern und arbeitete dann an den Universitäten Hildesheim und Halle. Ihre Forschungsschwerpunkte sind unter anderem Kultursoziologische Theorien sowie Methoden qualitativer Sozialforschung. Gemeinsam mit Professor Dr. Oliver Nachtwey von der Universität Basel hat sie die Studie „Quellen des Querdenkertums in Baden-Württemberg“ erarbeitet, die die Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg 2021 veröffentlicht hat. Den Link dazu findest du wie immer in den Shownotes.

Carmen Romano: Ja, danke für die Einführung, Sabine und danke, Frau Dr. Frei, dass Sie sich für uns Zeit genommen haben. Fangen wir vielleicht mit den nicht so extremen Mitglieder*innen der Bewegung an. Gibt es wirklich keine Haltung nach rechts oder gibt es beispielsweise regionale Unterschiede dabei?

Nadine Frei: Also was wir so beobachtet haben, wenn man von der Querdenken-Bewegung in Deutschland spricht, wobei sich unsere Forschung vor allem auf Westdeutschland bezieht, wir werden ja auch an späterer Stelle glaube ich, auch noch über den Unterschied zu Ostdeutschland sprechen, weil sich das auch sehr anbietet. Auf jeden Fall gibt es auch in Westdeutschland schon seit Beginn mindestens eine Indifferenz gegen Rechts. Also schon mit den ersten Demonstrationen, damals noch in Berlin und dann aber auch in Stuttgart, schon da sind gewisse antisemitische Narrative zum Beispiel auf Schildern zu beobachten gewesen, auch da sind schon Personen der extremen Rechten anwesend gewesen, bei den größeren Demonstrationen. Da gab es jetzt nicht so eine klare Ablehnung oder Abgrenzung dazu. Und ich glaube auch gerade eben diese Indifferenz gegen Rechts ist schon mal ein sehr großer Erfolg für die extreme Rechte in Deutschland, die dann tatsächlich bei Demonstrationen auftauchen kann und da unbehelligt mitdemonstriert, mit den Leuten ins Gespräch kommt. Trotzdem, auch indiesen vielen Interviews oder Gesprächen, die wir geführt haben, gab es schon teilweise eine Abgrenzung, natürlich auch zurextremen Rechten. Also zum Beispiel viele Personen, die eher aus einem öko-liberalen Milieu kommen oder so eine eher linke Sozialisierung haben oder sagen, sie haben in der Vergangenheit die Grünen oder die Linken gewählt, die haben schon noch stärker auch ein Abgrenzungsbedürfnis zu den Rechten, zu den extremen Rechten. Was wir aber auch beobachten konnten, ist, dass es dann häufig aber auch zu einer gewissen Verharmlosung gekommen ist, dass sich diese Bewegung auch dadurch auszeichnet, dass sie sich als weder links noch rechts bezeichnen. Und sie haben häufig auch ein Verständnis von Meinungsfreiheit und Demonstrationsfreiheit, das eben beinhaltet, dass alle auf die Straße gehen dürfen und dass alles gesagt werden darf. Das ist natürlich dann schon so eine Nivellierung. Oder dass dann gesagt wird, „na ja, also ich sehe denen das ja nicht an, ob die zur extremen Rechten gehören“ oder dass behauptet wurde, „nein, es gab keine Nazis auf den Demonstrationen“ bzw. dann eben so eine Verharmlosung, „naja, es sind ja auch nur Menschen, die jetzt gegen die Maßnahmen sind“. Die Demonstrationen, die ich beobachtet habe, da waren immer, wenn auch teilweise nur vereinzelt, Personen der extremen Rechten auszumachen, aber dann wurde das häufig auch so ein bisschen umgedreht oder dass gesagt wird, „ja, die Medien, die sind eigentlich das Problem, weil sie reden dann eben nur über die extreme Rechte und nicht warum diese Proteste ja so legitim sind“. Oder was wir auch vorgefunden haben, war dann auch so eine verschwörungstheoretische Aufladung oder Wendung, also in einem Interview zum Beispiel ging es um eine Großdemonstration in Leipzig, wo mehrere hundert Personen der extremen Rechten anwesend waren, die dann auch gewaltsam die Polizeiketten durchbrochen haben und wo dann andere Demonstrant*innen auf den Leipziger Innenstadtring liefen, um diesen Widerstands-Mythos 1989 zu zelebrieren oder zu wiederholen, aus ihrer Perspektive. Und in diesem einen Interview zum Beispiel wurde erst gesagt, „wir laufen ja nicht mit den Nazis mit, sondern sie mit uns“. Also auch hier nochmal dieses Verständnis, was ist denn überhaupt Demonstrationsfreiheit? Und im weiteren Interviewverlauf hat die Person dann gesagt, „ja, also ich glaube, die gehören nicht zu uns, die wurden eingeschleust“, also, dass dann gesagt wurde, „ja, die kommen von der Polizei, das sind auch schon Provokateure, die gehören nicht zu uns“, weil das auch so sehr typisch ist für diese Bewegung, die sich ja dann doch irgendwie als so harmlos zeichnen möchten. Also es gab ja häufig auch diese Friedensrhetorik und es hat ja häufig auch so einen Festival-Charakter. 

Genau. Wir haben verschiedene Sachen in unserer Forschung beobachten können, also dass es manchmal schon auch so einenWunsch nach einer Abgrenzung gab, aber auf den Demonstrationen ist das so nicht passiert, bzw. gab es an vielen Orten, auch in Baden-Württemberg auf zwei Demonstrationen, die ich beobachtet habe, da waren dann Personen der extremen Rechten Ordner*innen. 

Carmen Romano: Also diejenigen, die dann quasi die Demo angemeldet haben oder die für die Sicherheit oder Ordnung zuständig waren?

Nadine Frei: Bei Demonstrationen braucht es ja Ordner*innen, die gehören teilweise gar nicht zum Organisationskomitee. Da gibt es dann häufig vor Ort einen Aufruf, „wir brauchen noch 15 Ordner*innen“, das hängt dann auch immer davon ab, wie viele Demonstrant*innen auf den Demonstrationen sind. Und wenn die Auflagen nicht eingehalten werden, sollten dann die Ordner*innen das den Demonstrant*innen sagen, die werden dann häufig von der Polizei angesprochen, „die Personen da halten sich nicht an die Auflagen, machen Sie was dagegen“, so in die Richtung geht das teilweise. Aber das sind jetzt ja auch nur exemplarisch zwei Demonstrationen gewesen, also ich kann das jetzt nicht flächendeckend sagen. Aber es gibt verschiedene Beispiele, auch für strukturelle Zusammenarbeit mit den Reichsbürger*innen, das ist ja nochmal ein anderes Thema. 

Carmen Romano: Krass. Also ich bin wirklich beeindruckt von dieser Verschwörungsargumentation, dass das den Zusammenhang komplett umgedreht hat. Meinen Sie, es gibt Gemeinsamkeiten zu der rechten Szene, dass sich die Bewegung von der rechten Seite quasi leicht manipulieren lässt? Oder gehört es einfach zu dieser Ideologie der absolutenMeinungsfreiheit, dass alles einfach gesagt werden darf? Und deswegen sind dabei alle im Endeffekt willkommen? 

Nadine Frei: Ja, ich würde vielleicht erstmal etwas zu dieser Mobilisierung oder Manipulation von Rechts sagen. Wir haben relativ früh in unserer Forschung von einer immanenten Radikalisierung gesprochen, also eine Radikalisierung, die nicht erst von rechts mobilisiert werden muss. Wir sehen ja die Querdenken-Bewegung in Westdeutschland vor allem auch als Mittelschichts-Protest, es sind sehr viele gut ausgebildete Personen auf diesen Protesten, es geht kaum um existenzielle Gründe, also was als Motiv ausgemacht wurde, war ja häufig ein libertäres Freiheitsverständnis. Und was wir dann aber früh schon beobachten konnten, ist eben diese immanente Radikalisierung. Also viele dieser Demonstrant*innen verstehen sich auch als Expert*innen, das ist ja so ein wichtiges Motiv in dieser Querdenken-Bewegung. Sie selber haben recherchiert, hinterfragen das kritisch, haben die Statistiken angeschaut und sind zum Schluss gekommen, da stimmt irgendwas nicht, da kann was nicht sein, diese Maßnahmen sind nicht legitim, die sind nicht verhältnismäßig. Also wirklich, in allen Interviews, die wir geführt haben, ist das, was sich komplett durchzieht, die Vorstellung, oder die Behauptung, dass Covid-19 kein gefährliches Virus sei, sondern wie eine Grippe zu behandeln sei.

Aus dieser autodidaktischen Expertise ziehen sie auch eine gewisse Berechtigung für ihr Tun. Also, was dann eben häufig auch verknüpft wird mit einem heroischen Widerstandskampf, haben wir das auch genannt, sie sehen sich als die wahren Retter*innnen von Demokratie und Freiheit, und das berechtigt sie schon auch zu sehr vielem aus ihrer Perspektive. Auch da liegt so ein Radikalisierungspotenzial. Andere Punkte, warum wir auch von einer immanenten Radikalisierung gesprochen haben, sind auch soziale Brüche, also einige der Befragten haben auch gesagt, im Freundeskreis oder bei der Arbeit gibt es Brüche, aber in dieser neuen Protestgemeinschaft fühlen sie sich total gut aufgehoben. Das hat dann auch noch mal ein Radikalisierungspotenzial. 

Ja, und was vielleicht noch ein weiteres Merkmal dieser Protestbewegung war, auch seit Beginn, ist eine hohe Affektivität auf den Demonstrationen selber. Das haben Sie vielleicht auch schon im Podcast besprochen, das ist ja auch so bei Telegram und mit den alternativen Medien, also dass auch da teilweise eine sehr drastische Sprache vorherrscht, aber das hat man auch bei den Demonstrationen immer wieder gemerkt. Eben nicht nur so eine Aggressivität, sondern auch eine destruktive Aggressivität, aber auch eine sehr hohe Affektivität, also, man hat irgendwie so gemerkt, da brodelt es irgendwie, aber häufig erinnerte es eben schon auch sehr an einen Festival-Charakter, die Leute waren ausgelassen und fröhlich, aber das konnte dann schon auch relativ schnell umschlagen. 

Also das sind jetzt ein paar Gründe, die ich genannt habe. Aber auch in diesem Verschwörungsdenken liegt nochmal so eine Radikalisierung, was dann häufig eben auch zu antisemitischen Narrativen führt oder diese Shoa-Vergleiche, dass sie sich wie Jüd*innen von damals fühlen und das berechtigt sie aus ihrer Perspektive zu einem noch radikaleren Widerstand. Deswegen ist diese auch teilweise Gewalt, die kam ja nicht nur von der extremen Rechten auf den Demonstrationen, sondern diese Gewalt hat sich auf Demonstrationen zum Beispiel eben häufig auch gegen Medien, Polizei, gegen Demonstrant*innen und dann teilweise wahrscheinlich auch im Alltag bemerkbar gemacht. Dieses Symbol der Maske war ja total wichtig, diese Ablehnung des Maske-Tragens. 

Also das war vielleicht eine längere Bemerkung dazu, dass ich vielleicht eher nicht sagen würde, dass die Bewegung manipuliert wurde von rechts, aber die Bewegung war dann auf jeden Fall auch relativ schnell attraktiv für die extreme Rechte, eben weil die extreme Rechte da unbehelligt auftauchen konnte. Diese symbolträchtigen Demonstrationen zum Beispiel am 1.und 29. August in Berlin. Und ich glaube, da gibt es dann verschiedene Narrative, die dann auch so eine Anschlussfähigkeit bieten. Das ist ja vielleicht auch der Punkt, dass es dieser Bewegung häufig darum geht, kritisch zu sein und das war dann häufig auch so inhaltsleer. Also Hauptsache man war kritisch und hat die Maßnahmen abgelehnt, in gewissen Punkten dann auch wie so ein Misstrauen gegen die Regierung, Misstrauen gegen Medien, Misstrauen gegen Wissenschaft, das war noch ein bisschen weniger ausgeprägt als gegen Politik und Medien. Auch eine gewisse manchmal eben schon Staatsfeindlichkeit, auch in diesem heroischen Widerstand und aus diesem Widerstandsmythos, der auch hier regional unterschiedlich bedient wurde. Das sind dann manchmal schon gute Anknüpfungspunkte für die extreme Rechte oder dann vielleicht eben auch gewisse Gemeinsamkeiten.

Sabine Demsar: Ja, vielleicht um noch ganz kurz auf die Studie einzugehen, Sie haben ja in Ihrer Studie vier verschiedene Milieus dargestellt, die als Quellen des Querdenkertums gelten können. Und der Rechtsextremismus spielt bei der Bewegung in Baden-Württemberg keine so große Rolle wie beispielsweise im Osten, da haben wir ja schon drüber gesprochen, dann wäre die erste Frage: in Bayern auch vielleicht? Sie haben da aber auch durchaus festgestellt, dass es eine Bewegung ist, die sich nach rechts bewegt, also die von links kommt und sich nach rechts bewegt. In Baden-Württemberg und Bayern gab es und gibt es verschiedene als rechtsextrem einzustufende Vorfälle, Hitlergrüße, rechtsextreme Parolen, Brandanschläge, Mordversuche und leider sehr viele weitere schlimme rechte Hasskriminalität, auch im Zusammenhang mit der Bewegung, die sich, wie wir schon gesagt haben, radikalisiert hat. Und so führt der Verfassungsschutz mittlerweile das Milieu der Verschwörungs-Ideologen als eigenständiges extremistisches Phänomen auf. Macht es politisch bzw. wissenschaftlich Sinn, diese Radikalisierung als solche zu analysieren?

Nadine Frei: Ich glaube, dass uns das Thema Verschwörungsdenken und dann konkreter vielleicht auch das Milieu der Verschwörungsideologen tatsächlich weiterhin stark beschäftigen wird. Also auch wenn es dann die Corona-Protestbewegung vielleicht nicht mehr geben wird oder sie dann wirklich verschwindet oder vielleicht kleinere oder andere Themen aufgreift und kleiner wird, das wissen wir ja nicht genau, wie das weiter verläuft. Verschwörungsdenken ist, würde ich sagen, ein Thema, das politisch und wissenschaftlich tatsächlich weiterhin eine große Rolle spielen wird. Also wenn ich es vorhin auch so gesagt habe, es gab viele Personen, die zum ersten Mal mit Verschwörungsdenken in Berührung gekommen sind, das Verschwörungsdenken ist ja auch kein neues Phänomen, und trotzdem gab es jetzt nochmal so eine andere Anschlussfähigkeit. Oder auch jetzt die Corona-Protestbewegung mit den Fragen, die sie auch am Anfang gestellt haben. Da haben sich ja wirklich zum Teil neue Allianzen gebildet, auch mit der extremen Rechten. Gleichzeitig ist es interessant, dass die Protestbewegung sich jetzt häufig als weder links noch rechts bezeichnet hat. Aber Sie haben ja schon gesagt, wir haben seit Beginn gesagt, dass das eine rechts-offene Bewegung ist. Jetzt ist es teilweise eher eine offen rechte Bewegung, könnte man vielleicht sagen. Ja, also ich finde es tatsächlich sehr sinnvoll, aus wissenschaftlicher Perspektive weiterhin am Thema dranzubleiben. Wie funktioniert das genau? Was sind die Alltagspraktiken? Was sind die sozialen Hintergründe? Wie kommt es zu diesem Verschwörungsdenken? Also Fragen, die viele beschäftigen, auch mit diesen sozialen Brüchen, was kann man dagegen tun? Das ist dann häufig auch eine politische oder auch eine bildungspolitische Frage. Also da kann man aus wissenschaftlicher Perspektive häufig diese Analysen liefern, aber was man dagegen tun kann, ist eine Frage, die wurde mir ganz viel gestellt, die finde ich tatsächlich sehr schwierig, gerade weil ich die Bewegung als sehr kritik-resistent wahrgenommen habe. Also sie haben die Hoheit über Kritik, sie sind die Kritischen und haben sich sehr stark gegen Kritik immunisiert. Und das ist auch so das Problem von Verschwörungsdenken. Da gibt es schon häufig eine starke Abgrenzung nach außen, wenn dann gewisse Gemeinschaften entstehen, also sei es jetzt eben diese Protestbewegung, oder es gibt ja auch verschiedene, sagen wir mal, in Anführungszeichen, sezessionistische Bestrebungen, oder zum Beispiel, das gab es ja teilweise auch, dass Schulen gegründet wurden, das sind ja schon starke Schließungsmechanismen, also so eine Abschottung auch zur Gesellschaft.

Aber das sind dann vielleicht eben einzelne Phänomene von Verschwörungsdenken. Aber so in der Breite finde ich schon, dass da gewisse Themen und auch Narrative in die Gesellschaft getragen wurden, was teilweise die extreme Rechte seit Jahrzehnten probiert und nicht schafft, und jetzt plötzlich wurde das möglich. 

Und weil Sie das auch schon gefragt haben, wie geht das weiter oder was wird bleiben? Da ist es dann schon auch teilweise besorgniserregend, mit den sogenannten alternativen Medien. Was heißt das dann auch? Diese Gegenüberstellung, das ist ganz wichtig, auch ein Verschwörungsdenken ist ja eine Dichotomie zwischen Gut und Böse. Also dass sich viele dann auf der Seite der Guten wähnen, sie sind irgendwie Eingeweihte, sie haben jetzt bezogen auf Corona durchschaut, dass es um etwas anderes geht. Es geht eben nicht um Corona, das ist gar nicht so gefährlich. Da ist irgendwas anderes im Gange. Das ist eben genau das, dass das weiterhin ein Thema ist, bei dem die Wissenschaft viel machen kann, diese Untersuchungen. Und auch politisch ist das dann auch wieder eine Frage, wie geht man damit um? Andere Dinge, die bleiben werden, sind auf jeden Fall auch Netzwerke, die dann vielleicht wieder bei einer anderen Thematik aktivierbar sind, also bei anderen Protesten.

Sabine Demsar: Das heißt, wir können bald eine weitere Studie von Ihnen erwarten? 

Nadine Frei: Wir sind noch dran, an dem Thema, auf jeden Fall.

Sabine Demsar: Sehr schön!

Nadine Frei: Gerade die Frage, warum im deutschsprachigen Raum? Das treibt uns auf jeden Fall immer noch sehr an.

Sabine Demsar: Auf jeden Fall sehr spannend. Bevor ich an dich übergebe, Carmen, ein ganz kleiner Einschub noch für alle, die sich für das Thema rassistische Angriffe interessieren, auch in Baden-Württemberg: „Leuchtlinie“, das ist die Fach- und Beratungsstelle der Türkischen Gemeinde hier in Baden-Württemberg für Betroffene von rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt, hat festgestellt, dass 2021 im Vergleich zum Vorjahr 25 % mehr rechtsextreme Vorfälle und 30 % mehr Gewalttaten registriert wurden. Wer sich da noch mal beschäftigen möchte und da Einblicke haben möchte, unter dem Hashtag #RassismusIstKeinEinzelfall werden rassistische Angriffe in Baden-Württemberg gesammelt und den Link, auch zur Leitlinie,findest du in den Shownotes.

Carmen Romano: Ja, danke. Das hilft mir schon, die nächste Frage zu stellen, denn es geht tatsächlich um Gewalttaten. In der letzten Folge haben wir ja mit Katharina Nocun am Ende gesagt, dass man sich nicht über Verschwörungstheorien lustig machen sollte, denn das führt auch häufig zu Gewalttaten. Ich wollte ursprünglich fragen, ob diese Gewalttaten nur auf den rechten Szene-Teil der Bewegung zurückzuführen sind. Aber sie haben ja schon beantwortet, dass diesesRadikalisierungspotenzial eher in der Mitte der Gesellschaft steht, dass auch Gewalttaten beispielsweise gegenüber Medien nicht unbedingt aus der rechten Szene kamen. Vielleicht auch eine Frage zu Ihrer Arbeit: wie schwierig war es denn, diese Interviews für die Studie zu bekommen? Gab es kein Misstrauen, auch der Wissenschaft gegenüber, Ihnen gegenüber? Wie war das? 

Nadine Frei: Wir haben schon festgestellt, dass es eben so ein geteiltes Narrativ gibt. Ich habe das schon kurz umrissen mit dieser Kritik an Medien, Politik und Wissenschaft. Aber diese Kritik gegenüber der Wissenschaft ist weitaus weniger ausgeprägt, weil ja häufig auch so einem gewissen pseudowissenschaftlichen Duktus gefolgt wird, also die Kritik zum Beispiel gegenüber Politik und Medien. Das haben wir auch bei unserer Arbeit gemerkt, würde ich sagen. Wir haben ja auch eine Befragung in Telegram-Gruppen gemacht, da wurden wir, als wir die lanciert haben, zum Teil sehr schnell aus den Gruppen geworfen. Das waren aber teilweise auch Bots, die uns rausgeworfen haben. Es wurde dann auch explizit vor der Studie gewarnt, da soll man nicht teilnehmen, wir seien ja eh auch nur gekauft, oder es wurde dann auch gesagt „ah, jetzt können wir uns endlich auch mal zu Wort melden“. Ich habe eher die Erfahrung gemacht, dass auf den Demonstrationen, auf denen ich war und in den Interviews dann sowieso auch, dass die Personen sehr offen waren, darüber zu sprechen und ein hohes Redebedürfnis hatten. Auf den Demonstrationen hat dann häufiger die Tatsache, dass wir als Wissenschaftler*innen eine FFP2-Maske getragen haben, teilweise erstmal zu einer Abwehr geführt. Als wir dann aber erzählt haben, was unsere Forschung ist, wofür wir uns interessieren, haben praktisch alle mit uns gesprochen. Es gab dann auch schon mal so was wie „ja, die Uni Basel, da ist ja die Pharma, das kann ja nicht sein“, aber das war sehr selten. Und tatsächlich haben wir auch sehr viele Emails gekriegt von Personen, die über mediale Berichterstattungen über unsere Studien auf uns aufmerksam wurden und gesagt haben, sie möchten gerne mit uns ein Interview führen. Also es ist nicht nur so, dass wir Interviewpartner*innen gesucht haben, sondern viele haben sich angeboten, da gab es schon nicht so eine große Abneigung oder im Gegenteil, ebenso ein sehr großes Redebedürfnis, also so wie es unsere eigene Arbeit war auf den Demonstrationen, da war ich auch zum Teil mit Student*innen und da war es immer ganz klar und da haben wir auch immer am Anfang ein Sicherheits-Briefing gemacht, wenn man Personen der extremen Rechten zuordnen kann, soll man nicht mit ihnen sprechen. Da war natürlich das Sicherheitsbedürfnis viel größer oder wichtiger, als dass wir mit allen auf den Demonstrationen ins Gespräch kommen. Das einzige Mal, wo es für mich heikel geworden ist, war bei einer Demonstration in Bern. Aber da war ich nicht als Wissenschaftlerin ersichtlich. Da stand ich schlicht und einfach am Rand mit einer Maske und wurde mehrfach fast körperlich angegriffen. Das vielleicht auch nochmal zuIhrer Frage, die Sie ursprünglich stellen wollten. Also diese Aggressivität, die ich zum Teil beobachtet habe oder in dem Fall selber gespürt habe, das kam so von ganz unterschiedlichen Leuten, teilweise auch von älteren, also auf gar keinen Fall irgendwie nur die extreme Rechte, die sich daran beteiligt hat oder von denen das ausgegangen ist. 

Carmen Romano: Ja klar. Also ursprünglich, als ich diese Frage im Kopf formuliert habe, habe ich sofort an dieses krasse Beispiel gedacht, von dem Mann, der im September letzten Jahres einen Tankwart erschossen hatte, nur weil er ihn aufgefordert hatte, eine Maske zu tragen. Und dieses Beispiel hat mich schon extrem beeindruckt. Nicht nur, weil ich bis vor kurzem dachte, dass solche Fälle nur eine Sache von beispielsweise den USA wären, dass in Europa so etwas nie passieren würde, weil man eine gewisse Kontrolle, auch über Waffen, hat und so weiter, sondern das war für mich so der Knackpunkt, wo diese Spaltung der Gesellschaft angefangen hat, mir ein bisschen Sorge oder fast Angst zu machen. Vielleicht als Rückfrage dazu: Wie schätzen Sie das ein, gibt es das Potenzial, jetzt da die Pandemie langsam, ich würde nicht sagen, unter Kontrolle, aber besser geregelt wird, dass dieses Gewaltpotenzial sich umwandelt, dass es weniger wird oder bleiben diese Aspekte noch mit uns? Begleitet uns das noch?

Nadine Frei: Ja, das ist schwer zu beantworten. Auch die Frage, weil sie so viele Aspekte umfasst, was überhaupt noch bleiben wird. Wird die Protestbewegung bleiben? Die Reaktionen haben auch nur teilweise mit den Maßnahmen an sich zu tun gehabt. Also es war ja dann so, nicht einzelne Maßnahmen wurden abgelehnt, sondern alle Maßnahmen, weil eben behauptet wurde, es gäbe gar kein keine Pandemie. Ich würde vielleicht noch ergänzen zu dieser Radikalisierung oder was vielleicht Unterschiede zu anderen Protesten sind, ist ja, dass diese Radikalisierung oder teilweise ein Gewaltpotenzial nicht nur auf den Demonstrationen latent oder manifest vorhanden war, sondern eben auch im Alltag. Das ist nicht nur „ich gehe auf eine Demonstration, weil ich das ablehne, sondern ich trage auch keine Maske“ oder „ich hole mir ein Attest“ oder „ich nehme mein Kind aus der Schule“ oder „ich gehe auf der Schule demonstrieren, wo mein Kind ist“, also dass es so viel facettenreicher war und dass es dann eben auch viel mehr Leute betroffen hat. Das ist ja auch so der Punkt gewesen von diesen Maßnahmen, dass es eben nicht nur darum geht, dass man sich selber schützt und andere schützt. Und das haben schon auch viele abgelehnt, dass sie teilweise explizit gesagt haben „mich muss niemand schützen, aber im Umkehrschluss schütze ich auch niemanden“. Und ich glaube schon, dass es da dann eben so im Alltag, mit der Maske, schon auch zu sehr aggressiven Situationen gekommen ist. Darüber weiß ich jetzt zu wenig, aber ich sage mal, ich hätte nicht als Zugbegleiterin arbeiten wollen, ich kann mir schon vorstellen, dass da sehr unschöne Situationen entstanden sind. Genau, und die Sachen fallen ja irgendwann mit den Maßnahmen auch weg. Also das wissen wir ja nicht, ob oder wie jetzt nochmal Einschränkungen kommen im Winter, Herbst, da wird es jetzt nicht nochmal zu solchen Situationen kommen. Aber vielleicht sind es dann eben andere Bereiche, in denen man hört „nee, mir hat niemand was zu sagen“.

Sabine Demsar: Ja, sozusagen eine alltagstaugliche Bewegung, dass die in den Alltag auch eingegriffen hat. 

Nadine Frei: Und die vor allem im Alltag andere auch gefährdet hat, ja. 

Sabine Demsar: Ja, wir sind am Schluss der Folge. Ganz lieben Dank, Nadine Frei, für Ihre Zeit und die wirklich spannenden Einblicke. Wir haben heute darüber gesprochen, welche Gründe es gibt, dass Menschen sich in der Querdenken-Bewegung,nicht deutlich genug nach rechts abgegrenzt haben. Hier gibt es eine gewisse Indifferenz. Es gab Verharmlosungen nach rechts. Es wurde gesagt, dass nicht die Menschen in der Bewegung mit Nazis laufen, sondern die Nazis mit der Bewegung laufen. Nadine Frei hat auch von einer immanenten Radikalisierung gesprochen, was bedeutet, dass von rechts gar nicht so stark mobilisiert werden musste, weil es doch innerhalb der Bewegung durchaus auch schon vorhanden war. Und was mir noch im Kopf geblieben ist, weil wir es auch schon in einer anderen Folge hatten, ist eben dieser heroische Widerstand, der deutlich zu spüren war in der Bewegung und der offensichtlich auch den Weg in den Alltag gefunden hat und gar nicht nur auf Demonstrationen stattgefunden hat. Ganz herzlichen Dank, auch dir, Carmen.

Carmen Romano: Ja, das war es für diese Folge. Danke Sabine, dass du die Kernaussagen der Folge zusammengefasst hast. In der nächsten sprechen wir mit Dr. Dietrich Krauß über das esoterisch-anthroposophische Milieu in der Querdenken-Bewegung. 

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Sabine Demsar: Sabine Demsar…

Carmen Romano: und Carmen Romano und sagen Tschüss und bis zum nächsten Mal!


Shownotes

„Ein Spaziergang im Süden“. Ein Podcast der Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg und der Petra-Kelly-Stiftung

Quellen des „Querdenkertums“. Eine politische Soziologie der Corona-Proteste in Baden-Württemberg 

Antidemokratische Vorfälle und Ereignisse in Baden-Württemberg