Interview zur Studie Rechtspopulismus, Verschwörungs-Erzählungen, Demokratiezufriedenheit und Institutionenvertrauen

Interview

Sabine Demsar, Heinrich Böll Stiftung Baden-Württemberg, befragte Prof. Dr. Frank Brettschneider zur Studie und zu seinen Einschätzungen zur Entwicklung von Rechtspopulismus, Verschwörungserzählungen, Demokratiezufriedenheit und Vertrauen in politische Institutionen in Deutschland und speziell in Baden-Württemberg. Die Fragen wurden schriftlich beantwortet.

 

Bild von Prof. Frank Brettschneider

Seit April 2006 hat Prof. Dr. Frank Brettschneider den Lehrstuhl für Kommunikationswissenschaft an der Universität Hohenheim inne, wobei sein Schwerpunkt auf der Kommunikationstheorie liegt. Er widmet sich einer Reihe von Forschungsthemen, darunter die Kommunikation in Bezug auf Bau- und Infrastrukturprojekte, die Forschung zur Verständlichkeit von Texten, politische Kommunikation mit einem Fokus auf Wahlprozesse sowie das Management von Kommunikationsstrategien.

Aktuelle Forschungsarbeiten von ihm befassen sich vor allem mit der Kommunikation und der öffentlichen Meinung im Kontext von Bau- und Infrastrukturprojekten. Zusätzlich dazu steht er dem VDI-Richtlinienausschuss 7001 vor, der sich mit den Standards der Kommunikation und der Öffentlichkeitsbeteiligung in Ingenieurprojekten beschäftigt. Ein weiteres Forschungsprojekt unter seiner Leitung analysiert die Verständlichkeit der öffentlichen Reden, die von den CEOs der DAX-40-Unternehmen gehalten werden.

Im Sinne der gesellschaftlichen Verantwortung und Anwendung seiner Forschung ist er unter anderem Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat für Zivilgesellschaft und Bürgerbeteiligung der Landesregierung Baden-Württemberg. Ebenfalls ist er im Wissenschaftlichen Arbeitskreis für Regulierungsfragen der Bundesnetzagentur tätig. Sein Ansatz legt einen besonderen Fokus auf die Schnittstelle zwischen wissenschaftlicher Theorie und praktischer Anwendung.

Ein Mikrofon mit dem Logo der Heinrich Böll Stiftung BW

Sabine Demsar: Welche Faktoren begünstigen die Zustimmung zu rechtspopulistischem Gedankengut und Theorien über Verschwörungen in Deutschland?

Prof. Dr. Frank Brettschneider: Das ist ein ganzes Bündel von Faktoren. Zum einen sind Krisen immer ein Nährboden für Verschwörungsmythen – die Banken- und Euro-Krise, die Flüchtlings-Krise, die Corona-Krise. Dann wird erzählt, dass nichts so sei, wie es scheint. Nichts davon passiere zufällig, alles sei von „geheimen Mächten“ im Hintergrund geplant. Alles hänge auf unvermutete Art und Weise zusammen. Die Mehrheit der Bevölkerung, die „Schlafschafe“, wären nur zu dumm, das zu erkennen. Aber die „Erleuchteten“ haben den Durchblick… Zum anderen begünstigen die Unsicherheiten, die mit den zahlreichen Transformationen von Wirtschaft und Gesellschaft einhergehen, populistisches Gedankengut, die Suche nach einfachen „Lösungen“. Wenn sich dann noch eine massive Unzufriedenheit mit der aktuellen Politik und ihren Akteuren dazugesellt, verfestigen sich bestimmte Einstellungsmuster. Dabei besteht das rechtspopulistische Narrativ meist aus wiederkehrenden Erzähl-Elementen: Demnach gibt es einen einheitlichen „Volkswillen“. Dieser Wille des Volkes werde unterdrückt. Von inneren Mächten – den politischen Eliten, den klassischen Massenmedien und teilweise auch von der  Wissenschaft. Und von äußeren Mächten – der EU, der Globalisierung, dem Islam… Um es klar zu sagen: Die meiste Kritik an politischen Akteuren, an einzelnen politischen Entscheidungen oder am Stil der Bundesregierung ist nicht populistisch. Wenn sie aber eingebettet wird in Demokratie-, Parteien- und Medien-verachtende Erzählungen, und wenn das mit vermeintlich einfachen „Lösungen“ verbunden wird, dann haben wir es mit Populismus zu tun.

Sabine Demsar: Wie bewerten Sie die Entwicklung der Zustimmung zu rechtspopulistischen Einstellungen und Verschwörungserzählungen in den letzten Jahren?

Prof. Dr. Frank Brettschneider: Verschwörungserzählungen kamen lange Zeit nur am Rand der Gesellschaft vor – und wurden eher belächelt. Auch heute sind sie noch deutlich in der Minderheit, aber sie sind sichtbarer als früher. Dabei spielen Social Media-Plattformen eine zentrale Rolle. Auch rechtspopulistische Einstellungen und Parteien, die sie artikuliert haben, gab es schon immer. Sie werden allerdings durch die anhaltende Unzufriedenheit mit der Bundesregierung und mit der natürlichen Opposition, also der CDU/CSU, befeuert. Wenn Politik vermeintlich nicht mehr „funktioniert“, wenn sie keine Probleme löst, wenn sie aus Sicht eines erheblichen Teils der Gesellschaft diese Probleme noch nicht einmal zur Kenntnis nimmt, dann wird es Rechtspopulisten relativ leicht gemacht.

Sabine Demsar: Welche Auswirkungen haben solche Einstellungen auf die demokratische Struktur in Deutschland?

Prof. Dr. Frank Brettschneider: Auf die demokratische Struktur, also das Institutionengefüge und die demokratischen Spielregeln, wirken sich diese Einstellungen derzeit noch nicht aus – zumindest nicht in Deutschland. Aber in anderen europäischen Ländern und auch in den USA sind solche Auswirkungen spürbar. Dann wird versucht, die Medien zu kontrollieren. Es wird versucht, zentrale Positionen der Judikative zu besetzen sowie Minderheiten- und Oppositionsrechte abzubauen. Das alles beginnt mit einem Verächtlich-Machen demokratischer Institutionen, ihrer Akteure und ihrer Spielregeln.

Sabine Demsar: Welchen Einfluss haben
- Medien,
- Bildungsstätten,
- politische Gruppierungen,
- Zivilgesellschaft und deren Einrichtungen
auf die Befürwortung und Verbreitung von rechtspopulistischem Gedankengut und Verschwörungstheorien?

Prof. Dr. Frank Brettschneider: Wir alle haben Einfluss auf die Entwicklung gesellschaftlicher Debatten. In den klassischen Massenmedien findet sich – aus meiner Sicht zu oft – eine Verengung der Berichterstattung auf Negativismus und auf Macht-Diskussionen in der Politik: Wer liegt vorne, wer hat von einem Konflikt profitiert, wer hat gegen wen welche Taktik verwendet? Erklärende Hintergrundberichterstattung kommt da zuweilen zu kurz. Genauso wie Constructive News, also das Benennen von Problemen inklusive der Recherche zu Lösungsansätzen. Allerdings gibt es hier Bewegung. SWR Aktuell beispielsweise macht das sehr gut… Problematisch ist jedoch, dass einige Menschen am rechtspopulistischen Rand die klassischen Massenmedien gar nicht mehr wahrnehmen, sondern stattdessen in ihre eigene Kommunikationswelt der Sozialen Netzwerke abtauchen. Dort sind nicht selten Hass und Fake News zuhause… Ein anderer Punkt, die Bildung. Bildung befähigt Menschen, differenziert mit Sachverhalten umzugehen, Wahrheit von Lüge zu unterscheiden und auch unsichere Situationen zu meistern. Die Bedeutung von Bildung kann gar nicht hoch genug eingeschätzt werden. Hier wären gesellschaftlich größere Anstrengungen nötig… Und auch politische und zivilgesellschaftliche Gruppen können einen Beitrag leisten: Alles, was den konstruktiven Dialog zwischen unterschiedlichen Interessen befördert, was dazu beiträgt, gesellschaftlich tragfähige Lösungen zu finden, ist hilfreich. Nuancen sind hilfreich, statt nur Schwarz und Weiß oder Gut und Böse. Und das Zuhörenkönnen ist es auch.

Sabine Demsar: Welche Unterschiede und Gemeinsamkeiten sehen Sie zwischen den Ergebnissen Ihrer Studie und denen anderer Studien wie der Leipziger Autoritarismus-Studie oder auch - bezogen auf Baden-Württemberg - der Studie zum Querdenkertum in Baden-Württemberg (Nachtwey/Frei)?

Prof. Dr. Frank Brettschneider: Kleinere Unterschiede gibt es bei der Untersuchungsmethode. Aber bei den Ergebnissen gibt es große Ähnlichkeiten. Auch zur Mitte-Studie der Kollegen um Andreas Zick von der Uni Bielefeld. Die Diagnosen ähneln sich sehr.

Sabine Demsar: Welche weiteren Forschungsfragen wären wichtig, um die Verbreitung von rechtspopulistischen Einstellungen und Verschwörungserzählungen in Deutschland besser zu verstehen?

Prof. Dr. Frank Brettschneider: Warum schlägt Enttäuschung über aktuelle Politik so schnell in Hass um? Wie können diejenigen, die Hass säen, in ihre Schranken gewiesen werden? Wie lässt sich die Verbreitung von Fake News unterbinden? Welche Handhabe gibt es gegen systematische Versuche, den Unterschied zwischen Wahrheit und Lüge einzuebnen? Das sind nur ein paar Beispiele. Viele weitere würden mir auch noch einfallen…

Sabine Demsar: Welche konkreten Maßnahmen müssen durch die Politik und in der Zivilgesellschaft ergriffen werden, um die Verbreitung von rechtspopulistischen Einstellungen und Verschwörungserzählungen zu bekämpfen?

Prof. Dr. Frank Brettschneider: Wenn man die Ursachen verstanden hat, ist der nächste Schritt, an den Ursachen anzusetzen. Ich würde zudem den Fokus nicht auf hundertprozentig überzeugte Verschwörungsanhänger und Rechtspopulisten richten, sondern auf jene, die diesen Schritt noch nicht getan haben. Mit ihnen muss der Dialog gesucht werden. Ihnen muss zugehört werden. Und ihre Anliegen müssen ernstgenommen werden. Dabei ist das Bauen von Brücken besser als das Vertiefen von Gräben. Gleichzeitig müssen aber Grenzen klar benannt werden. Für Menschenverachtung, für das Verächtlich-Machen der Demokratie und für Medien-Hass sollte es keine Spielräume geben.

Sabine Demsar: Welche Inhalte, Methoden und konkreten Maßnahmen sollten in der politischen Bildung stärker betont werden, um Menschen für die Gefahren solcher Einstellungen zu sensibilisieren?

Prof. Dr. Frank Brettschneider: Aus meiner Sicht machen die Einrichtungen der politischen Bildung das schon sehr gut. Bei den Methoden und den Inhalten gibt es da meines Erachtens gar keinen Nachholbedarf. Die Frage ist eher: Wie erreicht die politische Bildung jene Teile der Gesellschaft, zu denen sie derzeit keinen Draht hat. Aufsuchende Bildungsarbeit ist hier sicher ein Ansatzpunkt. Aber das ist unendlich mühselig, dauert seine Zeit und benötigt verlässliche Ressourcen…

Sabine Demsar: Welcher Zusammenhang besteht zwischen der Zustimmung zu rechtspopulistischen Einstellungen, Verschwörungserzählungen
- und dem Vertrauen in politische Institutionen?
und dem Bildungsniveau?

Prof. Dr. Frank Brettschneider: Das ist ziemlich klar. Erstens: Je höher die formale Bildung, desto geringer ist der Anteil jener, die ein rechtspopulistisches Weltbild aufweisen oder die Verschwörungsmythen folgen. Zweitens: Je ausgeprägter das rechtspopulistische Weltbild ist, desto geringer ist das Vertrauen in politische Institutionen. Aber: Nicht alle, die bestimmten politischen Institutionen misstrauen, sind Rechtspopulisten.

Sabine Demsar: Welche Rolle spielen soziale Medien in der Verbreitung von rechtspopulistischen Einstellungen und Verschwörungserzählungen?

Prof. Dr. Frank Brettschneider: Die Social Media-Plattformen spielen eine sehr große Rolle bei der Verbreitung von rechtspopulistischen Weltbildern und Verschwörungsmythen. In ihrer Kommunikationsblase werden die vermeintlichen „Belege“ für die Erzähl-Elemente des Populismus und der Verschwörungsmythen gesammelt und geteilt. Zugleich gibt es eine Aufwärtsspirale von Wut und Hass. Und es werden systematisch die Fundamente gesellschaftlicher Diskussionen untergraben, indem Fakten geleugnet werden.

Fokus Baden-Württemberg 

Sabine Demsar: Wie unterscheiden sich Baden-Württemberg und andere Bundesländer hinsichtlich der Verbreitung von rechtspopulistischem Gedankengut und Verschwörungstheorien?

Prof. Dr. Frank Brettschneider: In Baden-Württemberg gibt es ähnliche Einstellungsmuster wie im Rest Deutschlands auch. Allerdings sind rechtspopulistische Weltbilder und Verschwörungsmythen hier etwas weniger verbreitet als im Bundesdurchschnitt. Über die Gründe kann man spekulieren: Das überdurchschnittlich große ehrenamtliche und bürgerschaftliche Engagement dürfte dazu zählen. Denn die gemeinwohlorientierte Zusammenarbeit stärkt das Erleben von Wirksamkeit und ist ein wichtiger Kit, der Gesellschaft zusammenhält. Die „Politik des Gehörtwerdens“ dürfte ebenfalls dazu zählen. Also das Bemühen darum, gesellschaftlich tragfähige Lösungen im Dialog zu finden – überwiegend auf der kommunalen Ebene, aber auch in der Landespolitik. Und der relativ große Wohlstand und die Wirtschaftskraft im Südwesten sind ebenfalls gute Voraussetzungen, mit den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Transformationen umzugehen, sie mitunter sogar zu gestalten.


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