Am 26. September ist Weltverhütungstag. Noch immer tragen vor allem Frauen/Personen mit Uterus die Verantwortung für Verhütung, während Männer nur eingeschränkt zwischen Verhütungsmethoden wählen können. Franka Frei erklärt, warum gerechte Verhütung zentral für Geschlechtergerechtigkeit ist – und weshalb Politik und Markt neue Methoden blockieren.

Laura Vorsatz: Franka Frei, Du bist Autorin und beschäftigst Dich intensiv mit reproduktiver Gesundheit. Was hat Dich speziell zum Thema Verhütung gebracht?
Franka Frei: Ich werde das oft gefragt, vor allem von heterosexuell aktiven Männern (zumindest lese ich sie so) Ich frage gern zurück: Wie kommt man denn nicht auf das Thema Verhütung? Für mich war schnell klar: Als heterosexuell aktive Frau wird mich das Thema Verhütung viele Jahre begleiten. Spätestens mit meinem ersten Partner spielte es eine wichtige Rolle und bis zu den Wechseljahren werde ich mich immer wieder damit auseinandersetzen müssen. Die Verantwortung für Verhütung wird bei mir liegen. Verhütung ist nicht nur ein Privileg, um das viele Jahrhunderte gekämpft wurde, sondern es geht auch einher mit Unannehmlichkeiten. Verhütung bedeutet immer auch zeitliche, finanzielle und gesundheitliche Einbußen. Gleichzeitig wurde mir schon früh bewusst: Verhütung wird oft als reine Privatsache behandelt. Aber in Wahrheit ist es ein politisches Thema, eng verknüpft mit Gleichberechtigung, sozialer Teilhabe und Menschenrechten. Hinzu kommen meine persönlichen Erfahrungen: Nach vielen Jahren mit der Pille landete ich mit der Spirale in der Notaufnahme. Mein Partner, der sehr einfühlsam war, konnte nichts tun, außer mir die Hand halten. Spätestens dann habe ich beschlossen, mich intensiver damit zu beschäftigen.
Laura Vorsatz: Du sprichst von einer politischen Dimension der Verhütung. Was meinst Du damit?
Franka Frei: Verhütung ist nicht einfach nur eine individuelle Entscheidung. Sie ist gesellschaftlich organisiert und historisch gewachsen. Wir leben in einer Gesellschaft, die Verhütung zur Frauensache gemacht hat. Ja, die Anti-Baby-Pille war in den 1960er-Jahren eine Errungenschaft, ein Mittel zur Selbstbestimmung. Gleichzeitig hat sich damit die Verantwortung für Verhütung stark auf Frauen verlagert. Die Gesellschaft hat sich weiterentwickelt, aber immer noch ist der Verhütungsmarkt sehr einseitig verteilt. Dieses Ungleichgewicht wird der Markt von allein nicht ändern. Gerechte Verhütung bedarf politischer Antworten.
Denn wir dürfen nicht vergessen: Verhütung ist Arbeit. Pille und Co. bringen meist sowohl finanzielle, als auch gesundheitliche, zeitliche und mentale Belastungen mit sich. Also beispielsweise die ständige Auseinandersetzung mit Terminen, Rezepten, Beratung und Nebenwirkungen. Und klar: Wenn Männer diese Lasten nicht tragen wollen oder können, bleiben sie automatisch an Frauen hängen. Für mehr Gleichberechtigung braucht es also die Reflexion von Verhütungsprivilegien – dass man beispielsweise noch nie Nebenwirkungen der Pille auf sich nehmen musste – und die Bereitschaft, diese abzugeben. Von gleichberechtigter Verhütung können heterosexuelle, cis-Männer aber auch profitieren. Neben mehr Selbstbestimmung und Kontrolle, zeigen Studien, dass gerechte Verhütung zu einem besseren Sexualleben führt und Beziehungen sich verbessern können.
Laura Vorsatz: Das klingt nach einem erheblichen Ungleichgewicht.
Franka Frei: Ja, absolut. Im Vergleich zu Männern können Frauen zwischen zahlreichen Methoden wählen, von der Pille über Hormonpflaster bis hin zur Kupferspirale. Aber alle diese Mittel sind eben auf Körper mit Uterus zugeschnitten. Dennoch heißt die Vielfalt nicht, dass es immer die passende Lösung gibt. Viele kämpfen jahrelang mit Nebenwirkungen oder finden gar keine Methode, die wirklich zu ihnen passt. Bisher haben Menschen, die Spermien produzieren nur die schmale Auswahl zwischen Kondom und Vasektomie. Kondome sind zwar wichtig und können auch gut funktionieren, aber sie haben eine hohe Fehlerquote, sind bekannt dafür, dass sie im entscheidenden Moment fehlen, reißen oder abflutschen. Und eine Vasektomie, also dem Verschließen der Samenleiter, was verhindert, dass Spermien in die Samenflüssigkeit gelangen, wird in Deutschland meist nur dann durchgeführt, wenn die Familienplanung abgeschlossen ist. Für viele ist eine Vasektomie keine realistische Option. Aber zahlreiche Studien und Umfragen zeigen, dass besonders Männer jüngerer Generationen mehr Verhütungsverantwortung übernehmen wollen. In diesem Sinne wären mehr Verhütungsmöglichkeiten förderlich, um mehr Wahlfreiheit zu schaffen. Alle Menschen haben gemäß der Vereinten Nationen das Recht, selbstbestimmt über Verhütung zu entscheiden und Sexualität frei auszuleben. Also auch Männer.
Laura Vorsatz: Welche Rolle spielt die Anti-Baby-Pille dabei, dass Verhütung bis heute vor allem Frauensache ist?
Franka Frei: Wenn wir uns die Geschichte der Pille ansehen, wird klar, dass sie unter Bedingungen zugelassen wurde, die heute undenkbar sind. Getestet wurde in den 1950er Jahren an etwa 100 Frauen unter Methoden, die mit heutigen Menschenrechten nicht vereinbar wären. Viele der Frauen wussten nicht einmal, dass sie Teil eines Experiments waren, und ihre Nebenwirkungen wurden nicht ernst genommen.
Die offiziellen Studien fanden in Puerto Rico statt, eben weil dort rechtliche Rahmenbedingungen umgangen werden konnten, die in den USA oder Europa schon damals gegolten hätten. Die Pille von damals würde nach heutigen Standards niemals zugelassen werden. Zu Recht, wir sind heute viel strenger, und das ist gut so.
Aber dieses Ungleichgewicht hat damit seinen Anfang genommen: Verhütung wurde immer mehr zur Frauensache erklärt, gesellschaftlich wie auch medizinisch in die Richtung weiterentwickelt. Damit ist die Pille auch zu einem wachsenden Geschäft geworden.
Laura Vorsatz: Gibt es dennoch vielversprechende Ansätze für männliche Verhütung?
Franka Frei: Ja! Die Forschung zu männlicher Verhütung ist überraschend breit. Mehr als 100 Ansätze sind bekannt, die zu einer neuen, reversiblen Verhütungsmethode “für den Mann” führen könnten – und damit ist längst nicht nur eine klassische Pille gemeint. Auf einem internationalen Kongress in Paris für männliche Verhütung habe ich erlebt, wie Wissenschaftler*innen aus aller Welt vielversprechende Ansätze vorgestellt haben. Von Pillen bis hin zu Spritzen, viele davon wurden seit den 1970er-Jahren bereits am Menschen getestet. Es gibt auch nicht-hormonelle Ansätze, zum Beispiel reversible Vasektomien, bei denen die Samenleiter nur vorübergehend verschlossen werden. Obwohl es viel Potenzial gibt, fehlt es an finanziellen Mitteln, um diese Verhütungsmethoden für den Mann auf den Markt zu bringen.
Aber es gibt eine Bewegung, die sich ktiv dagegen wehrt. Zunehmend Männer nutzen einen Ring aus Silikon für die Hoden, der allein mit Körperwärme zur Verhütung dienen soll. Der Ring drückt die Hoden in den Leistenkanal, wodurch sich die Temperatur der Hoden um ein bis zwei Grad erhöht. Untersuchungen zeigen, dass die Spermienproduktion dadurch tatsächlich sinkt und sich nach dem Absetzen wieder normalisiert. Aufgrund der fehlenden Gelder für größere Studien ist dieser Ring aber nicht auf dem Markt zugelassen. Aktuelle Umfragen zeigen, dass die Nutzer nicht nur selbst sehr zufrieden mit den Wärmeringen sind, sondern sich ihr Sexualleben deutlich verbessert hat. Es scheint eine aphrodisierende Wirkung zu haben, wenn es in hetero-Beziehungen zu mehr Verhütungsgerechtigkeit kommt.
Laura Vorsatz: Kannst du konkreter darauf eingehen, warum es trotz jahrzehntelanger Forschung keine neuen Methoden für Männer auf den Markt geschafft haben?
Franka Frei: Die Gründe sind ein Zusammenspiel zwischen wirtschaftlichen, politischen und gesellschaftlichen Faktoren.
Ein Grund liegt in der unterschiedlichen Abwägung für Nebenwirkungen. Studien an hormonellen Verhütungsmitteln für Männer wurden aufgrund von Nebenwirkungen abgebrochen, die vielen Frauen sehr vertraut sind, also Stimmungsschwankungen, Akne, Gewichtszunahme oder Veränderungen der Libido. Hintergrund ist, dass bei Menschen, die schwanger werden können, eine ungewollte Schwangerschaft als Risiko gegengerechnet wird. Als wäre eine Schwangerschaft eine Krankheit, die jederzeit ausbrechen könnte und gegen die Pille und Co. präventiv wirken. Bei Männern hingegen heißt es, die haben ja gesundheitlich nichts zu befürchten. Warum sollte man ihnen Nebenwirkungen zumuten?
Ein weiterer Punkt liegt in der wirtschaftlichen Struktur hinter dem Verhütungsmarkt : Große Pharmaunternehmen haben sich schon vor fast 15 Jahren komplett aus der Forschung zur männlichen Verhütung zurückgezogen, weil sie sich damit kein großes Geschäft errechnen. Der globale Verhütungsmarkt ist knapp 30 Milliarden Dollar schwer und soll sich in den nächsten fünf bis zehn Jahren nochmal verdoppeln. Die klassische Pille ist ein Milliardengeschäft. Warum daran etwas ändern? Mit teuren Studien, deren Ausgang ungewiss ist? Für die Privatwirtschaft bestehen nicht genügend Anreize, um in die Verhütungsforschung bei Männern zu investieren. Und von Seiten der Politik ist das Geld viel zu gering.
Laura Vorsatz: Du hast auch internationale Vergleiche durchgeführt. Gibt es Länder, in denen Verhütung nicht dem Markt überlassen wird, sondern staatlich geregelt ist? Wie steht Deutschland im internationalen Vergleich dar?
Franka Frei: In Deutschland müssen Menschen ab dem 22. Lebensjahr Verhütung selbst bezahlen, im Schnitt etwa 3.600 Euro im Laufe des Lebens. In Frankreich wird Verhütung bis zum 26. Lebensjahr zurückerstattet und Luxemburg hat 2023 alle Methoden kostenlos zugänglich gemacht. Auch in Ländern wie Brasilien, Südafrika, Indien oder Thailand ist Verhütung weitgehend kostenlos verfügbar. Das zeigt: Es geht anders. Und es lohnt sich auch wirtschaftlich. Studien belegen, dass jeder Euro, der in Verhütung investiert wird, die drei- bis vierfachen Kosten im Gesundheitssystem einspart, beispielsweise durch die Vermeidung ungewollter Schwangerschaften.
Seit der Weltbevölkerungskonferenz der Vereinten Nationen 1994 steht fest, dass jede Person das Recht hat, selbstbestimmt zu entscheiden, welches Mittel er oder sie zur Verhütung nutzt. Dazu gehört auch die Entscheidung darüber, wann, wie und ob er oder sie Kinder möchte und das Recht, sich über Verhütung informieren zu können. Auf globaler Ebene sind wir noch weit von gerechten Zugängen zu Verhütung entfernt. Aber auch in Deutschland ist selbstbestimmte Verhütung nach wie vor eine Frage von Geschlecht und finanziellen Ressourcen. Ungefähr die Hälfte der Frauen, die aktuell verhüten, würden ihr Verhütungsverhalten ändern, wenn es keine Kostenfrage wäre.
Laura Vorsatz: Und wie steht es um Beratung und Aufklärung in Deutschland?
Franka Frei: Auch da gibt es Wissens- und Bildungslücken. Vielen ist nicht bewusst, wie ihre Verhütungsmethode eigentlich funktioniert. Ich selbst dachte lange, die Pille gaukele meinem Körper eine Schwangerschaft vor. Tatsächlich blockiert sie aber den Eisprung und hebelt den natürlichen Zyklus aus. Das habe ich erst viel später verstanden.
Außerdem fehlen Beratungsstrukturen, um Verhütung geschlechterübergreifend zu verteilen. Ich bin mit 14 zum ersten Mal zu meiner Gynäkologin gegangen und seitdem dort Dauergast. Ohne vergleichbare Anlaufstellen für Männer ist es schwer, entsprechende Methoden zu etablieren.
Mittlerweile ist das Internet oder Social Media für viele die Hauptquelle für Informationen über Verhütung geworden. Aber dort kursieren auch viele falsche Informationen. Wichtig ist, sich ein differenziertes Bild zu verschaffen. Denn obwohl die Pille, wie jedes andere Verhütungsmittel, Nebenwirkungen haben kann, kann sie eben für viele gut funktionieren. Deshalb empfehle ich Anlaufstellen wie Pro Familia, die verlässliche Informationen und Beratungsangebote bieten.
Laura Vorsatz: Wenn Du drei Wünsche an die Politik in Bezug auf Verhütung frei hättest, welche wären das?
Franka Frei: Zunächst wäre es gewinnbringend, wenn Verhütung überhaupt mal als politisches Thema ernst genommen würde. Damit die Frage nach der passenden Verhütungsmethode nicht mehr vom Einkommen abhängig ist, wäre eine Kostenübernahme durch die Krankenkassen förderlich. Und um den Verhütungsmarkt zu erweitern und auch für Männer mehr Optionen zu schaffen, braucht es schließlich mehr Gelder für Forschung und Aufklärung. Aber auf individueller Ebene können sich Männer bereits jetzt mehr einbringen, indem sie sich weiterbilden, der Sexualpartner*in zuzuhören und aktiv nachfragen, wo sie unterstützen können, gerade wenn sie bislang keine Verhütungsverantwortung getragen haben.
Es ist anzunehmen, dass am Ende davon alle profitieren würden: Frauen, Männer, Beziehungen und auch die Gesellschaft als Ganzes.
Dieser Artikel erschien zuerst hier: www.gwi-boell.de